Der Fall Böhmerman polarisiert Deutschland. Nein, Deutschland eigentlich nicht, denn dieses steht weitgehend hinter Böhmermann, nur die Kanzlerin ist erregt, außer sich und will die Meinungsfreiheit behüten. Merkel befürchtet Konflikte mit der Türkei, deren Unterstützung sie aber derzeit notwendiger denn je für ihre Flüchtlings- und Europapolitik benötigt. Der Türkische Präsident Erdogan ist vom Satiriker Böhmermann so angefressen, dass er diesem seinen Gedicht-Spaß nicht verzeihen will und die Bundesrepublik zwingt, strafrechtliche Konsequenzen gegen Böhmermann einzuleiten.
Das Ganze ist absurd, wenn da nicht die Bedrohung der Pressefreiheit wäre
Das Ganze erscheint so absurd, dass das Spektakel mittlerweile selbst eine Satire ist. Eine Kanzlerin in der Zwickmühle zwischen Pressefreiheit und Zensur und ein in seiner Selbstherrlichkeit und Eitelkeit verletzter Präsident, der bei allen politischen Miseren dieser Welt nur noch eins will, Rache an Böhmermann. Schlimm wäre nur, wenn sich Merkel tatsächlich dem Druck aus Ankara beugt und ein Exempel statuiert. Das wäre ein schwerer Schlag gegen die Pressefreiheit in einer Demokratie und mit nichts zu rechtfertigen, selbst wenn man vom Niveau Böhmermannscher Satire überzeugt sei oder dies eben nicht goutiert. Das ZDF jedenfalls ist in Sachen Qualität auch nicht immer der Gradmesser guten Geschmacks, man hat schon weitaus Schlechteres gesehen.
Ob bei Anne Will oder in einer anderen Talkshows – die Bundesdeutschen sind sich einig: Spaß muss sein, auch wenn er auf Kosten des Staatspräsidenten geht. Die Nachrichtenticker kennen nur noch Böhmermann, der nun eines geschafft hat, sich einen Platz in der Geschichte zu sichern. Aus Spaß aber wurde Ernst – todernst. Selbst die deutschen Leitmedien gieren geradezu nach dem Comedian und das NDR-Fernsehmagazin „extra 3“ schiebt eine Satire nach der anderen nach. Selbst die Flüchtling-, die Finanz- und die Griechenlandkrise scheinen im Angesicht des Böhmermanns-Fall wie Sekundärereignisse der Weltgeschichte. Nur Panama bleibt im aktuellen Diskurs. Auch der Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Verlages, Mathias Döpfner, der sonst nicht dafür bekannt ist, Offene Briefe zu schreiben, ist Böhmermann beigesprungen und kritisiert die hierzulande aus der Konjunktur kommende Presse- und Meinungsfreiheit.
Böhmermann ist irritiert und geht in Deckung
Böhmermann hat für seine Satire über den „Ziegenficker“ Erdoğan nun sogar eine Anzeige am Hals, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn, was wahrlich keine Kleinlichkeit ist. Der Komiker ist unterdessen in Deckung gegangen, hat den Grimme-Preis nicht öffentlich angenommen und entzieht sich auch sonst öffentlicher Auftritte. Eine Einladung zu Anne Will hat er abgelehnt. Es ist derzeit bemerkenswert ruhig um ihn. Dabei müsste er doch gerade jetzt aus der Deckung kommen. Der ganze Rummel um sein Gedicht, dem er sogar in einer Voranmerkung vorausgeschickt hatte, das man eine derartige Satire nicht machen sollte, hat ihn selbst irritiert. Verzweifelte Versuche der Annäherung an das Kanzleramt sind kläglich gescheitert, der Chef des Kanzleramtes, Peter Altmaier, hatte nicht reagiert. Böhmernann wird derzeit von der Berliner Politik auf Abstand gehalten, man hält es für geschickter, ihm gegenüber auf Distanz zu gehen. Der Schulterschluss jedenfalls wird ihm verweigert, dafür die Nähe zum dem Neo-Sultan umso frenetischer gesucht. Da fragt sich schon mancher Bundesbürger völlig zu recht. Wessen Interessen vertritt eigentlich die Bundesregierung?
Dieter Hallervorden stellt sich an die Seite Böhmermanns und attackiert Erdogan
Auch Alt-Barde Dieter Hallervorden, mittlerweile achtzig Jahre, hat am Sonntag auf seiner Facebook-Seite Erdoğan eine Kampfansage erteilt. In der Debatte um die Satirefreiheit greift nun auch das Urgestein deutscher Comedy ein, Vorbild für eine ganze Generation, die derzeit, meist unter Niveau Hallervordens, die Bildschirme fluten. In „Erdoğan, zeig mich an“ äußert Hallervorden nicht nur seinen Unmut darüber wie Erdoğan versucht gegen deutsche Satirebeiträge vorzugehen, sondern er fühlt seine künstlerische Freiheit, die eben auch Meinungsfreiheit mit einschließt, bedroht. Erdoğan hat ja mit seiner kleinlichen Kritik erst den Resonanzboden geschaffen und die satirischen Beiträge, die sonst im Orkus der Geschichte verschwunden wären, so populär gemacht. Noch weniger geistreich als Böhmermann heißt es dort: „Ich sing’ einfach, was du bist, Ein Terrorist, der auf freien Geist scheißt“ Und: „Erdoğan,Erdoğan,Erdoğan, mach’ auch meinen Song bekannt, Erdoğan, Erdoğan, sei nur einfach wutentbrannt.“
Merkel kommt zunehmend in die Zwickmühle
Für die Bundeskanzlerin wird es ernst, die Lappalie des Moderators kostet sie enorme Energie und setzt sie weiter unter Zugzwang. Eigentlich war die Sache nach einem Gespräch von Merkel mit dem türkischen Premierminister Ahmet Davutoglu schon vom Tisch. Der Beitrag wurde aus dem Netz genommen, das Statement lautete eindeutig: „bewusst verletzend“. Damit war es für Berlin, so glaubte man, vorerst getan. Doch nun hat Ankara auch formal eine Strafverfolgung des Satirikers verlangt, eine entsprechende Verbalnote an das Auswärtige Amt wurde vom türkischen Botschafter übermittelt. Das heißt im Klartext: Die Türkei fordert offiziell, dass die Bundesregierung das Ermittlungsverfahren wegen der Beleidigung eines ausländischen Staatschefs genehmigt. „Laut Strafgesetzbuch muss die Bundesregierung im aktuellen Fall entscheiden, ob sie weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen einer möglichen Beleidigung eines ausländischen Staatschefs zustimmt“, schreibt DER SPIEGEL. Nun wird ein Grundsatzurteil aus dem Kanzleramt erwartet.
Es ist nur zu hoffen, dass sich Merkel auf die Grundwerte der Demokratie und der Verfassung beruft und sich nicht von der Türkei erpressen lässt. Denn sonst ließe sich die berechtigte Frage stellen: Was ist aus der einst so souveränen Kanzlerin geworden, für die es – vor nicht so langer Zeit – überhaupt nicht auf der Agenda stand, sich mit der Türkei zu verbrüdern? Merkel muss sich für die Pressefreiheit und gegen Erdoğan entscheiden. Denn auch so bleibt uns manch schlechtes Gedicht, und sei es auch von Dieter Hallervorden, in Zukunft dann hoffentlich erspart. Allein: Wenn sich schon die Politiker mit den Komikern nicht verbrüdern, dann ist es doch ein gutes Zeichen, dass diese selbst untereinander den Schulterschluss suchen. Nur hoffentlich sind die Künstler nicht die letzten freien Demokraten dieser Republik.
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