„Imper German Wilhelmus II Rex Boruss“(Kaiser von Deutschland Wilhelm II. König von Preußen) lautet in lateinisch abgekürzter Version die Textzeile unter der Darstellung im malerisch farbenfroh gestalteten Kirchenfenster der Ålesund-Kirche, das den heiligen Olav zeigt: Mit entschlossenen und selbstbewussten Blick, gestützt auf sein Schwert, blickt der norwegische Nationalheilige hinunter in das Kirchenschiff. Ob sich der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. selbst ein wenig in dieser Pose widerspiegeln wollte? Schließlich war es Seine Kaiserliche Hoheit, die die drei Kirchenfenster hinter der Orgelempore der sehenswerten steinernen Ålesund-Kirche gestiftet hat. Auch das bekannte Wappen mit dem preußischen Adler ist in einem der Fenster von 1909 verewigt worden. Der Weg von der Kirche in die Innenstadt der malerisch am Atlantik gelegenen Kleinstadt führt vorbei an zahlreichen Häusern im Stil des Jugendstils. Auch für hieran hat Wilhelm II. einen erheblichen Anteil – und das wird ihm in Ålesund bis heute beispielsweise mit folgenden Worten gedankt: „Auch aus anderen Teilen der Welt wurde Hilfe gesandt, doch die Unterstützung von Wilhelm II. war derart großzügig, effektiv und stilvoll, dass er andere Hilfsleistungen damit völlig in den Schatten stellte.“
Rückblende. In der Nacht zum 23. Januar 1904, ein Jahr vor der Unabhängigkeit Norwegens von Schweden, kippt in einer Margarinefabrik eine Petroleumlampe um und löst einen verheerenden Brand aus. Rund 850 Häuser der damals vor allem auf einer Landzunge konzentrierten Kleinstadt werden zerstört, 10 000 Menschen obdachlos. Nur wenige Tage später erreichen vier deutsche Schiffe die Stadt am Europäischen Nordmeer und bringen Medikamente, Baumaterialien und Nahrung. Außerdem dienten die Schiffe als Notunterkünfte für Obdachlose. Kaiser Wilhelm II. hatte diese Soforthilfe nicht nur persönlich angeordnet, sondern zudem auch noch aus seiner Privatschatulle bezahlt. Später schickte er zudem noch Architekten in den Norden, um den Wiederaufbau der Stadt – Steinhäuser im Jugendstil – zu befördern. Nicht zuletzt dieser Wiederaufbau mit der in sich geschlossenen Innenstadt macht Ålesund zu einem herausragenden Reiseziel, das auch als Unesco Welterbe-Stätte eingetragen ist.
Im Stadtpark erinnert eine sieben Meter hohe Stele an den Einsatz des Monarchen. Von hier sind es nur einige wenige Gehminuten auf die „Keiser Wilhelms gate“, eine der zentralen Straßen der auf insgesamt vier Inseln ausgebreiteten Stadt.Auch das Gefängnis mit seinen Zellen für maximal 27 Insassen fügt sich unaufdringlich in diese kaiserliche Straße ein, an der sich auch ein kleiner Platz befindet, dereinen wunderbaren Blick auf den Fjord und die ehemaligen Postschiffe der berühmten „Hurtigruten“ erlaubt. Die gab es zu Zeiten von Wilhelm II. zwar noch nicht. Dass heute jedoch vieleTouristen auf einem dieser Schiffe durch die berühmten Fjorde fahren oder noch weiter nördlich die norwegische Atlantikküste bereisen, ist auch ein Verdienst von Wilhelm II.Denn mit seinen Nordlandfahrten, die er mit der „Hohenzollern“ seit den 1880er Jahren regelmäßig im Sommer unternahm, wurde der Monarch zu einem der entscheidenden Multiplikatoren des Norwegen-Tourismus. Seinen Besuchen im hohen Norden eiferten seinerzeit viele gut betuchte Familien nach, und in der Folge wurde nicht zuletzt in der insbesondere für seine Fjordlandschaft bekannten Region Møre og Romsdal die (touristische) Infrastruktur des Landes stetig verbessert. Beispiel Molde: Weil Wilhelm II. die kleine Hafenstadt nördlich von Ålesund – sozusagen einen Fjord weiter nördlich – mehrmals beehrte, entstanden zwei großzügige Hotels, um die Gäste angemessen aufnehmen zu können. Heute befindet sich in der Stadt, die aufgrund der günstigen Witterung und eines Ausläufers des Golfstroms auch als „Rosenstadt“ für sich wirbt, ein weiteres exklusives und spektakuläres Hotel: das 82 Meter hohe, der Gestalt eines Segelschiffes nachempfundene Rica Seilet Hotel. Dieses so wunderbar in den Moldefjord gebaute spektakuläre und hervorragend geführte Haus bietet sich als idealer Ausgangspunkt für Ausflüge in die Region an, in der sich kulturell, landschaftlich, sportlich sowie sehr individuell so vieles entdecken lässt.
Besonders aufregend ist ein Ausflug auf den etwas über 400 Meter über der Stadt gelegenen Aussichtspunkt Varden. Bei gutem Wetter bietet sich eine kaum zu beschreibende, von fast unwirklicher Schönheit geprägte Aussicht auf den Moldefjord bis hin zum Atlantik sowie auf die 222 teilweise ganzjährig schneebedeckten Gipfel der norwegischen Alpen.Gerade im Juni, wenn die Tage nicht enden wollen, aber auch insgesamtwährend der meteorologisch günstigen und relativ stabilen Sommertage bis Ende August in dieser weltweit als eine der regenreichsten Regionen bekannten Gegend, lässt sich von hier oben aus das faszinierende Fehlen von Dunkelheit miterleben. Lohnenswert ist auch der Besuch des Romsdalsmuseums, um sich einen konzentrierten Überblick zur regionalen Geschichte zu verschaffen.
Eine Autofahrt von Molde– aus der Region stammt auch der Literaturnobelpreisträger Bjørnstjerne Bjørnson (1832 bis 1910)- in den Süden, nach Ålesund oder zum berühmten Geirangerfjord (Unesco-Weltnaturerbe) oder noch tiefer hinein nach ,Fjordnorwegen‘, führt durch die faszinierenden Landschaften, in denen das Wetter so rasch wechseln kann, dass sich binnen kurzer Zeit die unterschiedlichsten Naturschauspiele und Landschaftsbilder einstellen. Majestätisch und steil aufragend erheben sich die Berge rechts und links der Fjorde, je nach Lichteinfall changiert das Wasser blau-schwarz oder blau-grün, die Wälder und einzelnen Weiler liegen wie pittoreske Farbteppiche da undFarbteppiche werden immer wieder von Lichtflecken gestreichelt, am Himmel streiten die unterschiedlichsten Wolkenformationen. Auf dem Weg zur berühmten Gebirgsstraße Trollstigen mit ihren elf Spitzkehren auf über 400 Metern Höhendifferenz lassen sich wenige Kilometer vor den ersten Schneefeldern noch Erdbeeren oder anderes köstliches Obst oder Gemüse, das ob des langen Tageslichts und Klimas im Sommer ein einzigartiges Aroma entfalten, verkosten.
Die Fahrt von Molde aus in den Norden sollte unbedingt über die Atlantikstraße genommen werden, die von sachkundigen Experten mehrfach als eine der schönsten Straßen benannt worden ist. Auf der Route mit acht Brücken zwischen den Inseln lassen sich zudem noch einige alte deutsche Militäreinrichtungen entdecken – Relikte, die an die unheilige Zeit wärend der deutschen Besatzung des Landes und die Zerstörungen durch deutsche Truppen während des Zweiten Weltkriegs erinnern. Deutlich spürbar wird dies in Kristiansund: Die industriell geprägte, aber für eine lebhafte Kulturszene bekannte Stadt am Atlantik, in der seit 10 000 Jahren Siedlungsgeschichte nachweisbar ist, wurde durch deutsche Truppen fast vollständig zerstört und weist seitdem ein sehr uneinheitliches Stadtbild mit alter Fischertradition und Nachkriegsarchitektur auf. Für das traditionell gute Verhältnis zwischen Deutschland und Norwegen markiert die Kriegszeit eine tiefe Zäsur und Belastungsprobe.
Kurz vor Kristiansund lohnt sich ein Abstecher nach Kvernes, wo sich noch eine der 30 (von ursprünglich rund 750) erhaltenen landestypischen Stabkirchen befindet. Diese Kirchen entstanden vor allem in der Zeit der Christianisierung. In der Kirche von Kvernes aus der Mitte des 15. Jahrhundertmit den beeindruckenden Malereien, die Szenen aus dem Leben Jesu darstellen, hatte seinerzeit jeder der umliegenden Höfe seine eigene Bank. Nur im hinteren Teil gab es eine erhöhte Galerie für die Pastorenfamilie. „Sie hielten sich wahrscheinlich ein bisschen besser als normale Leute“, heißt es dazu im Informationsblatt an der Eingangstür.
So wie nach Kvernes sind es überhaupt die kleinen Abstecher rechts und links der ohnehin schon wenigen Hauptstraßen, die die Fahrten durch dieses Land so unvergesslich machen. Im buchstäblichen Sinne erfahrbar ist das auf den rund 200 Kilometern von Kristiansund nach Trondheim. Auf spontanen Wanderungen oder auch Angeltouren lässt sich der stille Herzschlag der Natur spüren, bevor sich am Stadtrand von Trondheim die Atmosphäre einer Großstadt einstellt.
Norwegens drittgrößte Stadt mit knapp 200 000 Einwohnern ist nicht zuletzt wegen des gewaltigen gotischen Doms, in dem sich das Grab des Heiligen Olav befindet, und der Bischofsresidenz, in der auch die Kronjuwelen aufbewahrt werden, ein kultureller, geistiger und geistlicher Höhepunkt. Im Jahr 1030 wurde der bereits 1031 heiliggesprochene Olav II. Haraldsson hier begraben. Bald darauf erfolgte die Grundsteinlegung für das um 1300 fertig gestellte Gotteshausmit der markanten Westfassade und dem mächtigen Vierungsturm. Zumindest in Trondheim kann der reisende Katholik seiner Sonntagspflicht nachkommen: Die Stadt ist eine Prälatur und wird von einem Apostolischen Administrator geleitet. Im Land indes ist es schwierig, denn nur rund 110 000 Katholiken leben unter den fünf Millionen Einwohnern, die weitestgehend der norwegischen Kirche angehören.
Seit über 50 Jahren finden im Sommer zu Ehren des Nationalheiligen, der von beiden großen christlichen Konfessionen verehrt wird, knapp zwei Wochen lang mit einem breit gefächerten Programm die Olavsfesttage statt. Sein Namenstag ist der 29. Juli. Zudem tragen auch die rund 30 000 Studenten dazu bei, dass sich nicht nur an diesen Tagen Altes und Neues, Konservatives und Innovatives in den unterschiedlichsten Facetten Bahn brechen und dazu beitragen, der Stadt ihren unverwechselbaren Charme und ihre authentische, unaufgeregte Natürlichkeit zu verleihen.
Doch was für Trondheim gilt, mag eigentlich für das Land und seine Bewohner insgesamt gelten. Vielleicht waren es auch diese Attribute, die Kaiser Wilhelm II. für Norwegen einnahmen. Den Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 erlebte er hier, es sollte seine letzte Nordlandfahrt sein. Der norwegische Maler Hans Dahl, ein Freund des Kaisers, notierte nüchtern: „Am Nachmittag des 25. Juli zwischen 5 und 5.30 Uhr verabschiedete sich Kaiser Wilhelm. Um 6 Uhr fuhr er mit der Hohenzollern weg, als er hörte, dass der Krieg zwischen Österreich und Serbien ausgebrochen sei.“
Heute, genau einhundert Jahre später, sind es im Schnitt jährlich etwa 1,3 Millionen Deutsche, die Norwegen besuchen und ihren Teil dazu beitragen, dass das Verhältnis nicht zuletzt nach der von vielfältiger Versöhnungsarbeit geprägten Nachkriegszeit nun wieder – laut Auswärtigem Amt – als „sehr eng und freundschaftlich“ bezeichnet werden kann. Wer Norwegen besucht, wird dies in den von authentischer Natürlichkeit geprägten Begegnungen sehr schnell spüren.
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