- Die Finnische Abgeordnete Päivi Räsänen und Bischof Pohjola wurden nach vielbeachtetem Prozess von allen Anklagepunkten einstimmig freigesprochen
- Die frühere Innenministerin war in drei Fällen angeklagt, weil sie – unter anderem auf Twitter – über ihre religiösen Überzeugungen gesprochen hatte.
Die finnische Abgeordnete Päivi Räsänen und Bischof Juhana Pohjola werden von allen Anklagepunkten freigesprochen. Das Bezirksgericht in Helsinki bestätigt damit in einer einstimmigen Entscheidung das Recht auf freie Meinungsäußerung und urteilte, dass “es nicht die Sache des Bezirksgerichts [sei] biblische Konzepte auszulegen”. Das Gericht hat der Staatsanwaltschaft Verfahrenskosten von über 60000 Euro auferlegt.
Die Staatsanwaltschaft hat sieben Tage Zeit, um gegen das Urteil Berufung einzulegen.
Die frühere Innenministerin war der „Hassrede“ angeklagt, weil sie ihre religiösen Überzeugungen zu Ehe und Sexualethik geäußert hatte: 2019 in einem Tweet und im Rahmen einer Radiodebatte, und in einer Broschüre aus dem Jahr 2004. Der Bischof stand vor Gericht, weil er vor fast zwei Jahrzehnten Räsänens Broschüre veröffentlicht hatte. Der Fall erregte weltweite Aufmerksamkeit. Menschenrechtsexperten hatten gewarnt, dass der Prozess das Recht auf Meinungsfreiheit in Finnland gefährde.
„Ich bin froh, dass das Gericht die Meinungsfreiheit verteidigt und zu unseren Gunsten entschieden hat. Durch den Freispruch wurde eine große Last von mir genommen. Ich bin dankbar, dass ich für die Meinungsfreiheit einstehen durfte. Gleichzeitig hoffe ich, dass dieses Urteil für andere solche belastenden Prozesse verhindert,“ sagte Päivi Räsänen nach ihrem Freispruch.
Christentum vor Gericht
Der spektakuläre Prozess erhielt weltweite Aufmerksamkeit, insbesondere nachdem die Staatsanwaltschaft Inhalte des christlichen Glaubens öffentlich angriff und Räsänen und den Bischof zu theologischen Fragen ins Kreuzverhör nahm.
Die Staatsanwältin begann den ersten Prozesstag mit der Erklärung, der Fall drehe sich nicht um Glauben oder die Bibel. Kurz danach zitierte sie Verse aus dem Alten Testament und kritisierte die Maxime „Liebe den Sünder, hasse die Sünde“. In ihrem Abschlussplädoyer behauptete die Staatsanwaltschaft, die Verwendung des Wortes „Sünde“ könne „schädlich“ sein und forderte abschließend eine hohe Geldstrafe im Falle eines Schuldspruchs.
Erfolg für die Meinungsfreiheit
Räsänens Verteidigung wurde durch die Menschenrechtsorganisation ADF International unterstützt. Die Verteidigung argumentierte, dass ein Schuldspruch die Meinungsfreiheit in Finnland schwer beschädigen würde. Räsänens Äußerungen seien Teil der christlichen Lehre und von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Das Gericht urteilte, dass auch wenn es Einwände gegen Räsänens Äußerungen geben mag, ein „äußerst wichtiger Grund für die Beeinträchtigung und Einschränkung der Meinungsfreiheit vorliegen“ müsste. Das Gericht entschied, dass kein solcher Grund vorliegt.
„Wir begrüßen das Urteil des Bezirksgerichts in Helsinki. Das ist eine wichtige Entscheidung, die das fundamentale Recht auf Meinungsfreiheit in Finnland bestätigt. In einer freien Gesellschaft sollte jeder seine Ansichten mitteilen dürfen, ohne Angst vor Zensur haben zu müssen. Das ist die Grundlage einer freien und demokratischen Gesellschaft. Die Kriminalisierung von Äußerungen durch sogenannte „Hassrede“-Gesetze hemmt wichtige gesellschaftliche Debatten und stellt eine große Gefahr für unsere Demokratien dar“, sagte Paul Coleman, Autor von „Zensiert: Wie europäische „Hassrede“- Gesetze die Meinungsfreiheit bedrohen.
Internationale Unterstützung für die Meinungsfreiheit
An beiden Prozesstagen (dem 24. Januar und 14. Februar) versammelten sich Menschenmengen vor dem Gericht, um die Politikerin und den Bischof zu unterstützen. Vor den Abschlussplädoyers demonstrierten in Ungarn mehr als 3000 Menschen vor der finnischen Botschaft gegen die Anklage.
Räsänen erhielt mehrere Solidaritätsschreiben von Vertretern verschiedener Konfessionen, darunter dem Internationale Lutherische Rat und der Europäische Evangelische Allianz. In Litauen unterstützen alle Vertreter der christlichen Kirchen Räsänen gemeinsam mit einem ökumenischen Gebet. Weiter wurden Bischof Pohjola und Päivi Räsänen von evangelikalen, katholischen, baptistischen, pfingstlerischen, reformierten und unierten Kirchenvertreten in Rumänien, sowie von der Evangelikalen Kirche in Mazedonien, von Christlichen NGOs in Lettland und zahlreichen Einzelpersonen unterstützt.
Mehrere US-Senatoren richteten einen Brief an Rashad Hussein, den US-Botschafter für Internationale Religionsfreiheit. In dem Brief zeigten sie sich besorgt über die „alarmierende“ Verfolgung: „Wir sind zutiefst besorgt, dass die Anwendung der finnischen Hassrede-Gesetze einem säkularen Blasphemie Gesetz gleichkommt. Somit öffnet sich die Tür für die Verfolgung von gläubigen Christen, Muslimen, Juden und anderen Gläubigen, wenn sie ihren Glauben öffentlich bekunden,” schrieben die Senatoren in dem Brief.
Im Januar reichten britische Abgeordnete im Parlament einen Antrag auf Debatte (Early Day Motion) ein. In dem Antrag wiesen sie auf die umstrittene Strafverfolgung hin und äußerten ihre Besorgnis über „die möglichen Auswirkungen des Falls auf andere Länder“.
Anklage für einen Tweet
Im Juni 2019 begann die Polizei gegen Räsänen zu ermitteln. Als aktives Mitglied der Evangelisch—Lutherischen Kirche Finnlands wandte sie sich über Twitter an die Kirchenleitung und hinterfragte in einem Tweet die offizielle Unterstützung des LGBT Events ‚Pride 2019‘ durch die Kirche. Dazu postete sie ein Bild mit Versen aus dem neutestamentlichen Römerbrief. Dem Tweet folgten Ermittlungen, die sich bis auf eine Broschüre erstreckten, die Räsänen vor fast 20 Jahren geschrieben hatte.
In den letzten beiden Jahren wurde Räsänen mehrmals über Stunden von der Polizei verhört. Dabei wurde sie zu ihrem Verständnis der Bibel befragt.
Im April 2021 erhob die finnische Generalstaatsanwältin eine Anklage mit drei separaten Anklagepunkten gegen Räsänen. In zwei der drei Anklagepunkte hatte die Polizei zuvor empfohlen die Strafverfolgung nicht fortzusetzen. Räsänens Aussagen hatten weder die Richtlinien von Twitter noch die des Radiosenders verletzt und blieben deswegen auf diesen Plattformen zugänglich. Das Bezirksgericht Helsinki hat Räsänen nun von allen Anklagepunkten freigesprochen.
Räsänen ist seit 1995 Abgeordnete des finnischen Parlaments. Von 2004 bis 2015 war sie die Parteivorsitzende der finnischen Christdemokraten und zwischen 2011 und 2015 Innenministern Finnlands. In dieser Zeit war sie unter anderem für Kirchenangelegenheiten zuständig