Auch wenn Bayreuth und Salzburg mit ihren Welt-Festivals noch auf sich warten lassen: In München oder Passau haben die Sommer-Festspiele schon begonnen. Da die Opernfestspiele, dort die Europäischen Wochen. Am Beginn der beiden Klassik-Großunternehmen mit zum Teil ausverkauften Veranstaltungen standen zwei musikalische Hochseilakte: Richard Strauss` „Salome“ in der Bayerischen Staatsoper und ein Barockkonzertabend der Spitzenklasse in Burghausen an der Salzach. Krzysztof Warlikowskis ver- statt berührendes Inszenierungskonzept, das aufregend-perverse Geschehen um die Männermörderin am Hof Herodes d. J. in eine klaustrophobe verwüstete Bücherei in einem Israel der 1940-er Jahre zu verlegen, ging nicht auf – und deshalb im Regie-Buh-Sturm des Premierenpublikums unter. Einzig die Inhaberin der Titelpartie Marlis Petersen debütierte in der aufreibenden Rolle unter dem fast einhelligen Jubel von Publikum und Presse, und GMD Kirill Petrenko fügte seinen München-Highlights ein neues – möglicherweise letztes – hinzu: Er ließ die Dekadenz im Rausch und Wirbel seines Staats-Orchesters in hochartifizieller Weise zu kaum je dagewesener Farbdifferenzierung aufgehen. Zum Niederknien. Wenn das nur möglich wäre im Nationaltheater.
Die 20 Sitzreihen der Großen Aula des Kurfürst-Maximilians-Gymnasiums Burghausen hätten das – so luftig stehen sie – nicht verhindert. Doch auch da, wie im Nationaltheater, zog es das Publikum vor, die Begeisterung durch „Standing Ovations“ zu bekunden. Was Julia Lezhneva und Dmitry Sinkovsky mit dem aparten Ensemble La Voce Strumentale gut zwei Samstagabend-Stunden lang bei gottlob abklingender Juni-Hitze auf das Podium zauberten, stand qualitativ in nichts einer Darbietung etwa in Salzburg nach. Zwei Ausnahmekünstler für die 67. Ausgabe der Passauer „Europäischen Wochen“ gewonnen zu haben, ist schon ein Ereignis für sich. Der Künstlerische Leiter Carsten Gerhard lobte: „In guten wie in schlechten Zeiten war die bayerische Salzachstadt ein zuverlässiger Partner der EW“. Den Dank lieferten die bewundernswert uneitle, jedem Diven-Gehabe abholde, in ihrem Auftreten ebenso selbstsichere wie phänomenale Koloratursopranistin als Vokal-Star des Dirigenten, Geigers und Countertenors – beide Russen mit europäischem Sendungsbewusstsein – mit durchwegs halsbrecherischen Stücken von Bach, Händel und Vivaldi ab.
Spätestens nach dem „Domine Deus“ aus dem „Gloria D-Dur“ RV 589 geriet das Publikum am Ende jedes weiteren Stücks – einmal sogar zu früh, weil der Schlussteil noch zu singen war – regelrecht aus dem Häuschen, wenn die 30-jährige Lezhneva, ländlich-mädchenhaft in ihrer Ausstrahlung, nach der Pause im Goldglitzerkleid, nie allürenhaft, immer aber glutvoll und energisch und mit einem seligen, gen Himmel gerichteten Lächeln ihre schier nicht zu bremsenden, konkurrenzlosen Girlanden des Ziergesangs in den Saal schleuderte. Auch wenn die Inhalte der einzelnen Piècen aus „Ercole sul Termodonte“ oder „Alessandro“ nicht verstanden wurden – man gab sich gern dem reinen Vergnügen hin, einer Weltklasse-Stimme, gepaart mit stupender Musikalität, lauschen zu dürfen. Weniger mit seiner Counterstimme als vielmehr als brillanter dirigierender Violinist überraschte der Klassik-Vollblut-Performer Dmitry Sinkovsky mit einem an Intensität und Gestaltungsraffinesse kaum überbietbaren Teufelsgeiger-Auftritt bei Vivaldis D-Dur-Concerto Grosso mogul RV 208.
An „Bravi“ wurde nicht gespart. Wann ist das Funkeln eines Juwel von barocker Strahlkraft und hochkarätigem Schliff je wieder zu erleben? Gerade weil sich bei Neuinszenierungen das moderne Musiktheater weitgehend in Selbstgefälligkeiten und Absurditäten von Regie-Theaterversessenen immer mehr Unmut einstellt, erhält das Musikpodium als Geschehens-Ort von Klangsprache jeglicher Couleur immer mehr Fans, selbst von Festspiel-Connaisseurs, denen es auf hohe Ticketpreise nicht ankommt.
Fotos: Hans Gärtner
- Marlis Petersen eröffnete mit einer fulminanten „Salome“ die Münchner Opernfestspiele unter dem detailverliebten GMD Kirill Petrenko.
- Julia Lezhneva, 30 Jahre jung, bewies bei den Passauer „Europäischen Wochen“ mit Barock-Stücken ihr konkurrenzloses Supertalent im Ziergesang.