Festakt zum 300. Geburtstag von Friedrich II.

Liebe Jubiläumsgäste,
wenn Friedrich II. jetzt in den Saal schauen könnte, wäre er wohl zufrieden: passend zur großen Bühne ein großes Publikum! So viele, die sein Leben erforscht, sein Erbe entdeckt, gerettet und gepflegt haben – oft hartnäckig und mit preußischer Hingabe, wie einst der König selbst. Ich glaube, so mancher von Ihnen hier im Saal hätte zu Friedrichs Lebzeiten eine Einladung zur berühmten Tafelrunde erhalten. Weltoffene, belesene und kulturinteressierte Mitstreiter wusste der Monarch besonders zu schätzen. Allerdings hätte man an dieser Tafel einige Wahrheiten – zum Beispiel über Niederlagen auf dem Schlachtfeld – schweigsam mit dem Wein herunterschlucken müssen. Denn was sein Image betraf, kannte der Herrscher kein Pardon!
Es war Friedrich II. alles andere als gleichgültig, welches Bild sich die Nachwelt von ihm machen würde. Wenn er geahnt hätte, dass ausgerechnet sein Lieblingsportrait heute im Gartensalon von Schloss Bellevue hängt. Das Gemälde zeigt Friedrich anno 1746. Zwei große Kriege lagen zu diesem Zeitpunkt schon hinter ihm. Er hatte gerade die preußischen Justizreformen angestoßen und erste Pläne zur Trockenlegung des Oderbruchs in der Schublade.
Zehn friedliche Jahre sollten folgen und große Taten, die wir dem König zu Recht in der Geschichte gutschreiben, allen voran seine tolerante Zuwanderungspolitik. Tausende durften sich in Preußen niederlassen: ob in Salzburg oder Sachsen geboren, ob Hugenotten, Katholiken oder Muslime. Auch wenn diese Offenheit beim älteren Friedrich vor allem wirtschaftspolitische Motive hatte, bleibt sie doch untrennbar mit seinem wertvollsten Satz aus jungen Jahren verbunden: Jeder sollte in Preußen „nach seiner Fasson selig werden“.
Ich sage „wertvoll“, wohl wissend, dass dieser Satz in einen historischen Rahmen gehört und wir neben den strahlenden Errungenschaften auch die dunklen Farben dieser Herrschaft erkennen und benennen müssen. Wahr ist eben auch: Einwanderung war in Preußen unter anderem deshalb bitter nötig, weil der Staat rund ein Zehntel seiner Bevölkerung in den Kriegen verloren hatte. Der Blutzoll für Friedrichs Großmachtstreben und sein Toleranzversprechen waren zwei Seiten einer Medaille. Er konnte in einem Moment eiserner Feldherr und im nächsten sanfter Flötenspieler sein. Auffallend viele aktuelle Bücher und Zeitungsbeiträge widmen sich diesen Widersprüchen. Es ist anzuerkennen, dass die meisten Autoren heute den Mut haben, in ihren Analysen nicht nur die Demütigungen der Kindheit und Jugend nachzuzeichnen, sondern auch die scharfen Gegensätze, die diese Persönlichkeit im Erwachsenenalter prägten. Friedrich war tatsächlich beides – Vorbild und Trugbild in der preußischen Geschichte.
Innenpolitisch handelte er oft wie ein aufgeklärter Monarch, durchaus menschlich, mitfühlend und modern für seine Zeit. Außenpolitisch agierte er jedoch als kühner Kriegsherr, dem kein Preis zu hoch zu sein schien, wenn es um ruhmreiche Siege ging. Heute ist dieses kritische Urteil wohl konsensfähig. Fast zweihundert Jahre lang eckte man mit solchen Äußerungen aber durchaus an: Friedrich wurde als Großer und Einziger glorifiziert, von den Nationalsozialisten als Ikone missbraucht. Nach 1945 stürzte er tief, fast bis in die Bedeutungslosigkeit. Er wurde zur Persona non grata. Deutschland und die Welt haben sich erst in der jüngeren Vergangenheit einem differenzierten Friedrich-Bild angenähert. Viele Nuancen wurden nur mühsam offengelegt, denn die Deutung seiner Persönlichkeit war auch das Ringen um ein wichtiges Stück deutscher Identität.
Auch unsere europäischen Nachbarn – die mal als Verbündete, mal als Gegner von preußischen Kriegszügen betroffen waren – haben über die Jahrhunderte ihr Bild von Friedrich entwickelt. So unsere polnischen Freunde, die sich natürlich sehr schmerzhaft erinnern an die erste Teilung ihres Landes 1772. Diese Sicht auf Friedrich gehört mit zum Jubiläumsjahr in guter Nachbarschaft.
Deshalb, lieber Herr Professor Clark, schätze ich bei Ihren Forschungen besonders die Perspektivwechsel. Jede Nation, jede Epoche verdient unser ernstes Bemühen um Faktenkenntnis und größtmögliche Sensibilität bei der Bewertung von Zusammenhängen. Die Welt von verschiedenen Standpunkten aus zu betrachten, kann sehr lehrreich sein, auch für den Blick auf uns selbst, wenn es uns gelingt, die eigenen Überzeugungen – vermeintliche Gewissheiten – in Frage zu stellen.
Es ist mir wichtig, dass wir das Jubiläumsjahr für diese Selbstreflexion nutzen und gerade auch jungen Leuten etwas vermitteln: In den letzten 300 Jahren hat sich weit mehr verändert als der Zuschnitt europäischer Grenzen. Unser Verständnis von politischem und gesellschaftlichem Miteinander ist ein völlig anderes als im 18. Jahrhundert. In der Lesart Friedrich II. galt alle Liebe dem Vaterland und alles Streben der Ehre. Tausende Söhne wurden dieser Überzeugung geopfert. Heute fühlen und handeln wir anders. Nicht der Staat und seine Expansion, sondern der einzelne Mensch und sein Wohlergehen stehen im Mittelpunkt. Jedes Menschenleben – von Söhnen wie Töchtern – und jedes Menschenrecht hat in unserer Gesellschaft großen Wert. Diese Unterschiede müssen uns bewusst sein, wenn wir über historische Persönlichkeiten, ihre Leistungen oder Verfehlungen urteilen wollen. Es steht uns wahrlich nicht zu, den Stab über Friedrich zu brechen. Aber wir sollten uns davor hüten, einen Mythos zu pflegen.
Lieber Herr Clark, Sie haben so treffend gesagt: „Wer die Geschichte zu einem Werkzeugkasten degradiert, wird ihr nicht gerecht.“ Das möchte ich an einem Tag wie diesem am liebsten doppelt unterstreichen: Die Geschichte ist kein Werkzeugkasten für die Gegenwart, schon gar nicht für die Zukunft! Denn die Maßeinheiten an den alten Werkzeugen gelten nicht mehr. Für mich gleicht die Geschichte eher einer Schatzkiste. Wenn wir uns ohne Vorurteile auf die Suche begeben, können Erfahrungen aus der Vergangenheit – auch schmerzliche – sehr, sehr wertvoll sein.
Auf dem Friedrich-Gemälde, das im Gartensalon von Schloss Bellevue hängt, ist eine solche Entdeckung möglich: Dort zieht Friedrich II. seinen Hut – ungewöhnlich für einen König, streng genommen müssten wir uns doch vor ihm verneigen. Aber hier zollt uns Friedrich seinen Respekt. In diesem Moment ist er – wenn auch seiner Zeit und seinen eigenen Widersprüchen verhaftet – wahrlich ein Großer. Dafür lohnt ein zweiter Blick auf dieses Bild. Eine solche Haltung wünsche ich uns allen in diesem Jubiläumsjahr!

www.bundespraesident.de

Über Wulff Christian 11 Artikel
Christian Wulff, geboren 1959 in Osnabrück, studierte Rechtswissenschaften. Vom 4. März 2003 war er Ministerpräsident des Landes Niedersachsen. Von Oktober 2006 bis Oktober 2007 Vorsitzender der deutschen Ministerpräsidentenkonferenz. Vom 30. Juni 2010 bis zum 17. Februar 2012 war er Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland.

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