„Ferien auf dem Bauernhof? Sowas gibt es nicht!“ oder: „Die Mona Lisa vom Tiefenthal“

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Südtirol, diese autonome Provinz in Italien, mit ihren kulturellen Gegensätzen, in der hauptsächlich deutsch, aber natürlich auch italienisch und ladinisch gesprochen wird, ist Genuss, Naturverbundenheit und vor allem landschaftliche Schönheit. Und vor allem ist es eine Region, die an ihre Tradition festhält und sie mit der Gegenwart vereint.

Gibt man auf diversen Ferienseitenportalen oder einfach nur in einer Suchmaschine den Passus „Südtirol Ferien auf dem Bauernhof“ ein, so bekommt man jede Menge Angebote, die auf unterschiedlichsten Höfen und Almen dieses wunderschönen Landstriches ein abwechslungsreiches Familienprogramm mit Spaß für Klein & Groß, kinderwagengerechten Wanderwegen, Kutschfahrten oder Reiten auf „Europas größter Spielwiese“ anbieten.
Aber kaum jemand der vielen Pauschaltouristen hat sich jemals mit der Vergangenheit und dem schweren, aber tief mit der Natur verbundenen Leben auf den hoch oben, in traumhafter Lage gelegenen Höfen beschäftigt und auseinandergesetzt.

Die tschechische Autorin Jarka Kubsova, die seit 1987 in Deutschland lebt, schlägt mit ihrem großartigen Roman eine Brücke zwischen Tradition und Moderne, zwischen Tourismus und harter Arbeit. Zugleich wirft sie einen Blick auf die Vergangenheit dieser mediterran angehauchten, südlichen Alpenregion.
Dass ihr dies so großartig gelingt, hat sicherlich auch damit zu tun, dass sie für ihre Recherchen selbst sieben Monate auf einem Südtiroler Bauernhof lebte.

Kubsova nimmt den Leser auf eine Reise über drei Generationen hinweg mit, die in den 1940er Kriegsjahren beginnt, den vorsichtigen Einzug der Moderne in den Siebzigern streift und in der vom Tourismus geprägten Gegenwart endet.
Sie siedelt ihre Handlung auf dem 1670 m hoch gelegenen Innerleit-Hof der Familie Breitenberger an. In wechselnden Kapiteln werden so fast 100 Jahre Tradition und Geschichte, Arbeit und Mühsal, Trauer und Verlust, aber auch Freude, Glück, Naturverbundenheit und Liebe umgriffen.

„Ferien auf dem Bauernhof? Sowas gibt es nicht!“, raunzt der Sepp, seines Zeichens mittlerer Generationen-Spross und mittlerweile kauziger Großvater, seiner Schwiegertochter Franziska zu, als sie ihn für Feriengäste begeistern will. „Auf einem Bauernhof gibt es keine Ferien. Hier gibt es nur Arbeit. Wenn einer zum Arbeiten kommen will, dann kann der gerne kommen. Arbeit gibt’s genug.“ Er möchte seinen Hof nicht als „Wellnesseinrichtung mit plüschigen Streicheltieren, wo regionale Produkte auf fototauglichem Geschirr serviert wurden“.
Derweil gehörte er höchst selbst in den Siebzigern einer voranschreitenden Jugend an, die den Fortschritt auch auf ihren Höfen wollte. Die Zeiten, als seine Mutter Rosa den Hof schon früh allein bewirtschaften musste und stets nach dem Motto agierte: „Nicht plärren, Zähne zusammenbeißen“ oder „Sprich nicht über Leid, sonst wird es breit“, sollten endlich abgestreift werden.
Aber auch in der Gegenwart, da die Moderne allerorts Einzug gehalten hat und sie nicht mehr „mit Sachen hantierten, die woanders längst im Bauernmuseum ausgestellt wurden“, war das Leben hier oben mitunter ziemlich schwer. Vor allem das unsichtbare Band dieser „Bergmenschen“, welches sie seit vielen Jahren verband, war im Verschwinden begriffen. Die Moderne brachte zwar Erleichterungen, aber sie löste auch den Klebstoff, der die Menschen auf den Höfen festhielt. „Was oben keinen Halt fand, rutschte talabwärts. Landete in der Stadt, in den Fabriken und Hotels, rollte oft noch weiter, hinter die Landesgrenze.“
Mit dem einsetzenden Tourismus wiederum kam nicht nur Glück auf die Höfe. „Manchmal kam sie sich hier oben vor wie in einem Heimatroman, der nicht gut ausgehen würde.“, stellt Franziska, die Ehefrau von Hannes, der in dritter Generation den Hof bewirtschaftet, fest.

Einfühlsam, aber auch schonungslos erzählt Kubsova jenseits von Postkartenromantik über das Leben auf einem Bergbauernhof. Der sehr gut und flüssig zu lesende Text offenbart dabei einen Blick hinter die schöne Bergkulisse und die saftig grünen Wiesen. Er erzählt von Herausforderungen, verrückten Ideen, Fortschritt und Verlust von Tradition, von Zusammenhalt und Selbstgenügsamkeit, „die die Alten immun gemacht hatte gegen das Höher, Schneller, Weiter, dem sich der Rest der Welt hingab.“ Er berichtet von Kompromissen, die man schließen muss, um allen Widrigkeiten, die auch in der Gegenwart aufwarteten, zu trotzen. Aber auch vom Suchen nach neuen Wegen und „Aufspüren von Sehnsüchten, von dem, was fehlte oder etwas, das verloren gegangen war und wonach sich zu suchen lohnte.“ Denn „nicht bei allem musste es immer nur vorangehen (…). Weil das Leben auch Zyklen folgte. Vieles verging, manches kam wieder, oder es kam in anderer Form zurück.“


Fazit: „Manchmal war es die Erde, die etwas über die Vergangenheit preisgab, manchmal waren es die Häuser“ und manchmal ist es auch ein Buch, zum Beispiel dieser sehr lesenswerte und empfehlenswerte Roman.


„Das ist mein Fels, das ist mein Stein; fest verwurzelt hier mein Fuß. Was mir mein Vater gab, ist mein.“

Jarka Kubsova

Bergland

Wunderbaum in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München (24. Mai 2021)
388 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3442316189
ISBN-13: 978-31442-31618-2

Preis: 20,00 EUR

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Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.