Wohlfahrt soll kein Schuldverhältnis sein. Der Stellenwert von Bürokratie (Herrschaft aus den Amtsstuben) wird natürlich fraglich. Und erklärt sich nicht allein aus der Tatsache, dass überhaupt Staatlichkeit sei, sondern ist vielmehr von Hintergrund-Konzepten wie Wohlfahrt selbst abhängig. Zu erinnern ist abermals an die Tatsache, dass die NS-Herrschaft sich über Amtsstuben äußerte, wiewohl oft und nicht ganz unrichtig der mediale, propagandistische Apparat hervorgehoben wird. Und es ist doch eine lapidare Feststellung, dass es dem medial manipulierten Individuum scheinbar bis gewissen Graden gelang, die Agonie der Existenz kaum zu fühlen und – wie es heute gerne heißt – Potentiale abzurufen.
Um dieses Spannungsfeld kann es heutzutage sinnvoll kaum gehen, da das Grundverständnis des Individuums als zentrale Einheit oder Größe ein radikal anderes sein muss als in totalitären Gesellschaftsformen. Dass man gerne leben solle, und nicht notgedrungen, das ließe sich nicht als Norm fixieren. Wenigstens nicht abschließend. Ist aber ein Sinn der Demokratie, ohne den sie nahezu sinnlos wäre. Und in dieser Reichweite fängt ein Problem gefühlter Agonie an.
Subsidiarität ist pauschal kein Argument für sich. Es ist eine Option zur Gestaltung rationaler Beziehungen. Die Beziehung Bürger – Verwaltung ist nicht subsidiär. Die Verwaltung erfüllt ihren Sinn als öffentlicher Dienst in einer Partnerschaft zu den Einwohnern eines Landes, den Mitbürgern. Der wesentliche Anhaltspunkt ist dabei die Anerkennung des Menschen als Mensch, nicht nur als Fall, und noch weniger als Etwas dem Handeln von Verwaltung als untergeordnet zu behandelndem. Auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des öffentlichen Dienstes sollen die Chance erhalten, in die Reichweite der Gleichheit eintreten zu können, diese wahrzunehmen. Dazu gehört, dass man sie derart wahrnimmt. So wenig wie sie Befehlsempfänger / Befehlsempfängerin des Bürgers, der Bürgerin sind, so wenig sind sie Befehlsgeber / Befehlsgeberin. Sollte diese wesentliche Grundkonstellation durchbrochen sein, entlarvt sich ein den Grundrechten zuwiderlaufender Prozess selbst. Das heißt von einer Seite her Amtsmissbrauch, von der anderen anmaßendes Verhalten. (Oder verbale Notwehr).
Mit dem Erhalt der Nachkriegsverfassung und der Erneuerung mit der Vereinigung ist die Deutsche Gesellschaft kein Sklavenhaltersystem, kein Sträflingssystem und kein Dienstsystem mehr. Niemand kann gezwungen werden, gegen den eigenen Willen anderen zu Diensten zu sein. Angenommene Hilfe (im gemeinten Sinne) eröffnet kein Schuldverhältnis, Hilfe im Sinne der Wohlfahrt ist kein Kredit, und Schuldsklaverei ist ein mittelalterliches Thema, kein aktuelles. Das gilt in allen gesellschaftlichen Fragen, seien diese wirtschaftlicher, ökonomischer, religiöser, moralischer, ethischer, politischer, technischer, rechtlicher oder sonst einer Art. Ausnahmen kommen in Momenten des (allgemeinen) Notstandes in Frage. Oder im Zusammenhang damit. Die (gefühlte) Schuld gegenüber einem Freund, einer Freundin, welche helfen, leihen etc, sogar möglicherweise innerhalb der Familie, ist zunächst ganz anderer Natur.
Der Zustand der Hörigkeit ist objektiv nicht nur aufgehoben wie ausgesetzt, sondern abgeschafft (GG Artikel 12, Artikel 2). Subsidiarität bezeichnet daher nie ein einfaches Verhältnis von Mensch zu Mensch (GG Artikel 3). Das Moment der Unterordnung, welches im Adjektiv subsidiär liegt, wird stattdessen im Amtsverhältnis (arbeitsrechtlich) durch entsprechende Zuwendungen aufgewogen. Das ist das Verhältnis Arbeitgeber – Person bzw. Dienstherrin – Amtsperson und daraus entsteht die subsidiäre Konstellation. Das heißt Bürokratie als Beschäftigungszweig und Tätigkeitsbereich. Das muss man klar von der Außenwirkung amtlichen Handelns trennen können. Ausnahmen sind zulässig, sofern es um die Sicherheit, die Unversehrtheit usw. der Öffentlichkeit oder Personen geht (zumeist im speziellen Verständnis der Exekutive, woran gar nicht in erster Linie zu denken war). Soweit muss und kann jeder Mitbürger, jede Mitbürgerin die Behörden einschätzen. Im Falle des Zuwiderhandelns ist der (Amts-) Person die Kündigung nahezulegen.
Eventuell mangelt es gar nicht an einem freiheitlichen, demokratischen Selbstverständnis der Bevölkerung, wie man in den allgegenwärtigen Medien-Diskussionen (Rassismus, Sexismus) oft hört oder nahegelegt bekommt. Vielleicht ist die Bevölkerung gar nicht so unpolitisch oder Politik verdrossen, wie oft behauptet wird (Wahlverhalten, Engagement). Unter Umständen besitzt der Mensch sehr wohl ein intuitives Verständnis dafür, wann man seine oder ihre Persönlichkeit kränkt, herabsetzt, verletzt, beleidigt, nutzbar macht, in den Dreck tritt, durch den Kakao zieht, der Lächerlichkeit preisgibt, dem Schwachsinn ausliefern will, der Hirnlosigkeit aussetzt usw. Und dabei muss nicht mal ein spezielles juristisches Wissen vorausgesetzt werden. Soll sich keine und keiner sagen lassen müssen, das hätte ein Gesetzgeber, eine Gesetzgeberin so bestimmt. Es wäre schlicht eine Lüge. Und haben wir das nötig, uns anlügen zu lassen?!
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