Fällt Springer ins woke Delirium, fällt die Bundesrepublik mit

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Rezension zu „Generation Gleichschritt“ von Ralf Schuler

Zu Beginn der Lektüre von Ralf Schulers „Generation Gleichschritt“ lohnt der Blick auf den springerschen Hausgott. Axel Cäsar Springer legte 1967 in ehernen Lettern seine verlegerischen Grundsätze nieder:

Das unbedingte Eintreten für den freiheitlichen Rechtsstaat Deutschland als Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft und die Förderung der Einigungsbemühungen der Völker Europas

Das Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen, hierzu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes     

Die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika         

Die Ablehnung jeglicher Art von politischem Totalitarismus           

Die Verteidigung der freien sozialen Marktwirtschaft.        

Diese Unternehmensverfassung definierte gesellschaftspolitische Grundüberzeugungen, gab aber keine Meinungen vor. Wer bei Springer arbeitete, musste wissen, wie Haus und Chef ticken. Die Grundüberzeugungen wurden infolge Deutscher Einheit und Europäischem Einigungsprozess mehrfach aktualisiert. Eintreten für ein vereinigtes Europa im ersten Grundsatz und Ablehnung von Diskriminierung sexueller Orientierungen im fünften Grundsatz kamen hinzu. Der Hausgott dürfte damit in seinem verlegerischen Olymp leben können. Solange der Götterbote Hermes keinen Widerspruch kundtut, können wir getrost davon ausgehen.

Soweit zum Verfassungstext im Hause Springer. Üblicherweise gehört der Vergleich von Verfassungstexten und Verfassungsleben zu den interessanten das Alltagsleben prägenden Einblicken. Immer galt, je stärker Verfassungstext und Verfassungsleben auseinanderklaffen, desto autokratischer, unbeliebter und nichtakzeptierter ist ein Staat für sein Staatsvolk. Kann das Volk nicht türmen, rebelliert oder findet es sich lethargisch damit ab, über sich eine thronende Autistenblase zu wissen. Die Plebejer im alten Rom bewiesen, wo der Hammer hängt. Sie zogen ab 494 vor unserer Zeit dreimal aus und die Patrizier waren jedes Mal plötzlich allein zu Haus und mussten beidrehen. Volksversammlung und Volkstribunen wurden geschaffen, Zwölftafelgesetz, Mandate auch für Plebejer und Ordnung zogen in den Alltag ein.  Mit der Lex Hortensia 287 vor unserer Zeit galten dann Rechte und Pflichten für alle Bürger Roms, egal ob Patrizier oder Plebejer. Ausgenommen blieben noch sehr lange die Sklaven. Gleichschritt aller Quiriten? Eher nicht.

Das Verlagshaus Springer ist kein Staat, besitzt aber eine Verfassung. Was den Vergleich von Text und Alltag bei Springers zu Hause geradezu erzwingt. Passen Springers Verfassung und Springers Alltag noch aufeinander oder überlappen die sich nur noch teilweise? Mehr Schein als Sein? Springer nun ebenfalls auf dem Weg ins irdische Paradies mit fünf Jahrzehnten Verspätung nach den Lieblingsfeinden des Hauses Springer – den 68ern?
Was machen Springers Plebejer und Sklaven – die Leser die Journalisten? Die Zahlen der Printmedien belegen, die springerschen Plebejer, die klassischen Leser, ziehen seit Jahren aus. Was das Haus Springer nicht zu verunsichern scheint. Man setzt auf die Internetwelt und lässt den treuen Leserstamm von dannen ziehen.

Bei Springers geht es auch ohne die Plebejer. Was wiederum die springerschen Sklaven, die Journalisten, im Gegensatz zur springerschen Nobilität berühren wird. Sie werden freigesetzt, die Patrizier bleiben. Springer entleibt sich von Axel Cäsar und wird woke.

Ralf Schuler, viele Jahre wichtiger Springermann in Berlin, berichtet aus dem Maschinenraum des Hauses Springer. Die Lektüre lohnt und lässt irritierende Perspektiven auf die Republik zu, die vor drei Jahrzehnten Heimat und Ziel vieler deutscher Freiheits-, Demokratie- und Sicherheitsliebender war.

Was bringt einen arrivierten Journalisten dazu, seinen interessanten Job bei der auflagenstärksten europäischen Tageszeitung aufzugeben? Im jugendlichen Sturm- und Drangalter ist er schon länger nicht mehr. Seine Beweggründe liegen tiefer und sind ernsthafter Natur.

Ralf Schuler, Jahrgang 1965, wuchs in einer gleichgeschalteten Gesellschaft auf. Mitlaufen war gewünscht, Widerhaltung war riskant. Nicht auf alles stand Verfolgung oder Gefängnis. Doch wusste niemand, an welcher Stelle der manchmal fließenden Grenzen zwischen erwünscht und despektierlich er oder sie sich gerade befand. Klar war nur, Kritik an der SED und dem Staat (in dieser Reihenfolge, da der Staat der SED und deren MfS gehörte), an der Sowjetunion und an der mächtigen, weil einzig wahren Theologie des Marxismus-Leninismus war nicht ratsam, weil in die Mühlen von Überwachung, Verfolgung, Zersetzung, Existenzvernichtung und Verhaftung führend. Einmal in den Akten, immer in den Akten. Auf die richtige Haltung kam es an. Gesellschaftsarchitektur war ehernes Gesetz. Der Einzelne hat zu ticken, wie es die Partei- und Staatsführung festlegte. Meinungsfreiheit gab es nur für die, die Meinung von SED und Staatsführung in Reinkultur vertraten.

Es bedurfte sensibler, leistungsstarker „Antennen“, um „zwischen den Zeilen“ den politisch eigenen Weg zu gehen. Diese „Antennen“entwicklung war so zwangsläufig wie wuterzeugend. „Antennen“, einmal so unter Risiko in den Kopf gebrannt, degenerieren nicht. Die funktionieren immer.

Die Deutschen aller Bundesländer sollten sich freuen, dass es diese „Antennen“träger gibt! Freiheit und Demokratie sind immer in Gefahr, sei es durch Rechts- oder Linksaußen, sei es durch den Islamismus, sei es durch eine Gesellschaftsarchitektur, die keine Rücksicht auf die Gesamtbevölkerung nimmt und Minderheiten bevorzugt statt diesen Gleichwertigkeit zu garantieren.

Ralf Schuler berichtet über Entwicklungen im Haus Springer, die seine „Antennen“ zum Schwingen brachten. Er hätte seine „Antennen“ mit den Fundamenten aus dem Kopf „ziehen“ müssen, hätte er weiterhin für BILD aus Berlin berichten wollen. Selbstverleugnung heißt das und ist mit ihm nicht zu machen. Wo Wendehälse gebraucht werden, ist für ihn kein Platz.

Ab Seite 17 schildert er anhand von Mathias Döpfners Kniefall vor der LGBTO-Bewegung seinen Anlass für das Buch. Am 1. Juni 2022 riefen namhafte Wissenschaftler in der „Welt“ dazu auf, „biologische Tatsachen und wissenschaftliche Erkenntnisse wahrheitsgemäß darzustellen.“ (S.18/19).  Sie forderten eine Abkehr von der ideologischen Betrachtungsweise des Themas Transsexualität und eine faktenbasierte Darstellung biologischer Sachverhalte. „… Ausgangspunkt ist die Falschbehauptung, es gäbe nicht nur ein männliches und ein weibliches Geschlecht, sondern eine Vielfalt von Geschlechtern und Zwischenstufen…“ (S.18).

Schuler schreibt „Ein im Grunde unspektakulärer Beitrag mit einer völlig legitimen Sicht, die man teilen oder infrage stellen kann…Doch es kam anders. Die Transgenderlobby… ging auf die Barrikaden.“ (S.19). Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung winkte mit dem Zaunpfahl und fragte, wem Springer eine Bühne böte. Es war eine Aufforderung, Pressefreiheit hinter politische Opportunität zu stellen. Also, Menschen mit den „Antennen“ Schulers muss das sehr bekannt vorkommen. Das soll sich nicht wiederholen, erst recht nicht in der Bundesrepublik.

Der queere Wink mit dem Zaunpfahl erzielte Wirkung. Das Haus Springer, längst woke- und gendersturmreif durchgeschüttelt, unterwarf sich in Person Mathias Döpfner nicht nur einfach so, sondern entblödete sich nicht, den sachlichen Beitrag der Wissenschaftler als „unterirdisch, oberflächlich, ressentimentgeladen ‚und‘ herablassend“ in die woke Tonne zu treten. Die woke Entleibung des Hauses Springer.

Alles, was bis vor wenigen Jahren an überaus klugen und intellektuell Maßstäbe setzenden Texte aus Kopf und Hand Döpfners an die Öffentlichkeit ging, ist entwertet. Was stimmt denn nun am Herausgeber und seinen Wegweisungen? Ist er so arm dran, dass er wie seinerzeit Valerian dem persischen König Schapur als lebendige Leiter zum Aufstieg auf dessen Pferd dienen musste, der Zeitgeistunwissenschaftlichkeit die Springerwelt zu Füßen legt? Valerian als römischer Kaiser hatte in Gefangenschaft keine Chance, Döpfner ist weder Kaiser noch in Gefangenschaft. Stolz ist aus der Mode gekommen und wird überbewertet.

Springer, das Bollwerk gegen Zeitgeist und linkes Revoluzzertum …, knickte ein vor einer Lobby. … bat jetzt darum, in die Gunst der Trans-Lobby wieder aufgenommen zu werden. … Zum anderen ist in der Nachkriegsgeschichte, politisch wie verlegerisch, bisher selten so offen brutal gegen eine völlig vertretbare Meinung vorgegangen worden.“ (S.20/21).

Ralf Schuler brachte am 9. Juni 2022 in einer Redakteurskonferenz mit Mathias Döpfner sieben Kritikpunkte vor:
1. Döpfners Intervention wurde … nicht als Meinungsäußerung, sondern als Befehlsausgabe gewertet.
2. Der inkriminierte Text war völlig akzeptabel und weit unter der der Schwelle, an der ein Konzernchef eingreifen muss.
3. Im Falle eines Eingriffs hätte der erste Satz lauten müssen: ‚Selbstverständlich muss ein solcher Text … möglich sein.‘
4. Die Autoren des Aufrufs hatten schlicht recht, weil Biologie sich nicht … überlisten lässt… 5. Es ging um die demokratische Kultur… kann man unmöglich mit Unterwerfung reagieren… .
6. Ich halte es aus Gründen des Jugendschutzes für völlig unverantwortlich, Heranwachsenden zu suggerieren, in Pubertät und Lebenskrisen sei der Wechsel des Geschlechts ein probates Mittel… .
7. Der Verlag machte sich hier mit einer Bewegung gemein, die meiner Meinung nach radikal und militant den Umbau der Gesellschaft betreibt. …“
(S.21/22).

Interessant der aus dieser Diskussion folgende tiefe Einblick in den Maschinenraum bei Springer. „In der Konferenz selbst äußerten sich kaum Kollegen. Dafür bekam ich hinterher aus allen Teilen des Hauses Mails, Direktnachrichten und SMS, die mir für die klare Aussprache dankten.“ (S.23). Ein Deja-vu. Wie anno dunnemals in der DDR, nur ohne elektronische Medien. (GW). Siebenunddreißig Jahre nach Axel Cäsar Springers Ableben obsiegte der Geist der „DDR“ in seinem Hause. Ein Geist, den die Protest-PDS-Wähler der 90er in die Parlamente wählte und der sich mit Hilfe von SPD und Grünen samt der Alt-68er seit 1990 vereinigen konnte. Bei Springers wuchs zusammen, was für Springer bis zur Ära Merkel nie zusammengehörte: Demokratie und Unterwerfung. Das isn Ding. Was kommt noch alles auf uns zu?

Ralf Schuler schreibt selbstverständlich nicht nur über Entwicklungen im Springer-Verlag. Das wäre zu kurz gesprungen. Ihn treibt die allgemeine Verdrängung von Meinungsfreiheit und demokratischem Standvermögen im Lande um. Was am Inhaltsverzeichnis gut ablesbar ist:

Einleitung von Dieter Nuhr

Prolog
Wie es zu diesem Buch kam
Ein Kniefall und eine Zäsur
Binnenpluralität bei Springer
Die LGBTQ Safe Zone
Expedition zum Ursprung des Nebels

1. Links, zwo, drei … Oder Eine Bestandsaufnahme
Damals
Vorsicht, Redeverbot!
Viele kleine Puzzleteile
Schleichende Veränderung
Smells like Zensur
Vielfalt? Klingt gut!
Links, schwenk – marsch?

2. Herdentrieb: Wie Konformität die Freiheit unterwandert
Gewärmte Seelen im Gleichklang … Oder: Der Machtmensch

Der Hass der Herde
Die stillen Netzwerke der Macht
Die Umwertung der Werte
Universitäten und radikale Intellektuelle
Vom ‚neuen Menschen‘ zum ‚neuen Bürger‘
Quoten als Fachwerk einer neuen Gesellschaft
‚Hass und Hetze‘ als Nebelkerze
Sprache zur Umprogrammierung im Kopf
Die (Un-)Kultur des Löschens und Verschweigens
Universitäten als Nährboden von Intoleranz
Verbissen und verbiestert
Meinungsfreiheit und die ‚falsche‘ Ausgewogenheit
Eine Debatte mit nur einer zulässigen Meinung ist keine
Trickreiches Aushebeln der Meinungsfreiheit
Die Rückkehr der Räterepublik
Wie man Meinung macht
Der Fall Karon
Die Masse macht’s – Mitlaufen aus Kollektivgeist

3. Der Preis der Meinungsfreiheit: Man kann alles sagen, aber
Die Freiheit des Andersdenkenden
Heul doch!
Freie Meinung oder sozialer Tod?

4. Vom Jeder zum Ich… Oder: Wie man mentale Leitplanken aufbricht
Rezepte gegen den Ungeist
Heilsame Individualität

5. Merkel-Jahre
Das Phänomen Merkel
Vermeidung kognitiver Dissonanzen
Überzeugungen? Flexibel!
Meinungsstreit-Verweigerung
Unmusikalisch auf der konservativen Seite
Machtmechanikerin Merkel
Machtprobe: Die einsamste Reise der Kanzlerin
Entkerntes Unions-Erbe

Epilog
Der Verfassungsschutzchef als Polit-Kommissar
Küsse unterm Regenbogen: Die Fußball-WM in Katar
Mein Ende bei BILD
Mit fröhlichem Ernst aus der Reihe tanzen!

Ralf Schuler gewann Dieter Nuhr für das Vorwort. Ein gelungenes Vorwort mit einem klitzekleinen Mangel. Die Verantwortung für die inflationäre Internet- und gesellschaftliche Zensur gibt Dieter Nuhr einzig und allein bei den durch Framing geschulten Minderheiten und dem daraus produzierten Druck auf die Medien, sich konform zu verhalten.
Ich staune ob des Dieter Nuhrs scheinbaren Unwissen über das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz (Netz-DG) in Verbindung mit weit über einhundert Millionen Euros pro Jahr für regierungsfreundliche NGOs. Die Stimmung machts – zusammen mit den Hebeln des Netz-DGs. Und das soll ausgerechnet Dieter Nuhr nur nicht wissen?

Das Netz-DG macht die Internetplattformen zu informellen Mitarbeitern der Regierung. So wie in der DDR der Gastwirt irgendwie in Haftung genommen für das, was am Stammtisch in seiner Kneipe gesprochen wurde. Die Bundesregierung hat das Spitzeln und Zensieren outgesourct. Plattformen als Subunternehmer des Innenministeriums. Gut gelernt von der „DDR“. Anführungs- und Ausführungszeichen sind hier Springers DDR-Einrahmungen.

„Generation Gleichschritt – Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde“ – eine dringende Leseempfehlung!

Generation Gleichschritt, Ralf Schuler, Fontis-Verlag Basel; ISBN 978-3-03848-260-4, 2023;
1. Auflage; 242 Seiten; 22,90 EUR https://www.fontis-shop.de/products/generation-gleichschritt

Einführungstext:
Alles, was bis vor wenigen Jahren an überaus klugen und intellektuell Maßstäbe setzenden Texte aus Kopf und Hand Döpfners an die Öffentlichkeit ging, ist entwertet. Was stimmt denn nun am Herausgeber und seinen Wegweisungen?

Quelle Weissgerber – Freiheit