F. Scott Fitzgerald. Der GROSSE GATSBY

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ILLUSTRIERT VON ADAM SIMPSON. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Hans Christian Oeser. Anmerkungen und Nachwort von Susanne Lenz. Ditzingen (RECLAM) 2012,2020,2022, 28.-€, 238 S., ISBN 978-3-15-011430-8

Das seit 1925 in 45 Übersetzungen weltweit veröffentlichte Romanepos hinterlässt in der Publikation des Reclam-Verlags auf den ersten Blick einen bewunderungswürdigen Eindruck. Er wird ausgelöst durch die illustrative Gestaltung des Hardcover-Umschlags wie auch durch die grafische Umsetzung eines Textes, an der zwei weltweit anerkannte Künstlerpersönlichkeiten partizipierten: Adam Simpson, der mit seiner in London angesiedelten Kunst-Agentur bereits durch seine zahlreichen innovativen  Buchillustrationen ein hohes Renommee gewonnen hat, und Katie Benezra, eine amerikanische Designerin, die auf der Grundlage der Centaur- Schrifttypologie die buchtechnische Gestaltung des „Großen Gatsby“ übernahm. Das Buch ist mit vier doppelseitigen und fünf einseitig stilisierten Farbbildern von Adam Simpson illustriert. Es enthält ein umfassendes Anmerkungsregister und ein einfühlsames, ausführlich kommentierendes Nachwort aus der Feder von Susanne Lenz.

Der in seiner Erzählperspektive vielfach verschachtelte Roman wird eingeleitet durch zwei Widmungen. Die erste ist Fitzgeralds Ehefrau Zelda gewidmet, mit der er zwischen 1918 und 1919 verheiratet war. Die zweite wird einem gewissen Thomas Parke D’Invilliers zugeschrieben. Der Vierzeiler bezieht sich auf Jay Gatz, der Hauptfigur des Romans The Great Gatsby, und dem ihm zugeschriebenen sagenhaften Reichtum. Er wird durch den Goldhut symbolisierte, nach dem Daisy, seine Geliebte, springt, um ihn und sein Gold zu erhaschen. Thomas Parke D‘Invilliers figuriert als John Peale Bishop in Fitzgeralds erstem Roman „This side of paradise“. Diese Verknüpfung von Widmung und Romanepos führt in den Kern des Handlungsstrangs, in dem Daisy in der Erinnerung von Jay Gatsby von dem Gefühl einer stetigen Langeweile geprägt ist. Verheiratet ist sie mit Tom Bucharan, einem brutalen, skrupellosen Polo-Spieler und Millionär. Nick Carraway, eigentlicher Erzähler des Romanepos, präsentiert ihn im 1. Kapitel, wo er als Cousin von Daisy in den Handlungsstrang eingeführt wird. Erst im Kapitel 3 taucht Jay Gatz in einer doppelten Funktion auf: als mondäner Veranstalter von Wochenend-Partys in seiner pompösen Villa auf der Halbinsel Long Island in der Nähe von New York und als von Legenden umgebene Persönlichkeit, die ihren sagenhaften Reichtum maskenhaft kaschiert. Gatsby, wie ihn Nick, Villennachbar des Krösus, nennt, erweist sich bei der ersten, eher zufälligen Begegnung mit seinem Nachbar als wenig gesprächig. So ist er ist während seiner Partys auf den Beistand seines Butlers angewiesen, der ihn auffällig häufig zu dringenden Gesprächen ans Telefon ruft.

Es ist ein besonderes Merkmal der Erzählstruktur des Romans, dass dessen Figuren auf dialogische Weise in die Handlung eingeführt werden. Diesem narrativen Grundsatz folgen auch die folgenden Kapitel, in denen der Erzähler seine sich häufenden Begegnungen mit Gatsby benutzt, um Figuren einzuführen, die im tragischen Finale auf überraschende Weise auftreten und in das Handlungsgefüge eingebaut werden. Besonders markant ist die Figur des Mr. Wolfshiem, Boss der jüdischen Treuhandgesellschaft Hakenkreuz, enger Freund von Gatsby. Fitzgerald schreibt ihm versteckte und offene antisemitische Kennzeichen zu und bezichtigt ihn, ein zwielichtiger Betrüger und Alkoholschmuggler zu sein. Überraschenderweise kommentiert Susanne Lenz in ihrem brillanten Nachwort diese Zuschreibung nur en passent, obwohl das zweite Merkmal als Nachweis für das hochstablerische Wesen seiner Hauptfigur dient, die augenscheinlich von Wolfshiem protegiert wurde.

Das tragische Endspiel um Tom Bucharan, dessen Ehefrau Daisy, Gatsby wie auch Myrtle Wilson, der Geliebten von Tom, setzt im Kapitel VIII ein. Gatsby und Tom beschuldigen sich gegenseitig, ein unehrliches, verpfuschtes Liebesverhältnis zu Daisy geführt zu haben. In einem New Yorker Restaurant zeichnet sich das Vorspiel zur Tragödie ab. Auf der Rückfahrt nach Long Island in zwei Autos passiert der tödliche Unfall. Daisy am Steuer des einen Wagens überfährt Myrtle Wilson, Gatsby nimmt sich rätselhafterweise in seiner Villa das Leben. Daisy und Tom  reisen überstürzt mit unbekannten Ziel ab, Mr. Wolfshiem kann aus „geschäftlichen“ Gründen nicht an der Beerdigung des „Großen Gatsby“ teilnehmen. Nur drei Personen nehmen auf dem Friedhof von ihm  Abschied. Der im letzten Augenblick angereiste Vater von Jay Gatz, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, Eulenauge, ein unbekannt bleibender Bewunderer der „echten“ Bücher in Gatsbys Bibliothek und der Ich-Erzähler Nick Carraway, der „seinem“ Gatsby mit einem wehmütigen Blick auf den Atlantik gesteht, dass „er an das grüne Licht [glaubte], an die orgastische Zukunft, die Jahr für Jahr ein Stück vor uns zurückweicht.“(S. 210)

Es ist sicherlich eine euphemistische Zuschreibung, wenn in den zahlreichen Rezensionen zu diesem „Jahrhundertwerk“ immer wieder von der Sorglosigkeit der Reichen die Rede ist, denen Scott Fitzgerald ins Gewissen geschrieben habe. Das im Geiste der „roaring twenties“ entstandene Romanepos nimmt vielmehr intuitiv auch die schwere soziale und psychische Krise der amerikanischen upper class der 1930er Jahre vorweg, indem es an der verschwommenen Leitfigur des „great Gatsby“ nicht nur das schillernde hochstablerische Wesen des American Way und dessen Illusionen aufzeichnet. Vielmehr entlarvt die fiktionale Struktur des Romans auch die Charakterzüge derjenigen, die sich nach dem Elend der zwanziger Jahre aus dem Staub machen, obwohl sie die Nutznießer und Kostgänger eines verrotteten Systems sind, eines pathologischen Systems, das immer wieder in sich erstaunliche kapitalistische Triebkräfte entwickelt, die ungeachtet der verrotteten Vergangenheit genügend Überlebensenergie erzeugen. Die im Romanepos von Fitzgerald als Randfiguren auftretenden Protagonisten beweisen dies zur Genüge. Es sind Randbemerkungen zu einem Text, der immer wieder kritisch gewürdigt wurde und dennoch wenig von seiner hundertjährigen Anziehungskraft verloren hat.

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