SINGER PUR. Sie stehen brav aufgereiht, ganz in Schwarz. Die Herren, drei Tenöre, ein Bariton, ein Bass mit Einstecktüchlein, die Dame mit Halskette, so silbern wie ihr Sopran (Foto 1). Sie nennen sich SINGER PUR. Großgeschrieben. Grund: Sie sind groß-artig. Nicht groß-spurig. In aller Bescheidenheit traten sie vor die Altarstufen der Burghauser Pfarrkirche St. Jakob und zogen, anderthalb Stunden ohne Verschnaufpause, ihr bejubeltes Programm „Vokale Zeitreise“ ab. Das Ensemble wurde, natürlich mit anderer Besetzung, vor 25 Jahren gegründet. Es hat seither eine Batterie hochlöblicher Preise eingespielt. Genau: eingesungen. SINGER PUR nimmt den Namen wörtlich: Singen pur. Unbegleitet. Reiner Vokalgesang – reinste Freude für den Konzertbesucher.
Der musste nicht nach dem Motto „Augen zu und durch“ dasitzen, er hatte diese reinste Freude auch optisch. Nicht einmal die Notenpulte vor der Brust störten – die Singenden ließen sie für ihre vier letzten Stücke – Titel: „Herzenswünsche“ – weg für Irisches, Britisches und Amerikanisches quasi aus dem Bauch heraus, doch begleitet von Fingerschnippen und Händeklatschen.
Oh Himmel, dachte man beim Überfliegen des Programms vielleicht, „Timor et Tremor“ von Orlando di Lasso, so was „Heiliges“! War aber nur der „Aufbruch“ zu „Skandinavischen Abenteuern“ mit Songs von Wikander, Lindberg, zu „Modernen Klassikern“ wie Ivan Moody und John Cage, vorgewärmt von Ommerror Dawsons schrägem „Come unto me“ (prompt unfreiwillig getoppt von einem vor St. Jakob aufheulenden Motorgeräusch), um zu „Back to the roots“ zu gelangen mit „Crystal silence“ von Chick Corea, Berlins „Cheek to cheek“ und zwei Versionen von „Cantai, or piango“: Ich sang, jetzt weine ich.
Zu weinen gab es beileibe nichts. Vielmehr zu lachen – über Volkslied-Arrangements mit Norbert Ochmanns pfiffigem Schneider Meckmeckmeck-Gesang und Wolf Kerscheks wild-grauslichem Hexen-Locken für Hänsel und Gretel. Selbst bei so tragischen Romanzen vom König in Thule und „Darthulas Grabgesang“, für den Brahms triste Töne fand, war alles reinstes Hörerglück. Grund: Kristallklarer Klang. Wie aus einer Kehle. Wie aus einem Guss. Ein einziges Klangwunder. Applaus pur für SINGER PUR. Kaum zu toppen diese grundmusikalischen Leute: Claudia Reinhard, Rüdiger Ballhorn, Markus Zapp, Manuel Warwitz, Reiner Schneider-Waterberg (dem knappe Kommentare zu danken sind) und Marcus Schmidl, der sich aufs Singen ebenso wie aufs Arrangieren versteht.
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Sie war schon als Steppke eine Attraktion, als sie „Pack die Badehose ein“ trällerte und als Berliner Kinderstar berühmt wurde: Cornelia Froboess (Foto 2). Die gefragte Charakterdarstellerin auf (vor allem Münchner) Theaterbühnen und im Fernsehen, Gattin des Ex-Gärtnerplatztheater-Intendanten Hellmuth Matiasek, ist inzwischen 74 Jahre alt und kein bisschen müde. Bei den Europäischen Wochen Passau (noch bis 6. August) als Märchenerzählerin engagiert, gastierte sie als Rezitatorin mit der uralten Herz-Schmerz-Geschichte von der „Schönen Magelone“ in der Aula des KuMax-Gymnasium zu Burghausen.
Das anderthalbstündige Nachmittagsprogramm bestritt die zierliche Aktrice gemeinsam mit dem neuen Passauer Festwochen-Intendanten Thomas E. Bauer, Bariton und der ausgezeichneten, aus Japan stammenden, in München ausgebildeten Pianistin Akemi Murakami. Sie übernahm mit großem Erfolg den schwierigen Klavierpart des Liederzyklus von Johannes Brahms zu Ludwig Tiecks aus dem Altfranzösischen geholten Romanzen um die sagenhafte Prinzessin Magelone. Die hatte sich, wie die Froboess in ihrer großmütterlich-noblen, verschmitzten Art Abschnitt für Abschnitt sitzend und schmunzelnd dartat, unsterblich in den bildhübschen, versonnenen Grafen Peter von Provence verliebt und daher die für vom König von Neapel vorgesehene reiche Partie, die der Herr von Campone wohl gewesen wäre, ausgeschlagen.
Der altertümlich anmutende Text war für die relativ kleine Zuhörerschaft, die sich hauptsächlich aus Silberhaar und Perlenkette rekrutierte, kein Hindernis, sich von selbiger und ihren diversen Aufs und Abs widriger Geschehnisse in Feindesland und auf hoher See aufs Schönste unterhalten zu lassen. Thomas E. Bauer bot mit seinem charakterstarken, zu Dramatik und Lyrik gleichermaßen fähigen warmen Timbre die Lieder, die Peter von Provence meist zur Laute gesungen haben soll: „Liebe lässt mich nicht verschmachten, / Bis das Leben sinkt! / Nein, der Strom wird immer breiter, / Himmel bleibt mir immer heiter, / Fröhlichen Ruderschlags fahr` ich hinab, / Bring` Liebe und Leben zugleich an das Grab …“. Wie passend, dass an dieser Stelle die ach, so schöne Magelone ihrem ach, so treuen Geliebten eine „güldene Kette“ umhängt, so dass dieser nicht anders kann als gleich wieder „in die Saiten“ zu greifen und „mit großer Inbrunst“ weiterzusingen.
Dem Schmalz der Tieck`schen Dichtung kamen Christian Gerhaher, Bariton, Liedbegleiter Gerold Huber und Ulrich Tukur als Erzähler vor wenigen Tagen bei den Münchner Opernfestspielen aus: Da las der hintertriebene Tukur, der am Froboess-Gastspiel-Tag 60. Geburtstag feierte, den wesentlich amüsanteren, weil parodisierenden Text von Martin Walser. Doch den Burghausern gefiel, was sie von Bauer, Froboess und Murakami aus Tiecks Feder zu hören bekamen, überaus gut.
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