Der Autor geht davon aus, dass Emmanuel Macron als französischer Präsident auf Europaebene den Schulterschluss mit der liberalen Parteienfamilie (ALDE Party) suchen wird. Die würde ihn begeistert empfangen. Doch wären die Franzosen kein pflegeleichter Partner…
Für die liberale Bewegung in Europa deutet sich ein Quantensprung an: hartnäckig halten sich Insiderhinweise, der neue französische Präsident Emmanuel Macron (39) werde mit seiner in Gründung befindlichen Partei „La République en Marche!“ (Republik in Bewegung) in die „Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa“ (ALDE Party) eintreten. Damit hätte der Verbund der drittgrößten europäischen Parteienfamilie, zu der auch die FDP gehört, erstmals die regierende Partei und zugleich den Staatschef eines großen EU-Landes in seinen Reihen. Bisher fischen die Liberalen eher an der Peripherie.
Die Gerüchte um den Shootingstar werden auffälliger Weise aus Belgien befeuert. Dass zu den Kolporteuren die angesehene Zeitung Le Soir und das konservative Intelligenzblatt La Libre (beide Brüssel) gehören, dürfte kein Zufall sein. War es doch der ehemalige Belgien-Regierungschef Guy Verhofstadt (64), der in den entscheidenden französischen Wahlwochen auf Europaebene am lautesten für den sozialliberalen Macron getrommelt hat. Öffentlich rief er dazu auf, Macron in der Stichwahl „rückhaltlos“ zu unterstützen. Sein Erfolg werde „ein Sieg der französischen Republik über ihre Feinde sein.“
Kraft gegen das EU-Machtkartell
Noch schwärmerischer war nur Verhofstadts französische EU-Fraktionskollegin Sylvie Goulard, die als Premierministerin Macrons gehandelt wird und in dessen Wahlkampagne Macrons mitgemischt hatte. „Ein weltoffenes und tief in Europa verwurzeltes Frankreich wird die Welt überraschen, sich reformieren und Wunden heilen,“ schrieb die 54jährige Politikerin und Essayistin aus Marseille in einem Artikel für die proeuropäische britische Zeitung „Guardian“. Die gleichermaßen deutschland- wie italienaffine Französin Goulard, der umtriebige und ehrgeizige ALDE-Fraktionschef Verhofstadt und der eher im Hintergrund ackernde ALDE-Parteichef Hans van Baalen (56, Niederlande) gelten als Akquisiteure Macrons.
Für die aus 58 Parteien zusammengesetzten Europa-Liberalen wäre Verstärkung aus dem zweitgrößten Land Kontinentaleuropas jedenfalls enorm willkommen. Seit Jahrzehnten kämpfen sie gegen das dominierende Machtkartell in der EU. Dieses besteht aus der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) und der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE). Zuletzt scheiterten Versuche, erst das Amt des EU-Kommissionschefs und dann das des EU-Parlamentspräsidenten zu erobern. Zu dick war das Gestrüpp der Großen.
Ein neuer liberaler Superstar wäre aufmerksamkeitsstark
Mit Macron als Schwergewicht könnte die liberale Machete schlagkräftiger werden, hofft man im ALDE-Hauptquartier an der Brüsseler Rue d’Idalie 11. Dort sitzen engagierte Proeuropäer, die für liberale Erfolge brennen. Ihr jüngster Motivationsschub kam in den ersten Apriltagen: als erste paneuropäische Bewegung wurde ALDE nach neuem Europäischen Parteienrecht als unionsweite politische Partei anerkannt, während die Konkurrenten nur nach belgischem Recht registriert sind. Schon bei der Gründung 1976 hatten die Liberalen die Nase vorn, als der spätere FDP-Vorsitzende Martin Bangemann (83) 14 Parteien aus damals sieben EG-Mitgliedstaaten zusammenführte.
Mit Macron hofft man bei ALDE auf neuen Schub, um die ewige Rolle als dritt- oder viertgrößter Kraftfaktor im EU-Gefüge zu überwinden. Derzeit stellt ALDE in der EU acht der 28 Staats- oder Regierungschefs. Das sind Charles Michel (Belgien), Ognyan Gerdzhikov (Bulgarien), Lars Løkke Rasmussen (Dänemark), Jüri Ratas (Estland), Juha Sipilä (Finnland), Xavier Bettel (Luxemburg), Mark Rutte (Niederlande) und Miro Cerar (Slowenien). Kaum jemand von ihnen ist über die eigenen Staatsgrenzen hinaus wirklich sichtbar.
Pflegeleicht wären Macron & Co aber nicht…
Noch ist es jedoch eine Weile hin, bis die ALDE in der Sonne des neuen „Königs“ von Frankreich glänzen kann. Denn der muss zunächst aus seiner Bewegung „En Marche!“ die Partei „La République en Marche!“ formen und einen Wahlkampf stemmen, um in der Nationalversammlung eine regierungsfähige Mehrheit bilden zu können. Erst dann dürfte ein Parteitag den Aufnahmeantrag an die ALDE beschließen, den der ALDE-Parteikonvent Anfang Dezember in Amsterdam billigen könnte.
Dass Macron zu den Liberalen kommt wäre jedenfalls folgerichtig. Die fordern nämlich nicht erst seit gestern einen Neustart für Europa. Das wird zwar auch mit Macron nicht auf Knopfdruck gelingen, denn man manche seiner Ideen stoßen bei nationaler gesinnten Liberalen auf Skepsis bis Ablehnung, etwa die Einführung von Eurobonds oder ein Eurozonen-Haushalt. Insofern wären die Franzosen als neue Kinder der ALDE-Familie nicht unbedingt pflegeleichte Brüder und Schwestern – aber auf jeden Fall welche, die frischen Wind in die Welt der freiheitlich Gesinnten Europas pusten würden.
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.