Die „Quote“ ist tot, und vieles mehr
Die EU-Staaten haben sich bei ihrem Asyl-Gipfel in Brüssel darauf geeinigt, in der EU geschlossene Aufnahmelager für gerettete Bootsflüchtlinge einzurichten, also auf eine Variante der von Horst Seehofer geforderten „Ankerzentren“. Diese sollen in Ländern entstehen, die sich freiwillig dazu bereit erklären. Aus den Lagern heraus sollen die Menschen wiederum auf Staaten verteilt werden, die freiwillig mitmachen. Über die von allen afrikanischen Staaten schon im Vorfeld der Sondierung abgelehnten nordafrikanischen Asylzentren wurde nur en passant gesprochen, über den Außenschutz der Grenzen durch Frontex eher nebulös und über die regelwidrige Wanderung der Asylanten zwischen den Ländern überhaupt nicht.
Stattdessen beherrscht ein Zauberwort den Gipfel: Freiwilligkeit. Freiwilligkeit bedeutet Aufgabe des Anspruchs, übergreifende Standards zu etablieren, bedeutet Kontrollverlust der EU, Nationalisierung und die Auslieferung auf das Wohlwollen benachbarter Länder. Italien und Griechenland müssen nun „bitte-bitte“ machen, um von einer Überlast an Flüchtlingen befreit zu werden. Oder, sie lassen die Flüchtlinge einfach weiter ziehen. Denn ein grenzüberschreitendes Verfahren zur Kontrolle der Wanderung wurde nicht besprochen. Die Betonung der Freiwilligkeit im Rahmen eines vorgeblich „europäischen Konzeptes“ ist verräterisch. Wenn im Vorwort eines Strafgesetzbuches steht, es sei jedermann erlaubt, die Gesetze freiwillig anwenden, dann heißt das Beliebigkeit. Und genau dort befindet sich Europa: In einer Phase der Beliebigkeit im Umgang mit Immigranten, der Desorientierung und Renationalisierung, angestoßen durch die unselige Doktrin von Angela Merkel, es müsse ein „europäischen Konzept“ her, das bei näherer Prüfung noch nicht einmal in Konturen sichtbar ist.
Nebelkerze Flüchtlingscamps
Über die ominösen, von allen afrikanischen Staaten schon im Vorfeld der Sondierung abgelehnten „nordafrikanischen Asylzentren wurde nur en passant gesprochen. Zu recht. Libyen lehnt Aufnahmelager für Flüchtlinge auf seinem Boden kategorisch ab. Solche Lager verstießen gegen die Gesetze des Landes, sagte der Vize-Chef des libyschen Präsidentschaftsrates in Tripolis nach einem Treffen mit dem italienischen Innenminister Matteo Salvini. Und der deutsche Außenminister Gabriel meinte 2017: „In Libyen gibt es beim besten Willen keine staatlichen Strukturen, mit denen wir in einer so komplexen Frage zusammenarbeiten könnten. Wir haben alle Hände voll zu tun, die Einheitsregierung in Tripolis bei den schwierigen Bemühungen zu unterstützen, überhaupt erst mal politische Handlungsfähigkeit außerhalb der Hauptstadt zu gewinnen.“ Mit Tunesien sieht es nicht anders aus: Der tunesische Ministerpräsident Youssef Chahed hatte 2017 bei seinem Berlin-Besuch Kanzlerin Merkel bereits eine Absage erteilt, was die Einrichtung von Auffanglagern auf tunesischem Boden betrifft. Und auch die ägyptische Regierung hat bereits signalisiert, dass sie keine Auffanglager auf ihrem Staatsgebiet will. Stattdessen sollen nun innerhalb der EU Flüchtlingscamps eingerichtet werden. Natürlich auf freiwilliger Basis. Das ist nichts Neues, Lager existieren in Griechenland und Italien längst. Die Lage ist in diesen Flüchtlingscamps desolat. Hilfsgelder versickern, die Mafia verdient, die Umgebung der Camps leiden unter der Verlotterung und der wachsenden Kleinkriminalität und mit jedem Tag steigt der Druck der unwilligen Bevölkerung. Am Ende wollen sowieso alle nach Deutschland.
Frontex oder die Verlagerung eines Problems
Die vom österreichischen Bundeskanzler Kurz und Bundeskanzlerin Merkel ins Gespräch gebrachte Verstärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex soll das Flüchtlingsproblem mildern. Unabhängig davon, dass dieses Thema während des Gipfels nur wolkig berührt wurde, kann Frontex kaum helfen, den Strom der Flüchtlinge einzudämmen. Es sei denn in Verbindung mit nordafrikanischen Lagern, die aber seitens der Transitländer abgelehnt werden. Damit entfällt auch, abseits der Frage, ob eine zwangsweise Rückführung der Flüchtlinge diese in ihren grundlegenden Rechten verletzt, die Realisierung der kruden Idee, die Flüchtlingsboote auf dem Weg nach Europa abzufangen und die Schutzsuchenden zurück nach Nordafrika zu verbringen. Der Vollzug würde schlicht am Widerstand der Flüchtlinge scheitern. Schon bereits die Drohung mit einem Sprung über die Reling – möglichst mit einem Kind auf dem Arm und – könnte keinen Kapitän eines Frontex-Schiffes unberührt lassen und ihn zur Ansteuerung eines italienischen, maltesischen oder griechischen Hafens zwingen. Zumal Frontex wie die privaten Hilfsorganisationen durch zahlreiche seerechtliche Abkommen verpflichtet ist, Menschen in Seenot zu retten und sie in sichere Häfen zu verbringen. Artikel 98 des Seerechtsübereinkommens verpflichtet, „jeder Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen wird, Hilfe zu leisten“. Die Geisterflotte Frontex ändert also an der dargestellten Verpflichtung, Flüchtlinge aus nicht seetüchtigen Gummibooten zu helfen, nichts. Das Problem wird lediglich von privaten Organisationen auf staatliche verlagert, ohne den Migrantenstrom stoppen zu können und die Seehäfen Griechenlands und Italiens zu entlasten.
Einer “europäischen Lösung” ist man so fern wie vor dem Gipfel
Über all das hätte gesprochen werden müssen, aber lieber wurde eine Nebelkerze nach der anderen gezündet. Angela Merkel lässt die CSU mit ihrer Forderung, die Wanderung der Asylanten zwischen den Ländern durch nationale Maßnahmen zu beenden, ins Leere laufen, verkündet Absichten und Potemkinsche Dörfer, bekundet Respekt vor den afrikanischen Staaten, verteilt zusätzliche Milliarden und zeigt sich mit dem Ergebnis des Gipfels „zufrieden“. Staatsfunk und Regierungspresse beeilen sich zu applaudieren. Frau Merkel verkündet, sie hätten eine „Einigung“ in der europäischen Asylpolitik erreicht, aber was sie verkündet, ist nichts. Flüchtlingslager hat es in Europa überall gegeben und unter dem nun protokollarisch sanktionierten Begriff der Freiwilligkeit kann jedes Land im Bereich der Asylpolitik tun und lassen, was es will. Noch nicht einmal das Dubliner Abkommen zur Begrenzung der Asylantenwanderung wurde der wachsenden Bedeutung dieses Abkommen entsprechend angesprochen. Man akzeptiert, dass europäische Abkommen gebrochen werden. So werden also die Migranten weiterhin al gusto reisen, wohin sie wollen und wenn sie der Frage nach ihrer Identität ausweichen wollen, dann hindert sie niemand daran, mit dem Flixbus nach Deutschland zu reisen. Einer “europäischen Lösung” ist man so fern, wie vor dem Gipfel. Bisher haben lediglich der Bau von Grenzanlagen im Zuge der Balkanroute und vor Spanien, die Hartnäckigkeit der europäischen Oststaaten sowie die immense Unterstützung durch den geschmähten Staatspräsidenten der Türkei geholfen. Ohne sie ständen die Gesellschaften Europas wohl vor einem Kollaps.