„Die Staats- und Regierungschefs feiern sich für ihre Einigung nach einem historischen Verhandlungsmarathon. Die Erleichterung ist nachvollziehbar, aber bringt das Ergebnis Europa voran? Zweifel sind angebracht, denn zwei wesentliche Aspekte der Einigung werfen große Fragen auf. Die EU Haushalte bis 2027 weisen deutlich weniger Mittel für Zukunftsthemen aus als sinnvollerweise von der Kommission vorgeschlagen. Bleiben die großen Herausforderungen unserer Zeit also zuvorderst eine nationale Aufgabe?
Wichtiger noch, weil den europäischen Werten Hohn sprechend, ist das aufschiebende, wachsweiche Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit. Polen und Ungarn feiern die gefundene Formel bereits. Orbán und Kaczynski können den Abbau der liberalen Demokratie ungestört fortführen. Auch in Bulgarien, Rumänien, Slowenien, der Slowakei, Tschechien und andernorts werden korrupte Politiker ihre Schlüsse aus dieser Schwäche Europas ziehen. Diejenigen, die unter der Unterdrückung Andersdenkender leiden und die sich nicht mehr auf die Unabhängigkeit der Justiz und die Freiheit der Presse verlassen können, werden alleingelassen. Was eine effektive Konditionierung von Hilfs- und Fördermitteln werden sollte, ist bestenfalls ein Lippenbekenntnis.
Das Ergebnis dieses Gipfels ist zu wenig für die Zukunft und viel zu wenig für die europäische Identität, die nicht nur in einem klaren Bekenntnis zur Zusammenarbeit, sondern auch zu Freiheit und Solidarität bestehen muss. Ich schäme mich für ein solches Europa und hoffe, dass das Europäische Parlament dieses Ergebnis standhaft zurückweisen wird. Der Druck auf die Abgeordneten, dem von den „Chefs“ Vereinbarten zuzustimmen, wird allerdings enorm sein. Umso wichtiger ist jetzt breite Unterstützung für Europas direkt gewählte Vertreterinnen und Vertreter.“