Es war eine hochgefährliche Giftbrühe, die der Meisterkoch für ungenießbare Ware am letzten Pfingstwochenende im Weißen Haus zusammengerührt hat:
Noch während die britische Polizei fieberhaft erste Ermittlungen zum Terroranschlag bei London Bridge führte, knöpfte sich Donald Trump via Twitter völlig unvermittelt mit einem verfälschenden Zitat den dortigen Bürgermeister Sadiq Khan (Labour) vor, behauptete, der spiele die Gefahren herunter. Zunächst ließ der so Gescholtene dazu britisch knapp über seinen Sprecher verlauten, wegen polizeilicher Koordinierungsarbeiten „keine Zeit“ für den Anwurf vom anderen Atlantikufer zu haben. Doch Trump legte nach, tweetete über den ersten muslimischen Bürgermeister einer europäischen Hauptstadt, dieser beantworte seine (Trumps) Anwürfe mit „erbärmlichen Ausreden“.
Erst nach zwei Tagen reagierte Khan persönlich. „Wir werden unsere Bevölkerungsgruppen nicht von Donald Trump auseinanderdividieren lassen,“ sagte der hochpopuläre 46jährige Ex-Anwalt, dessen Eltern – ein Busfahrer und eine Näherin – vor seiner Geburt aus Pakistan eingewandert waren. Selbst Khans konservative Rivalin Theresa May hielt gegen Trump die Hand über Khan: „Er macht einen guten Job und es ist falsch irgendetwas anderes zu behaupten.”
Warum sich Trump ausgerechnet über Khan echauffierte, der seine geschockten Mitbürger nach dem Anschlag unaufgeregt um Besonnenheit bat, ist unerklärlich. Doch die Episode, bei der ein US-Präsident ungefragt (Fehl)Urteile über ausländische Politiker verbreitet und inneren Angelegenheiten eines verbündeten Staates kommentiert, offenbart den tiefen Riss im transatlantischen Verhältnis. Die Vision unverbrüchlicher Freundschaft zwischen Atlantikküste West und Atlantikküste Ost ist in Zeiten des Trump mehr als brüchig geworden.
Wie soll man nun als Europäer damit umgehen, dass ein selbstverliebter Flegel stakkatohaft „America first!“ brüllt? Einige raten trotz täglich absurderer trumpscher Twitter-Tiraden dazu, die Nerven zu behalten und das Ergebnis einer demokratischen Wahl respektieren. Gut, kann man machen. Aber Nerven behalten muss nicht heißen, alles vorbehaltlos zu schlucken. Im Gegenteil: Europa als die Wiege der bürgerlichen Freiheit muss jetzt Selbstbewusstsein zeigen, will es nicht als dummer Schulbub‘ dastehen.
Erinnert sei daran, dass dieser Tage vor 70 Jahren der Marshallplan für Deutschland verkündet worden ist. Die USA zollten uns damit nach verheerenden Taten menschlichen Respekt. Dafür sind wir dankbar. Doch auf immer und ewig in Demutshaltung zu verharren, das kann es auch nicht sein.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich rede hier keiner Abkehr von den Vereinigten Staaten von Amerika das Wort. Wohl aber glaube ich, dass wir Deutschen und mit uns die Europäer das Verhältnis zur bisher bedingungslos anwesenden Schutzmacht neu definieren müssen. Und zwar im Sinne eines europäischen Patriotismus.
Denn: wir können stolz sein auf das, was unser Kontinent in Form der Europäischen Union hervorgebracht hat. Einst verfeindete Nationen schafften ihre Grenzen ab. Sie treiben friedlichen Handel, gaben sich eine gemeinsame Währung, koordinierten ihre Politik usw. Nirgendwo auf der Welt haben Staaten eine so weitgehende Verzahnung geschafft. Und das ist auch gut so.
Trump hingegen möchte die Geschichte zurückdrehen. Er will sich trotz der interdependent vernetzten Welt zwischen Mauern einigeln. In seinem Milliardärs-Orbit gilt nur geldwerter Vorteil als Erfolg, nicht aber ein wertebestimmtes respektvolles Miteinander. Das ist das glatte Gegenteil liberalen Denkens und der europäischen Idee! Wenn wir auch morgen noch in Freiheit zusammenleben wollen, müssen wir Europäer deutlich klarmachen, wo die rote Linie verläuft.
An Identifikationsfiguren für europäischen Patriotismus mangelt es nicht. Da ist ganz zuvorderst Emmanuel Macron: der 39jährige Liberale hat in seiner kurzen Amtszeit schon mehrmals gezeigt, wo in Frankreich der Hammer hängt – sowohl gegenüber Trump wie gegenüber Putin. In Österreich schickt sich der konservative Sebastian Kurz mit nur 30 Jahren an, Bundeskanzler zu werden – Europa, die Schmiede der Talente. Und in der Republik Irland tritt in Kürze Leo Varadkar ins Amt des Ministerpräsidenten: der 38jährige ist Sohn eines indischen Vaters, offen schwul – und: konservativ. Europa, der Kontinent der Vielfalt.
Spätestens jetzt im Zeitalter des Trump ist die Zeit für selbstbewusstes politisches Handeln in europäisch-patriotischem Geist gekommen. Wer, wie Teile von CDU und CSU, auf den Trumpismus-Wagen aufspringt, etwa um etwa die weltweit vereinbarte Klimapolitik aufzuweichen, sendet falsche Signale. Wir Europäer sind keine demütigen Bücklinge, sondern durchaus zum eigenen Denken in der Lage – tun wir das also!
Nachsatz: die Trump-Zielscheibe Sadiq Khan verkörpert geradezu, was Europa ausmacht. Der eher leise auftretende Brexit-Gegner, der in London den Lautsprecher Boris Johnson ablöste, will weder Nikabs noch Hidschabs. Und weil er sich für die gleichgeschlechtliche Ehe eingesetzt hat, wurde er durch ein Fatwa (Rechtsgutachten) zum Nichtmuslim erklärt und erhielt Todesdrohungen. Khans Prinzip heißt Aufklärung statt Abkapselung. Das ist es, was wir Europäer nicht nur von Muslimen erwarten. Umso erbärmlicher das Trump-Verhalten, das wir unbedingt gemeinsam abwehren müssen.
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