Es gibt ein Recht auf Heimat

Salveschild, Foto: Stefan Groß

Seltsam, wie schnell ein konservatives Sehnsuchtsthema wie „Heimat“ wieder das Licht der Tagesordnungen erblickt. Und wie eifrig, aber lustlos sich regierungsamtliches Handeln an diesem Thema reibt und entzünden möchte. Das kommt nicht von ungefähr. Denn die Heimatfrage ist zu einer politischen Haupt-und Streitfrage geworden, seitdem sich alternative Parteien und identitäre Bewe-gungen ihrer angenommen haben, und zwar europa- und weltweit und mit wachsendem Erfolg. Das empfinden die lokalen Machteliten, die als Kosmopolitiker herumschwärmen, zurecht als Bedrohung, denn es droht ihnen heimatlicher Machtverlust. Ei, warum nicht gar? In Demokratie und Marktwirtschaft ist Kon-kurrenz immer schon als Gefährdung jeweiliger Machtmonopole empfunden worden. Gerade deshalb sind ja diese freiheitlichen Ordnungen erfunden worden: Damit es überhaupt zu gewaltlos-friedlichen Machtwechseln kommen kann.

Nach Karl R. Popper, dem das katholisch-soziale Denken ziemlich fremd war, besteht der Vorzug der Demokratie nicht darin, das vermeintlich Gute in der Politik beständig zu bestätigen, sondern darin, das erfahrbare Übel zu minimieren und abzuwählen. Darin liegt der Clou der Demokratie. Aus dieser kritischen Sichtweise finden gerade konservative Katholiken eine politische Heimat in der Demokratie, die neben dem formalen Mehrheitsprinzip besonders den natürlichen Menschenrechten verpflichtet ist. Wenn diese etwa zur willkürlich-machtpolitischen Interpretation freigegeben sind, z.B. wenn ein „Menschenrecht“ auf Tötung ungeborenen oder „lebensunwerten“ Menschenlebens zeit-geistgemäß behauptet und europaweit durchgesetzt wird, hat die Stunde des demokratischen Widerstands geschlagen. Wachsame Christen müssen hier nicht erst auf die amtliche Genehmigung ihrer Oberhirtinnen und Oberhirten warten.

Die Demokratiekriterien mit einem emotionalen oder patriotischen Heimatbegriff, gar mit einem „Recht auf Heimat“ zu verbinden, dürfte für traditionsvergessene C-Parteien eine verrückte Verrenkung bedeuten. Aber was macht man nicht alles um der politischen Machterhaltung willen? Der Erfolg der anderen macht neidisch und gierig, und so überrascht es nicht, wenn sich im politischen Konkurrenzkampf die bisherigen Machtverwalter einige dicke Scheiben vom erfolgreichen Gegner abschneiden. Dieser soll natürlich den überkommenen Heimatbegriff „instrumentalisiert“ haben, während jene sich anschicken, den altehrwürdigen Begriff neu zu „besetzen“ und durch „soziale Konstruktion“ inhaltlich zu füllen: Eine altbekannte semantische Strategie, die nicht erst durch nominalistische Hermeneutik und den Begriffsschwindel der Achtundsechziger in Verruf geraten ist.

Bleiben wir lieber bei den Realitäten. Da ist zunächst die Folge einer chaotischen „Globalisierung“, die ihren „Kapitalismus“ ohne Rücksicht auf nationale, kulturelle, religiöse, ökologische und soziale Verluste mit allen Mitteln durchsetzen will. Aber auch auf europäischer Ebene stellt sich heraus, daß die heimatliche Identität und nationale Verantwortlichkeit nicht länger mehr von abstrakten kosmopolitischen Einheitsparolen verdrängt werden können. Vielmehr fragen immer mehr Europäer nach einer sozialökonomischen Politik, welche sie in Schutz nimmt vor einer anonym-kapitalistischen Macht, der die Begrenzung durch das personale Subsidiaritätsprinzip völlig zuwider ist. Obwohl gerade in diesem Prinzip der Beitrag der Katholische Soziallehre zur Konstitution Europas aufleuchtete. Aber Europa ist inzwischen zu einem zentralistischen Konstrukt verfallen, das nicht mehr nach seinen christlichen Ursprüngen fragt, sondern bloß noch nach kurzfristiger ökonomischer Effizienz eines „Solidarausgleichs“ zur Vergemeinschaftung der Schulden und zur „Rettung“ des Euros.

Was hat hier der Heimatbegriff zu suchen? Er bleibt zunächst ein Sehnsuchtswort, das sich sehr unterschiedlich identifizieren läßt. Abgesehen von sentimentalen Ergüssen, die sich in „kitschigen“ Heimatfilmen, in Freddy Quinn- und Heino-Gesängen trotz hinterhältigem Nazi-Verdacht gerne noch entfalten dürfen, bedeutet Heimat vor allem die verbindliche Erinnerung an die eigene Familie, an den eigenen Freundeskreis, an die eigene Glaubensgemeinschaft, an die eigene Sprach-, Kultur- und Rechtsgemeinschaft. Und an die ureigene Landschaft mit ihren Jahreszeiten und Klimazonen, in die man hineingeboren wurde.

Hier geht es also um die eigene Herkunftserinnerung – und damit auch um eine Zukunftserwartung, die es etwa einem Rheinländer, der vom eigenen Vater in das Vaterland und von einer westfälischen Mutter sprachlich auf hochdeutsch eingewiesen wurde, verbietet, die rheinische Assimilation an Glaubens- und Weltanschauungsfragen aufzugeben. Es gibt Gott sei Dank und nach wie vor eine nicht nur römische, sondern auch eine rheinisch-katholische Liberalität, die sich nicht den Zwängen universalistischer Machtansprüche ausliefert. Sie unterscheidet zwischen „de ming“ und „de sing“, was nicht auf chinesische Spracheinflüsse, sondern auf die Grunddifferenz zwischen „Mein“ und „Dein“ auch in den religiös-kulturellen Ansprüchen verweist.

Und es gibt immer noch ein „Recht auf Heimat“. Dieses wurde schon im 15. Jahrhundert, zu Zeiten beginnender Kolonisierung proklamiert. In seiner Bulle „Dudum nostras“ von 1435 verurteilte Papst Eugen IV. die Versklavung, Enteignung und Vertreibung der Eingeborenen. Eine aktuelle Erinnerung an ein Heimatrecht, das jetzt vor allem in Afrika grausam mißachtet wird – etwa durch ökonomisch-militärische Interventionen – und Migrationsströme produziert, die ihrerseits das angestammte Heimatrecht der eingeborenen Europäer tangieren.

An ihrem Lebensende lassen sich Christen an eine ganz andere Heimat erinnern: „Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh‘, mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu.“ Man möge aber bitte nicht die ewige mit der weltlichen Heimat verwechseln. „Wir können nicht den Gang der Geschichte aufhalten“, meinte Wolfgang Schäuble jüngst mit Blick auf die Islamisierung. Natürlich können wir den Gang der Wölfe aufhalten, wir müssen es sogar. Er ist jedenfalls nicht der Gang der Heilsgeschichte in die ewige Heimat.

Quelle: Die neue Ordnung

Über Wolfgang Ockenfels 43 Artikel
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels, geboren 1947, studierte Philosophie und Theologie in Bonn und Walberberg. 1985 erhielt er eine Professur für Christliche Sozialwissenschaften mit den Lehrgebieten Politische Ethik und Theologie, Katholische Soziallehre und Sozialethik, Wirtschaftsethik sowie Familie, Medien und Gesellschaft an der Theologischen Fakultät Trier. Ockenfels ist zudem Geistlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer BKU und Chefredakteur der Zeitschrift "Die Neue Ordnung" in Bonn. Er gehört zum Konvent Heilig Kreuz der Dominikaner in Köln.