Erotik ist Verführung

Nicolaus Sombarts intelligente Alternative zum Gender- und Sexismus-Krampf.

Im übersexualisierten Deutschland ist das Verhältnis der Geschlechter so verkorkst, dass eine lächerlich harmlose Bemerkung eines Politikers zu einer Journalistin einen moralinsauren Sturm der Entrüstung und eine künstliche Debatte über Sexismus hervorruft. Eine selbstbewusste Frau hätte die Bemerkung von Brüderle entweder als Kompliment genommen, um dann ihr Interview umso gezielter zu verfolgen, oder locker gekontert, womit die Angelegenheit auch schon erledigt gewesen wäre.
Aber kennen wir diese veröffentlichte Aufregung nicht schon? Die Sexualhysterie der deutschen Medien erreicht doch immer wieder mal einen Höhepunkt. Da reist das reale alter ego des Herrn Kaiser von der Hamburg-Mannheimer nach dessen Rückzug aus der Werbung ins Gellért-Hotel nach Budapest, wo er mit vielen Kollegen ein (nach Zeugenaussagen: rauschendes) Sexfest feiert. Das eigentlich justiziable Problem liegt in der Absetzbarkeit der Kosten. Die beteiligten Wesen weiblichen Geschlechts wurden von der deutschen Presse meist Frauen genannt, weil selbst der lateinisch-saubere Fachausdruck „Prostituierte“ Zweifel an der Opferrolle aufkommen lassen könnte, die „Frauen“ im medialen Diskurs unbedingt zukommt. Herr „Opfer-Abo“ Kachelmann sieht sich kurz vor der Urteilsverkündung (Freispruch aus Mangel an Beweisen) noch einmal mit allen Einzelheiten der ihm zur Last gelegten Sexualdelikte öffentlich konfrontiert. In einer SMS habe er eine Frau schalkhaft darum gebeten, das gemeinsame Abendessen wegzulassen, um gleich zur „Hauptaufgabe“ zu kommen: Diese Absicht und Formulierung sind unverzeihlich.
Es scheint so, dass die ganze westliche Welt verrückt geworden ist. Gab es da nicht einen amerikanischen Präsidenten, der peinliche Verhöre über sich ergehen lassen musste, weil er ein Verhältnis mit einer Praktikantin hatte? Mit beiderseitigem Einverständnis wohlgemerkt, nicht einmaldie republikanischen Spürhunde konnten eine Spur von Gewalt in der Beziehung feststellen. Dagegen saßeinMonsieur Strauss-Kahn lange Zeit in den Vereinigten Staaten von Amerika fest, weil er über eine Hotelangestellte (früher Zimmermädchen genannt) hergefallen sein soll. Konsequenz der Hotelleitung: Zimmermädchen sollen Uniformen mit längeren Röcken bekommen. Der ehemalige IWF-Chef selbst ist ruiniert, nun auch in Frankreich und womöglich zurecht, denn hier scheint reale Gewalt vorgelegen zu haben. Aber die Definitionen werden immer subtiler, auch der Hinweis auf ein Dirndl kann heute zu sexistischer Gewalt stilisiert werden.
Das Leben wird wirklich immer komplizierter. Julian Assange hat nach englischem Hausarrest politisches Asyl in Ecuador erhalten, um einer Auslieferung an Schweden zu entgehen. Warum? Weil ihm zwei Schwedinnen sexuelle Nötigung vorwerfen. Sehr kompliziert: „Einvernehmlicher“ Sex soll in „nicht einvernehmlichen“ Sex übergegangen sein. Nicht einmal Wikileaks kann dazu Dokumente finden. Arnold Schwarzenegger wurde von seiner Frau verlassen, weil er mit einer Haushälterin ein mittlerweile 14-jähriges außereheliches Kind hat, was erst spät ruchbar wurde. Von Gewalt war auch diesmal keine Rede, was keine Rolle spielt, denn Schwarzenegger ist, wie die anderen Männer auch, ein schlechter Mensch, so viel ist den Medien klar. Vorbei die Zeiten, da er wie ein ähnlich Betroffener hätte sagen können: „So groß ist das Verbrechen nun auch nicht. Der liebe Gott freut sich über jedes Kind!“
Alles nicht so wichtig wie die Pleite Griechenlands, aber kultursoziologisch doch sehr interessant. Gewalt ist nicht akzeptabel, aber bedenklich ist dieser moralisierende Ton in der Politik und in den Medien. Der Frauenversteher Claudius Seidl brachte es in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 29. Mai 2011 auf den G-Punkt: „Heute wissen wir, dass wir im November der Männer leben“, schreibt er, Hanna Rosins absurdes Buch vom „Ende der Männer“ vorwegnehmend: Männlichkeit sei ein bedrohtes Kulturgut. Und: „Wenn die Hälfte der Menschheit sich von den Angewohnheiten der anderen belästigt fühlt, wird es Zeit, sich ein paar Dinge abzugewöhnen.“ Dazu zählt er das „Starren und Glotzen“ auf „jene riesigen Plakate, auf welchen in diesen Tagen sehr hübsche, sehr junge Frauen für sehr knappe Bikinis der Marke H&M werben“. Also das scheint ihm doch auch aufgefallen zu sein. Ferner nennt er: Pornographie, Prostitution, männlich besetzte Führungsetagen (man beachte die Zusammenstellung! Aber die Forderung nach mehr Stahlkocherinnen und Müllfrauen will einfach nicht aufkommen…). Das alles stört also die Frauen. Das gehöre abgeschafft wie, und Seidl zählt auf, das In-den-Hintern-Kneifen, das Trinken, das Rauchen, die Pest, der Aussatz oder die „Angewohnheit, Menschen wegen ihrer Hautfarbe zu hassen oder wegen ihrer Religion zu töten.“ Das alles werde ohnehin die kapitalistische Ökonomie erledigen, die „nach Einebnung der Geschlechterdifferenzen“ strebe und „männlichere Frauen und weiblichere Männer“ brauche. Was ist nun unter einer männlicheren Frau zu verstehen? Ein Mannweib? Und unter einem weiblicheren Mann? Ein Hermaphrodit?
Die immer realere Ausmaße annehmende „Tugendherrschaft“ der Grünen, die sich die beschriebene Revolution der Kulturtechnik, die sie für Fortschritt halten, auf die Fahne geschrieben haben, macht Seidl zwar auch Angst, aber wer hat schon etwas gegen weniger oder besser überhaupt kein Fleisch in der Ernährung, mehr Salat, mehr Vollkornbrot, weniger Autos, Null Atomkraft und was es alles noch an grundsätzlich vernünftigen, gesunden Sachen mehr gibt. Das Problem bei den Gedankenspielen um das Verhältnis der Geschlechter ist dieses: Gender, das soziale Geschlecht, kann man sich vielleicht aussuchen, Sex, das genetische Geschlecht, (noch) nicht. Hat Seidl als positive Zukunftsvision das wenn schon nicht genetisch, so doch wenigstens psychisch oder sozial definierte Neutrum vor Augen? Mag sein, dass in Deutschland und einigen anderen westlichen Ländern die Zukunft eine in jeder Beziehung bis zur Unkultur überzivilisierte sein wird, aber was ficht das die Welt an? Deutschland ist nicht das Zentrum der Welt, fragen Sie die Chinesen. Die tippen sich an die Stirn, Konfuzius sei Dank. Schließlich: Die Einseitigkeit dieser Weltsicht macht bestürzt. Wenn auch die Kulturtechnik der männlichen Höflichkeit gegenüber Frauen zugunsten einer neutral-faden Zivilisation beseitigt sein wird, dann, um es mit Robert Gernhardt zu sagen, „wird man endlich auch drei, vier Worte über den Charakter dieser Biester verlieren können“. Welche weiblichen Angewohnheiten die Männer belästigen könnten, wird jedoch öffentlich nie thematisiert: Es könnte ja sexistisch sein.
Das wirklich Erschreckende an diesen Überlegungen aber ist das Gegeneinander, die Konkurrenz, die Feindschaft, die durch sie zwischen Mann und Frau bis zum Kampf aufgebaut werden. Auch dies scheint eine vorwiegend deutsche Spezialität zu sein. Da sei nun an den Kultursoziologen Nicolaus Sombart (1923-2008) erinnert, der in seinen Schriften einer Alternative das Wort redet, die versöhnlich ist. Er geht von der manchmal in Vergessenheit geratenen Tatsache aus, dass jeder Mann eine weibliche Seite und jede Frau eine männliche Seite hat. Und zwar schon immer. Es muss also gar nicht die männlichere Frau gefordert werden, wie es insbesondere der deutsche Feminismus tut, der ja aus Frauen die besseren Männer machen will.
In einem „psycho-politischen approach“ untersucht Sombart das „Gesellschaftsmodell der europäischen Hochzivilisation“ vor allem im 19. und 20. Jahrhundert, das ein „männergesellschaftliches Herrschafts- und Organisationsmodell“ war. Auch Sombart sieht das deutsche Reich als „extremen Sonderfall dieser Gesamtsituation“. Aber er unterlässt die primitiven Antagonismen der Gender-Ideologie. Es ging nämlich, sagt er, nicht nur um die „Unterwerfung und Ausbeutung der Frauen“, sondern auch um die „Verdrängung des Weiblichen im Manne“, genauer um die „Negation der Bisexualität des Menschen, im Manne wie in der Frau.“
Die spezifisch deutschen, erst recht preußischen sexuellen Obsessionen stuft er als männerbündlerische Homosexualität ein, natürlich nicht offen konsumiert, sondern im Sinne einer Basis der Machtstellung. Sombart ist konkret, wieder im Gegensatz zu den obskuren Vorwürfen der heutigen Feministinnen, die überall Netzwerke von Männern wittern, die es nicht gibt. (Es bleibt zu untersuchen, wie deutsch diese feministische Obsession ist.) Unter männlich-martialischen Bünden versteht er in der preußischen „Ordensrittertradition“ das Militär, die kaiserliche Garde, die studentischen Verbindungen, die Honoratiorenklubs et cetera. Politisch resultiert aus dieser Reduktion auf das Nur-Männliche die Konstituierung folgender Gegensätze: Männerbund – Demokratie, Freundschaft – Weiberherrschaft, Staat – Stadt, Soldat – Bürger/Zivilist, Heerlager – Salon, Askese/Kampf – Genuss/Friede, „Geist“ – Materialismus, Eros – Sexualität, heroisch – urban, dämonisch – eudämonisch. Speziell die männerbündische Freundschaft des deutschen zum österreichischen Kaiser hat dann 1914 zur Urkatastrophe Europas mit ihren bekannten grauenhaften Folgen geführt.
Es versteht sich von selbst, dass diese Gegensätze pathologisch, da von den Männerbündlern konstruiert sind. Sombart geht auf die umgekehrte Pathologie, nämlich die feministische, nicht ein, aber er wäre nicht er selbst, hätte er jemals so dualistisch gedacht. Enggeführt, moralisch kleingeistig, kleinbürgerlich tugendhaft, als was die scheinheiligen, von politischer Korrektheit und grünem Jakobinismus geleiteten Stellungnahmen der Presse zu eingangs genannten Vorfällen zu werten sind, das war ihm fremd. Unter den „männlichen Phantasmen des Weiblichen“, die er untersucht, findet sich die Dirne, deren Tätigkeit und Beziehung zu ihrem Zuhälter Sombart marxistisch als revolutionären „Triumph über die Spielregeln der bürgerlichen Gesellschaft“ interpretiert und deren sehr konkrete Dienste er als Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg gerne in Anspruch nahm. Zu den männlichen „Phantasmen“ gehört auch die „schöne“ Frau, die er als Kulturprodukt entlarvt. Denn im Gegensatz zur anthropologisch-medizinisch „normalen“ Frau, die kurzbeinig, großbusig, breithüftig, schmalschultrig, rundlich beschaffen ist, mit vorgeschobenem Bauch und eingedrücktem Kreuz, soll die „schöne“ Frau langbeinig, schmalhüftig, kleinbusig, breitschultrig und gertenschlank sein. Die „schöne“ Frau ist ein androgyner Fetisch, und „die List der Natur will es, dass sich immer wieder auch Weiblichkeiten finden, die dieser Phantasmagorie physisch-somatisch entsprechen. Ihnen passt der hingeworfene Schuh und sie schlüpfen hinein“. Womit wir wieder bei Seidls H&M-Plakaten wären.
Sombart will den Männern aber gar nicht ihre Phantasmagorien nehmen, wie das die Tugendbolde und feministischen Männerhasserinnen wollen. Bei Sombart kann der (deutsche) Mann Mann bleiben, er muss nur seine angeborenen Anlagen ausnutzen, die ihm seit der Wilhelminischen Zeit eingebrannte Reduktion und Repression überwinden. Er muss kein psychischer oder sozialer Zwitter werden, um Geschlechtsunterschiede einzuebnen, wie offenbar die Logik der kapitalistischen Ökonomie fordert. Er muss kein Neutrum werden, wie es die Gender-Ideologinnen anstreben (denn wenn es keinen sozialen Unterschied zwischen den sozial definierten Geschlechtern mehr gibt, sind die Gender-Unterschiede überhaupt aufgehoben). Nein, er kann seine Bisexualität akzeptieren, mit der Freiheit unterschiedlicher Wichtung: mit Betonung auf der männlichen oder der weiblichen Dimension oder auf beiden Dimensionen oder auch auf keiner. Gleiches gilt natürlich für die Frau. Daraus könnten sich neue Qualitäten an Liebesbeziehungen ergeben. Freilich sieht Sombart selbst Probleme bei der Umsetzung dieses wahren Emanzipationsvorgangs, der immer beide Geschlechter betrifft. „Der Kampf um die Anerkennung der Geschlechtlichkeit des Menschen, […] um den ganzen, den vollen Menschen (ob Mann oder Frau) ist zusammengeschnurrt zu einer fast obsessionellen Beschäftigung mit seiner Sexualität.“ Womit auch klar ist, dass Sombart unter sexueller Befreiung nicht die heute allgegenwärtige Pornographie versteht.
Es hätte alles auch anders kommen können. Die deutschen Romantiker um Friedrich Schlegel und der französische Gesellschaftstheoretiker Charles Fourier sind für Sombart Ausgangspunkte für eine eher rückwärts gewandte Utopie. Hier kommen dann auch Punkte, an denen Sombart nicht mehr ohne weiteres gefolgt werden kann. Die ersehnten Modelle von freier Liebe, Liebe zu Dritt oder zu Viert oder zu Vielen dürften, abgesehen von den Schwierigkeiten bei der Erziehung von Kindern, beim Erbrecht und anderen Erwägungen mehr praktischer Art, dem Wesen des Menschen doch widersprechen, auch wenn Sombart von einer „erotischen Partnerschaftskultur“ schwärmt, „bei der es, frei von institutionellen und ökonomischen Zwängen, von repressiven Normen und doppelter Moral […] darauf ankäme, ein Gleichgewicht der wechselseitigen Bedürfnisse in gegenseitiger Anerkennung der Sonderheiten des anderen zu suchen, Beziehungen aufzubauen, deren Finalität der gemeinsame Lustgewinn wäre“. Es scheint, als würde Sombart die anarchistische Gewalt der Sexualität unterschätzen, die nach Bändigung verlangt. Diesen durchaus amoralischen Anarchismus können sich die Männer nicht einfach abgewöhnen wie das Rauchen und das Trinken (aber auch nicht die Frauen); es gibt auch keine Medizin dagegen wie gegen die Pest – wozu auch? Manchmal erinnert sogar Sombart, wie mit seiner Definition des männlich bestimmten Geschlechtsakts als „Vergewaltigung mit gegenseitigem Einverständnis“, unerfreulich an feministische Stereotypen. Seine charmante Bewunderung der Frauen (wie Max Ernst: „La nudité de la femme est plus sage que l´enseignement du philosophe“) entgleist bisweilen zur Anbetung: „La femme est l’avenir de l’homme.“ Zitat Louis Aragon. Aber auf Französisch ist sogar das erträglich.
Dennoch bleibt eine ganz wichtige Schlussfolgerung Sombarts aus seinen Überlegungen zu nennen. Es ist die Überzeugung, dass Aufklärung immer erotisch ist. Eine aufgeklärte Kultur könne man „danach bestimmen, ob das Prinzip der Gewalt oder das Prinzip der Verführung die Oberhand hat.“ Traditionell sei die Verführung Sache der Frauen, was aber ein Manko darstellt. Männer wollen traditionell erobern. Sie sollten nach Sombart lernen zu verführen. Erotik ist Verführung. Das Vorbild aus der Kulturgeschichte ist natürlich Casanova, der ausdrücklich als Mann für dieses Prinzip steht. Ohne Zweifel wären in einer in Sombarts Sinne aufgeklärten Kultur die eingangs genannten Verwerfungen und Delikte nie passiert.
Aber vielleicht wollen die Frauen ja erobert und nicht verführt werden? Was Sombart immer zugibt (eine Ehrlichkeit, die ihn ehrt), ist seine Unkenntnis der weiblichen Seite, weil vieles auf der weiblichen Seite noch nicht genügend erforscht ist oder absichtlich nicht genügend erforscht wird. Dass von den feministischen Forscherinnen hier nicht die validesten Ergebnisse erwartet werden können, dürfte klar sein. Eine wirklich kritische Bewertung der eigenen „Phantasmen“ wird von ihnen nicht zu erwarten sein. Offene Forschung ist etwas Anderes. Jedenfalls gehört der weibliche Teil der Gesellschaft mit zum Spiel, ohne den nichts geht. Auch die Frauen, darf vermutet werden, müssen sich ändern. Aber eine solche Forderung dürfte im feministisch beherrschten Milieu nie erhoben werden.
Womit wir beim Problem sind: Im Lichte von Sombarts Untersuchungen bedeutet Frauenpolitik heute offenbar nur, dass die Frauen die Fehler der Männer wiederholen. Gender-Politik bedeutet, dass Frauenbünde geschaffen werden, jetzt, wo die Männerbünde zum großen Teil tatsächlich abgeschafft wurden. Gender-Politik will Teilhabe der Frauen an Herrschaft, am besten die ganze Herrschaft, und wenn es sein muss, mit Gewalt. Wir leben ja im November der Männer. Auch bei Filmemacherinnen wie Virginie Despentes oder Cathérine Breillat hat man den Eindruck einer bloßen Nachahmung männlicher Vorbilder, Sex wird mit Gewalt gleichgesetzt. Weil Gewalt von Frauen gegen Männer sich weniger in blauen Flecken äußert, sondern sich unterschwellig bis zum Exitus des Opfers summiert, wird sie medial negiert; immerhin wird weibliche Gewalt gegen Kinder thematisiert. Frauen werden aber in der feministischen Ideologie auf jeden Fall als „weniger aggressiv und gewalttätig, einfühlsamer, fürsorglicher, ferner flexibler und kommunikativer als Männer dargestellt. Sie sind Männern moralisch überlegen. Die alte Dichotomie von Gut (Frau) und Böse (Mann) kommt hier deutlich zum Ausdruck. Eine von Frauen bestimmte Welt wäre friedlicher und humaner“ (Alexander Ulfig). Es ist diese falsche Moral, es sind diese pathologischen Dualismen, welche die angestrebte „Tugendherrschaft“ der Frauen und der Grünen so problematisch macht. Sie beruht, was die Geschlechter angeht, auf der Perpetuierung der Konkurrenz bis zur Feindschaft zwischen Mann und Frau. Neue Wege sind da weit und breit nicht in Sicht. Der Weg, den Nicolaus Sombart vorschlägt, ist bei aller harten männlichen Selbstkritik immer noch friedlicher und versöhnlicher, damit letztlich auch kreativer und humaner als jeder von Feministinnen vorgeschlagene.
Vielleicht ist der amoralische Sexus gar nicht zu bändigen, eine konfliktfreie Gesellschaft ohnehin illusorisch. Vielleicht ist auch eine Gesellschaft nicht wünschenswert, in der die Beziehungen zwischen Mann und Frau domestiziert sind bis zur Erkaltung. Der liebe Gott behüte uns vor einer Gesellschaft, in der die Tugend die Herrschaft hat! Robespierre hat das schon einmal versucht. Wenigstens in den Beziehungen von Mann und Frau sollten wir uns ein Restrisiko erhalten. Es darf zuversichtlich gehofft werden, dass es den feministischen Gesellschaftsingenieuren nicht gelingen wird, es auszuräumen. Sombart glaubte, dass es über die Erziehung möglich sein wird, die frei flottierende Erotik konflikt-, wenigstens gewaltfrei zu halten. Er zeigt sich hier naiver als er ist. Aber er strebte immerhin nach Aussöhnung, während man das von den Tugendwächtern nicht behaupten kann.
Noch einmal: Sind deutsche, bestenfalls euro-amerikanische Befindlichkeiten heute überhaupt noch weltpolitisch relevant? Die Gender-Ideologinnen scheinen das ganz aggressiv zu glauben. Sie offenbaren sich damit als Kulturimperialisten reinsten Wassers. Die Männer des Wilhelminischen Zeitalters hätten es nicht besser sagen können: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. So denken letztlich auch die Grünen. Nicolaus Sombart bleibt bei seinen Überlegungen immer Europäer, der weiß, dass seine Schlussfolgerungen zunächst kulturell bedingt sind. Orientalismen wie Ying und Yang sind ihm nur Zutaten. Natürlich ist auch seine Utopie eine universale. Wenn wir aber tatsächlich glauben, einer aufgeklärten, mit Sombart also erotischen Gesellschaft gehöre die Zukunft, sollten wir Europäer dann nicht viel selbstbewusster auftreten gegenüber den Zumutungen anderer Kulturen? Henryk M. Broder hat in der „Welt am Sonntag“ vom 26. Januar mal wieder die Wahrheit gesagt: Auch in Ländern wie Saudi-Arabien oder Iran, in denen Frauen von Männern im öffentlichen Bereich getrennt werden, „kommt es zu sexuellen Belästigungen von Frauen durch Männer; es spricht sogar einiges dafür, dass es einen Zusammenhang zwischen der Zahl und der Intensität »unerwünschter sexueller Kontakte« und der moralischen Rigidität einer Gesellschaft gibt, dass also die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines sexuellen Übergriffs zu werden, für Frauen in sittenstrengen Ländern wie Ägypten und Indien höher ist als in den permissiven Gesellschaften von Dänemark oder Holland.“ Wollen wir getrennte Bars, das Verbot gemischter Saunas und unterschiedliche Besuchszeiten in Schwimmbädern?
In der beschworenen Multi-Kulti-Harmonie liegt eine der versteckten Lügen der (nicht nur) grünen Tugendherrscher, die in Wirklichkeit gar nicht an sie glauben, weil sie insgeheim sowieso alles besser zu wissen meinen. Dagegen ist der eitle Bourgeois und Erotomane Sombart in seiner Ehrlichkeit geradezu vorbildlich.
(Dieser Beitrag ist die aktualisierte Version eines im Buch des Autors „Deutsche Befindlichkeiten“ 2012 im Verlag Die Blaue Eule erschienenen Artikels.)
Literatur:
Nicolaus Sombart, Pariser Lehrjahre: 1951–1954, leçons de sociologie. Hamburg: Hoffmann & Campe 1994.
Ders., Journal intime 1982/83: Rückkehr nach Berlin. Berlin: Elfenbein 2003.
Ders., Die Frau ist die Zukunft des Mannes: Aufklärung ist immer erotisch. Frankfurt: Axel Dielmann 2003.

Finanzen

Über Adorján F. Kovács 36 Artikel
Prof. Dr. mult. Adorján Ferenc Kovács, geboren 1958, hat Medizin, Zahnmedizin und Philosophie in Ulm und Frankfurt am Main studiert. Er hat sich zur regionalen Chemotherapie bei Kopf-Hals-Tumoren für das Fach Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie habilitiert. Seit 2008 ist er für eine Reihe von Zeitschriften publizistisch tätig. Zuletzt erschien das Buch „Deutsche Befindlichkeiten: Eine Umkreisung. Artikel und Essays“.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.