Entzünden wir Flammen der Freiheit für Europa

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Warum wird Martin Luther Kings berühmte Rede „I have a dream“ von vielen freiheitsbewussten Menschen immer noch als berühmteste und bewegendste Rede aller Zeiten empfunden? Dieses elektrisierende Gefühl resultiert aus dem zutiefst charismatischen Charakter dieser Rede, die in historischer Perspektive immer noch relevant ist. King hat es am 28. August 1963 in Washington vermocht, seine zahlreichen Zuhörer in den Bann zu ziehen, da er aufgrund seiner intuitiven Abweichung vom Manuskript eine faszinierende Wirkung erzielt hat: Mit  Pathos und  Wortgewalt traf er den Nerv aller Menschen, die sich nach Frieden in Freiheit sehnten. Kings Charisma fand seinen Resonanzboden in einer frustrierten und aufgebrachten Gesellschaft, der es unbegreiflich war, dass der Gleichheitsgrundsatz der amerikanischen Verfassung von 1788 noch immer nicht der gesellschaftlichen Realität entsprach.

Große charismatische Reden gelingen nur, wenn sie wichtige Bedürfnisse vieler Menschen antriggern und wenn sie emotional und weitgehend frei vorgetragen werden, idealerweise mit einer spürbaren Beziehung zu einem dankbaren Auditorium. Der geneigte Leser erkennt, dass wir es in Deutschland und Europa aktuell auch mit Herausforderungen zu tun haben, die deutlich mehr Wegweisung verlangen. Die Probleme im damaligen und – leider Gottes – auch heutigen Amerika korrespondieren mit den Problemen in Europa:  Unterschiedliche Hautfarben und Sozialisationen, Flüchtlingsströme und Chancenungerechtigkeiten fordern die US-amerikanische Gesellschaft ähnlich wie die Staaten Europas heraus, Integrationsdefizite anzugehen. Die über die Jahrzehnte gewachsene kulturelle Heterogenität der EU-Gesellschaften und die hinzukommenden Flüchtlingsströme der letzten Jahre haben an der Identität vieler Menschen genagt. Dies wurde durch die multikomplexen Folgen des Kriegs in der Ukraine und des Zerwürfnisses mit Russland verstärkt. Die Folge: Verzweifelte Rufe nach einer Rettung abendländischer Kultur und dramatische Disharmonien überforderter Menschen, denen nicht hinreichend erklärt wird, wohin die Reise geht und welche Umstellungen erforderlich sind. In unserer kommerzialisierten und digitalisierten Gesellschaft drängt sich angesichts retrospektiver Rufe nach althergebrachter Kulturpflege die Frage auf, ob diese Sehnsüchte überhaupt noch mit authentischen Identitäten korrespondieren, die man zum Maßstab neuen politischen Handelns erheben könnte. Die  Nivellierung althergebrachter Kulturelemente (wie das Beherrschen von Instrumenten und Festkultur) darf man durchaus bedauern. Aber diese Nivellierung erfolgte auf dem Altar unserer eigenen Gewohnheiten, die sich im digitalen Zeitalter gewandelt haben. Dabei wäre Kulturpflege absolut kompatibel zur Fortentwicklung moderner Gesellschaften in der EU. Wir müssen uns bewusst machen, dass Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, zumeist starke kulturelle Bindungen an ihre Heimatländer mitbringen. Das führt schnell zu Nischenkulturen – so wie sich Deutsche auf Mallorca und in der südlichen Türkei zumeist auch unter ihresgleichen ansiedeln. Dies ist unproblematisch, wenn unsere Gäste ihre neuen Nachbarn in ihren Gastländern dazu einladen, ihre Kultur kennenzulernen. Umgekehrt sollen Flüchtlinge immer auch aktiv eingeladen werden, unsere eigenen regionalen Kulturen kennenzulernen. Das findet viel zu wenig statt, zumal viele Einheimische ihre eigene kulturelle Identität kaum noch substantiell zu definieren wissen. Umso wichtiger wäre es, dahingehend unsere Kulturpflege zu verstärken. Die Liste entsprechender Traditionsschätze ist lang.

Wer wie der Bautzner Landrat Udo Witschas (CDU) sagt, dass es nicht unsere Absicht sei, „Menschen, die zu uns kommen, die unsere Kultur nicht kennen, die unsere Regularien nicht kennen, jetzt hier in Mehrfamilienhäusern, in freistehenden Wohnungen unterzubringen, und dafür die Gefährdung des sozialen Friedens in Kauf zu nehmen“ sollte an der Integrationsfront besonders engagiert sein. Ansonsten kommt man widerwillig in den Ruch, rechtsextremistischen Tendenzen Vorschub zu leisten. Wichtig dabei wie gesagt: Integrationspolitik darf keine Einbahnstraße sein! Aufgeklärte europäische Gesellschaften reduzieren ihre Kulturpflege nicht einseitig auf überlieferte Traditionen der eigenen Vorfahren, sondern sind im Interesse des sozialen Friedens auch engagiert, die von der EU gewollte Interkulturalität und Interreligiosität zu fördern. Politiker stehen demnach immer auf dem Prüfstand, ob sie im Geiste folgender Losung arbeiten:

„Es wäre ein Wandern zum Paradiese, wenn einer dem andern die Heimat wiese.“ (Luise Haisch-Rolf)

Die Allianz der Gutwilligen ist in Deutschland in vielerlei idealistische Bemühungen involviert, die auf Interkulturalität, Interreligiosität und engagierte Integrationspolitik nach den dazu definierten Normen setzen. Demgegenüber steht eine Phalanx all jener, für die „Multi-Kulti“ der Inbegriff allen Unheils ist. Die EU stellt faktisch seit langem eine multikulturelle Gesellschaft dar. Ihre Zerschlagung mit der Renaissance purer Nationalstaatlichkeit wird mehrheitlich nicht als mehrheitsfähige und vernünftige Option begriffen. So steht die Frage, wie eine vernünftige Perspektive für die europäischen Gesellschaften mit einem gesunden Mix aus gelebtem und gepflegtem regionalen Heimatbewusstsein einerseits und dem Willen zum friedlichen und bereichernden Miteinander verschiedener Kulturen andererseits erarbeitet und vermittelt werden kann. Dies ist das herausfordernde und reizvolle Spannungsfeld, aus dem heraus es eine beglückende Perspektive zu vermitteln gilt, die die EU weiter zusammenschweißt und die Menschen in ihren nationalen Gesellschaften emotional ertüchtigt, diese edle Aufgabe mit Leidenschaft zu verwirklichen.

Die allerorten stehende Aufgabe der Politik, die Stärkung des WIR-Gefühls und die Stabilisierung des sozialen Friedens wirksam anzugehen, wurde in den letzten Jahren vielfach reflektiert. Zwar ist in diesem Sinne einiges geschehen, aber dies wird von den Menschen oft nicht wahrgenommen. Zugleich wird den politisch Verantwortlichen in aller Regel bewusst sein, dass das, was sie angeschoben haben, noch lange nicht reicht. In Ignoranz der eskalierenden Problemlage wird zuweilen auf viele vorhandene Zuständigkeiten und Förderprogramme verwiesen, die angeblich genügen sollen. Aber die Atomisierung der Zuständigkeiten lässt den Elan vermissen, den man sich wünscht. Natürlich kann man WIR-Gefühl nicht von oben verordnen. Natürlich kann keine Regierung und kein Staatsoberhaupt exekutiv Gemeinsamkeit produzieren. Uns fehlen in erster Linie Menschen, die die Zeichen der Zeit so erkannt haben, dass sie mit der geballten Emotionalität ihres Wortes auch heterogene Völker zu integrieren vermögen. Regierungschefs, die kraft ihrer Legitimität infolge demokratischer Wahlen ruhmreich als Wegweiser vornean stehen sind heutzutage seltener als Regierungschefs, die mit Ach und Krach von Minderheiten der Wahlberechtigten und mit Hilfe zuweilen fragiler Koalitionen inthronisiert wurden. So oder so sind sie jedoch in der Regel die ersten Adressaten jener argumentativen Giftpfeile, die aus der frustrierten Bürgerschaft abgeschossen werden, wenn nach Schuldigen für die Misere gesucht wird. Regierungschefs sind gut beraten, wenn sie bei sich oder in einem federführenden Ressort Instanzen schaffen, die für eine neue ressortübergreifende Kommunikationskultur arbeiten. Mit dieser gilt es Sorge dafür zu tragen, dass die Menschen im Land endlich wieder mehr das empfinden, was sie ersehnen: GEBORGENHEIT in einem Land, das die Sorgen der Menschen ernst nimmt, das kompetente und abgestimmte Antworten auf diskutierte Herausforderungen liefert und somit gute Perspektiven für die Zukunft in Aussicht stellt. Aber dazu müssen von den politisch Verantwortlichen auch wahrhaft charismatische Reden gehalten werden, ergänzt durch wahrhaft engagierte und wissenschaftlich fundierte Veröffentlichungen, die erkennen lassen, dass man nicht nur den Ernst der Lage erkannt hat, sondern gewillt ist, im notwendigen Sinne mehr zu tun. Die Ergebnisse dieses zusätzlichen Engagements dürfen im Kern jedoch nicht intellektuelle Ergüsse sein, die von den Bürgerinnen und Bürgern nicht verstanden werden. Es bedarf auch keiner Verordnungen von oben nach unten, sondern vieler sympathischer und leicht verständlicher Initiativen, die an der Basis mit staatlicher Unterstützung selbst generiert werden.

Das alles wird nur funktionieren, wenn die Regierungen der Staaten Europas und ihrer Regionen und Länder selbst den Gemeinsinn vorleben, den sie sich im Interesse ihrer Politik wünschen. Soweit Politiker erkennen lassen, dass sie sich im Hinblick auf nächste Wahlen bereits parteipolitischen Profilneurosen hingeben, haben sie ihr Verantwortungsbewusstsein verwirkt. Es wäre ein großer Trugschluss, anzunehmen, dass es Wichtigeres gibt als die hier beschriebenen Aufgaben für mehr WIR-Gefühl in unserer Gesellschaft. Die Verantwortlichen sollten in dem sie zuweilen erstickenden Tagesgeschäft erkennen, was die Stunde geschlagen hat. Hier haben auch die der Wählerschaft gegenüber besonders verantwortlichen Wahlkreisabgeordneten eine besondere Verpflichtung: Ihre bürgernahe und engagierte Vor-Ort-Präsenz sollte das Bemühen der Regierung kommunikativ unterstützen. Dazu müssen sie sich etwas einfallen lassen. Bürgernähe darf nicht auf Wahlkämpfe reduziert sein. Politiker, die wirklich an dieser Front mit ihren sehr unterschiedlichen Frontlinien stehen, werden entweder mit ihren Aufgaben und einer engagierten Bürgernähe wachsen oder sie sind dazu verurteilt, beim nächsten Mal abgewählt zu werden. Nicht alle Politiker sind dazu geboren, Charismatiker zu werden. Aber wer in eine politische Funktion gewählt wurde soll zumindest die über die Jahre erarbeitete Erfahrung mit der darüber hoffentlich gewonnenen Weisheit so einsetzen, dass auch eine Außenwirkung erzielt wird. Die Flucht von Wahlkreisabgeordneten in heimische Wahlkreiswochen, die nicht durch engagierte Bürgernähe gekennzeichnet sind, verbannt sie aufs Abstellgleis. Die Wählerschaft ist kritischer geworden – und das ist gut so. Es bedarf einer Politisierung der Menschen, die am Ende zu höheren Wahlbeteiligungen führt. Politiker, die über eine Minderheit der potentiellen Wählerschaft in ihre Ämter kommen, haben eine suboptimale Legitimation. Also gilt es, dass auch die Wählerinnen und Wähler ihre Verantwortung erkennen, getreu der Devise des einstigen Schweizer Ökonomen Gottlieb Duttweiler: „Freiwilligkeit ist der Preis der Freiheit.“

Die Gespenster, die heute in Europa herumgeistern lauten Desinteresse, Inkompetenz, Kommerzialisierung und Digitalisierung. In falschen Kanälen führt dies zu negativen Energien und fatalen Weichenstellungen. So können mit niedrigen Wahlbeteiligungen Politiker hervorgespült werden, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind. Mündige Bürger müssen erkennen, wo ihre Verantwortung liegt. Das Lechzen nach Charismatikern muss aus den Reihen der mündigen Bürger Charismatiker hervorbringen, die sich rational und engagiert den Zukunftsaufgaben widmen. Ein Europa, das diese Zeichen der Zeit nicht erkennt dreht das Rad der Aufklärung zurück.

Menschen Europas: Entzündet viele Flammen der Freiheit für Europa, mit guten Reden, mit engagierter Bildungsprogrammarbeit, mit Überzeugungsarbeit auf allen Ebenen, guter Koordination und basisorientierter Vernetzung. Dann werden nicht Autokraten und Diktatoren diese Welt entern. Die Zukunft soll den fröhlichen Demokraten gehören, die aus der Geschichte gelernt haben. Der Siegeszug der Aufklärung soll mit viel Verantwortungsbewusstsein für unsere EINE WELT friedlich und machtvoll fortgesetzt werden.

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Über Joachim Brockpähler 2 Artikel
Nach seinem Studium der Politologie, Geschichte und Geographie in Münster, Freiburg/Br. und Köln, plädiert er als Patriot und Weltbürger für eine mediative Streitkultur. Der Autor hat seit seinem 18. Lebensjahr bei den Grünen, in der CDU und in der FDP reichhaltige parteipolitische Erfahrungen als „Jamaica-Koalitionär“ gesammelt. Jetzt analysiert er nach beruflichen Stationen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Staatskanzlei und dem Umwelt- und dem Innenministerium in Sachsen, als berufener Parteiloser und christlicher Gewerkschafter die gesellschaftspolitische Situation Deutschlands.