In der „Zeitschrift für Neues Energierecht“ setzte man sich wiederholt mit meinem Buch „StromMangelWirtschaft – Warum eine Korrektur der Energiewende nötig ist“ auseinander. Dr. Peter Becker und Prof. Dr. Lorenz Jarass bestätigten in der Ausgabe 2/2021: „Bei der Stromversorgung spielt die Regierung Russisches Roulette.“ Prof. Dr. Uwe Leprich, ehemaliger Abteilungsleiter Klima und Energie des Umweltbundesamts, schrieb in der Ausgabe 5/2021: „Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Paulitz Recht hat mit der Feststellung, dass wir uns in Deutschland um zusätzliche Backup-Kapazitäten kümmern müssen für die Zeiten, in denen die dargebotsabhängigen Eckpfeiler des Stromsystems (Wind- und Solaranlagen) schwächeln.“.
Schließlich bestätigten auch die Parteien der Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag vom 7. Dezember 2021 die Kernaussage meines Buchs „StromMangelWirtschaft“ und die Kritik anderer Akteure, dass die Wind- und Solaranlagen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit einen vollständigen Backup-Kraftwerkspark benötigen. 30 Jahre nach Beginn der systematischen Förderung von Wind- und Solaranlagen mit einem hohen dreistelligen Milliardenbetrag mussten SPD und Grüne entgegen aller Propaganda kleinlaut einräumen, dass es die jahrzehntelang versprochenen Langzeitspeicher (Wasserstoff) schlichtweg nicht gibt und dass die Stromversorgung nach wie vor davon abhängt, dass Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke und Atomkraftwerke jederzeit zuverlässig einspringen und die Stromversorgung im Zweifelsfall zu 100 % übernehmen.
Das ist bei ganz nüchterner Betrachtung nach 30 Jahren die Bilanz der Energiewende, da die „gesicherte Leistung“ der Wind- und Solaranlagen trotz einer installierten Leistung von inzwischen mehr als 110 Gigawatt (GW) bei nur 0 bis 1 GW liegt. Wenn die Sonne nicht scheint und zugleich auch der Wind großflächig nicht weht, dann ist eben nichts zu holen. Die Phasen, in denen Wind- und Solaranlagen bundesweit weniger als 5, 10 oder 20 GW Strom ins Netz einspeisen, sind entgegen der landläufigen Propaganda in Wirklichkeit sehr häufig, wodurch sich bei einem Bedarf von derzeit bis zu 85 GW sehr regelmäßig eine ganz gewaltige, zu schließende „Stromlücke“ ergibt. Am 10. Januar 2022 beispielsweise lag die Stromeinspeisung der Wind- und Solaranlagen zeitweise bei unter 3 GW.
Durch die neuerdings propagierten Elektrowärmepumpen und Elektrofahrzeuge und durch die angestrebte, umfassende Elektrifizierung der Industrie könnte der Leistungsbedarf künftig sogar auf 120, 160 oder über 200 GW ansteigen. Viele Anhänger der Energiewende glauben, dies mit einer Verdrei- oder Verzehnfachung der installierten Leistung der Wind- und Solaranlagen problemlos lösen zu können. Das aber ist ein Irrglaube, denn auch bei einer zig-fachen installierten Leistung erzeugen Wind- und Solaranlagen bei Dunkelheit und Windflaute stets immer nur näherungsweise Null.
In der Substanz bestätigen Becker und Jarass, dass die Akademie Bergstraße und andere völlig zu Recht Alarm schlagen, indem sie die folgende Einschätzung aus dem Buch zitieren: „Aus aktueller Sicht ist größte Skepsis angebracht, ob bei Einhaltung der aktuellen Stilllegungspläne für die Atom- und Kohlekraftwerke rechtzeitig Ersatzkapazitäten vorhanden sein werden.“
Ferner teilen sie auch den folgenden, dramatischen Befund ganz ausdrücklich: „Es kann beispielsweise nicht gut gehen, immer noch mehr kurzfristige Stilllegungstermine für Kraftwerke zu beschließen, und sich dabei darauf zu verlassen, dass irgendwelche Ersatzkraftwerke (z.B. Gaskraftwerke) dann schon rechtzeitig am Netz sein werden.“ Das ist eine vernichtende Kritik am Koalititonsvertrag der neuen Bundesregierung, der genau das vorsieht und optional sogar noch einen vorgezogenen Kohleausstieg beinhaltet.
Zu Recht betonen sie, die Stromnachfrage durch „Demand Side Management“ lediglich um „bis zu 5 GW verringern“ zu können, was letztlich vernachlässigbar ist.
Ebenso bestätigt auch Prof. Leprich unterm Strich meine zentralen Thesen.
Eindeutig falsch ist zwar seine einführende Behauptung, ich hätte lediglich untersucht, ob die Stromversorgungssicherheit „zeitnah“ gewährleistet ist. Tatsache ist: In meinem Buch „StromMangelWirtschaft“ von 2020 untersuche ich die kurzfristige Perspektive bis 2023, die mittelfristige Perspektive bis 2030 als auch die langfristige Perspektive.
Ferner schreibt Leprich, ich hätte die Rolle des Netzausbaus „bewusst ausgeblendet“, dabei ist es eine schlichte physikalische Realität, dass das Stromnetz nicht als Speicher dienen kann, was manche Politiker und selbst „Experten“ bis heute nicht verstehen oder „verstehen wollen“. Bei großflächigen Dunkelflauten in Deutschland helfen auch neue, teure Stromleitungen nur wenig.
Leprichs abschließende Darstellung ist ziemlich demagogisch, wenn er schreibt, ich hätte „unrecht“ und argumentiere „alarmistisch“, indem ich 75 GW Gaskraftwerkskapazität als Backup bis 2030 für erforderlich halten würde. Richtig ist vielmehr, dass ich ganz nüchtern nur die Einschätzung der bundes-eigenen Deutschen Energie-Agentur (dena) von 2018 zitiert habe, die eine entsprechende Backup-Kapazität bei einem Atom- und Kohleausstieg für erforderlich hält. Diese Einschätzung der dena ist bei einem Atom- und Kohleausstieg – zumal bis 2030 – allerdings alles andere als abwegig, sondern sehr plausibel.
Abgesehen von dieser haltlosen bis hilflosen Kritik bestätigt Leprich das angesprochene Kardinalproblem der Energiewende, wonach seit Jahren schon konventionelle Kraftwerke auf Antrag der jeweiligen Betreiber nicht stillgelegt werden können, da ansonsten die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet werden könnte.
Zudem verweist er im „energiewende-amtlichen Orwell-Sprech“ auf das Erfordernis „besonderer netztechnischer Betriebsmittel“ („Netzstabilitätsreserve“), hinter denen sich – wie er selbst schreibt – de facto konventionelle Gaskraftwerke mittlerer Größenklasse verbergen. Mit anderen Worten: Wenn Wind und Sonne wie so oft versagen, dann müssen ganz normale Kraftwerke einspringen, damit es nicht zur Katastrophe kommt.
Leprich bestätigt auch, dass die aktuell beliebten „Hintertürchen“ nichts Substanzielle beitragen werden: Die Möglichkeit für Stromimporte zur Absicherung der deutschen Energiewende beziffert er auf gerade mal 9 GW. Wie ich in meinem Buch darlege, ist das schon eher hoch gegriffen, und zudem handelt es sich dabei großteils um Atom- und Kohlestrom, was die deutsche Energiewende natürlich konterkariert.
Geradezu revolutionär ist die Angabe des ehemaligen Abteilungsleiters des Umweltbundesamts, dass bis 2030 gerade mal „5 GW Stromspeicher zur Verfügung stehen“ könnten. Das ist so gut wie nichts, eigentlich nicht mehr als ein letztes Fünkchen Hoffnung, so etwas wie eine hilflose „Durchhalteparole“. Leprich dokumentiert damit, dass eine Energiewende auf der Basis von Wind- und Solaranlagen jedenfalls kurz- bis mittelfristig gescheitert und nichts anderes als ein gefährlicher Wunschtraum ist.
Sensationell ist in diesem Zusammenhang, dass er die geringe Verfügbarkeit der Windenergie mit 1 % und der Solarenergie mit 0 % bestätigt. Denn das bedeutet: Egal, wie viele Wind- und Solaranlagen in den kommenden Jahren zugebaut werden, bei Windstille und bei fehlender Sonne liefern sie praktisch nichts.
Selbst Leprich schließt nicht aus, dass es bis 2030 gravierendste Probleme geben wird. Er hält es für möglich, dass kaum noch Erdgaskraftwerke zugebaut werden, dass der Beitrag von „Flexibilitätsoptionen“ (Lasten/Speicher) bis 2030 „mit unter 10 GW bescheiden bleibt“, dass die Importkapazitäten extrem begrenzt sind und dass Wind- und Solaranlagen auch in der großflächigen Durchmischung „quasi keine gesicherte Leistung an kritischen Tagen bereitstellen“.
Ein deutlicheres Dokument des Scheiterns der deutschen Energiewende in einer die Energiewende befürwortenden Fachzeitschrift gab es zuvor wohl noch nie.
Es bleibt also einzig die Option, den Energiebedarf insgesamt brutalstmöglich abzusenken und die Jahreshöchstlast im Stromnetz hart zu limitieren. So ist es sehr auffällig, dass Leprich trotz der überaus waghalsigen Planungen der Politik für einen Umstieg auf Elektromobilität, elektrische Heizungssysteme und für eine umfassende Elektrifizierung der Industrie eine Jahreshöchstlast bis 2030 von lediglich 90 GW annimmt, obwohl diese heute bei rund 85 GW liegt.
Das drängt die Frage auf: Geht der vormalige Abteilungsleiter des Umweltbundesamts bis 2030 von massivsten Mobilitätsverlusten, einem substanziellen Verzicht auf Raumwärme und Warmwasser, sowie von einer teilweisen Deindustrialisierung Deutschlands aus? Welche andere Erklärung sollte es dafür geben, dass die Jahreshöchstlast bei derart revolutionären Vorgaben für eine umfassende Elektrifizierung um lediglich 5 GW auf nur 90 GW zunehmen soll?
Und tatsächlich: Abgesehen von einem allgemeinen Hinweis auf „Stromeffizienzpotenziale“, die aber seit Jahrzehnten schon recht weitreichend erschlossen wurden, baut Leprich auf weitere gravierende Einschränkungen für die Industrie: Diese solle nicht mehr jederzeit zuverlässig mit Strom versorgt werden, sondern erhebliche Stromverzichts-Beiträge durch so genannte „regelbarer Lasten“ leisten. Achselzuckend wird in Kauf genommen, faktisch anstrebt, dass „der Strukturwandel in der Industrie sich weiter zuungunsten der stromintensiven Industrie fortsetzen wird“, was im Klartext heißt, dass diese bedeutenden Sektoren der Industrie aufgrund der Energiewende großteils aus Deutschland abwandern dürften.
Die Folgen einer solchen Entwicklung könnten sehr viel weitreichender sein als gedacht: Das Institut der Deutschen Wirtschaft ermittelte in einer Studie, dass ein Abwandern energieintensiver Unternehmen ganz erhebliche negative Auswirkungen auch auf die übrige Industrie haben würde, da die „Wertschöpfungsketten nicht mehr in ihrer bisherigen Struktur bestehen bleiben könnten“. Ein Abwandern der energieintensiven Industrie sei daher generell „ein Risiko für das Wohlstandsmodell Deutschlands“ (Institut der deutschen Wirtschaft Köln: Die Zukunft der Industrie in Deutschland und Europa. 2013).
Das heißt: Man kalkuliert eine teilweise Deindustrialisierung und entsprechende Wohlstandsverluste mit ein, ohne wirklich abschätzen zu können, in welchem Maße man die Volkswirtschaft insgesamt beschädigt. Es gibt also gravierendste Probleme und ganz erhebliche Unsicherheiten.
Dieses neuerliche Vorgehen widerspricht aber eklatant dem ursprünglichen „Geschäftsmodell der Energiewende“. Man sicherte zu, dass es in keiner Weise zu einer Gefährdung des Standorts Deutschland, sondern im Gegenteil sogar zu „erheblichen Wohlstandssteigerungen“ kommen würde (Öko-Institut 1980).
Was nun? Die Energiepolitik ist nicht ideologisch, sondern rational zu bewerten. Weder dürfen persönliche Biografien und Befindlichkeiten, noch darf die Aussicht auf weitere milliardenschwere Gewinne weniger Profiteure den Ausschlag geben, da mit der Energieversorgung regelrecht „alles“ auf dem Spiel steht.
Der Atomausstieg und die Energiewende standen schon immer unter dem Vorbehalt, dass weder die Versorgungssicherheit noch die Wirtschaftlichkeit gefährdet werden dürfen. Es war unter Befürwortern und Gegnern der Energiewende stets absolut unstrittig, dass die Lichter nicht ausgehen dürfen. Dabei darf es auch nicht die aller-geringsten Abstriche geben.
Die Gefährdung der Versorgungssicherheit ist alles andere als ein Kavaliersdelikt, es ist schlichtweg verantwortungslos, und nur Hasardeure, die selbst nicht die Folgen zu tragen haben, gehen dabei „voll ins Risiko“.
Möchte man hingegen rational abwägen, dann bleiben aus aktueller Sicht nur drei Alternativen:
1. Erneuerbare ohne konventionellen Backup-Kraftwerkspark:
StromMangelWirtschaft, rollierende Blackouts, Deindustrialisierungs-Tendenzen
2. Erneuerbare und Gas-/Kohle Backupkraftwerkspark:
Verfehlung der CO2-Minderungsziele mit milliardenschweren „Strafzahlungen“ („Emissionsrechte“) unter den gegenwärtigen Bedingungen (ohne CSS)
3. Erneuerbare und Atomkraftwerke:
Empfehlung des Weltklimarats IPCC und Praxis vieler Nachbarstaaten
„Wegducken“, Realitäten nicht sehen wollen, ist die aktuell in Deutschlands Elite praktizierte Option, was eine Mischung der Folgen der ersten und zweiten Alternative wahrscheinlich machen lässt: StromMangelWirtschaft, rollierende Blackouts, gravierende Einbußen bei der Wettbewerbsfähigkeit, Deindustrialisierungs-Tendenzen, Abwanderung von Arbeitsplätzen, wirtschaftlicher Abschwung, Inflation, milliardenschwere CO2-Strafzahlungen, Zunahme der Verarmung, Überlastung des Sozialstaats, Zunahme sozialer und politischer Polarisierung und Spannungen.
Im Interesse nachfolgender Generationen ist ein neues Nachdenken erforderlich.