Endzeitstimmung mit traurigen Pferden – Die Ausstellung „Das arme Land Tirol“ im Franz Marc Museum zu Kochel am See

Wer erlebt Südtirol schon unbeeindruckt von einer so beglückenden wie auch bedrohlich wirkenden europäischen Landschaft! Dem Ehepaar Maria und Franz Marc aus dem oberbayerischen Sindelsdorf ging es im Frühjahr 1913, einige Monate vor ihrer Hochzeit am 3. Juni, auf einer mehrwöchigen Südtirol-Reise, nicht anders. Die Hochgebirgslandschaft jenseits des Brennerpasses wirkte auf das Paar eher düster und dramatisch als verklärend. Für den Maler Franz Marc mischten sich in die real erlebten Empfindungen Lektüre-Erlebnisse mit Flauberts Legenden-Version vom „Gastheiligen“ Julian und der Tolstoi-Erzählung vom „Leinwandmesser“. Eines der beachtenswertesten, auch beklemmendsten Mal-Arbeiten jener Zeit gelang Franz Marc mit dem Bild „Das arme Land Tirol“. Das 131,1 x 200 cm große Ölgemälde (s. Foto) hängt, auf dunkelviolettem Grund, im Obergeschoß des Franz Marc Museums in Kochel am See. Vom Guggenheim Museum New York ausgeborgt, ist es die kostbarste Leihgabe der nach dem Gemäldetitel benannten Eingangs-Ausstellung zur Trilogie „Franz Marc – Zwischen Utopie und Apokalypse“ (bis 5. Juni). Apokalyptisches ließ Marc damals, der drei Jahre später auf dem Schlachtfeld von Verdun sein Leben lassen musste, mit dieser Arbeit erkennen: Endzeitstimmung mit abgemagerten Pferden, Resignation, Traurigkeit. Vorahnungen des Ersten Weltkriegs also – so wurde das Werk verschiedentlich aufgefasst.
Diese Ansicht teilt auch die Kocheler Museums-Chefin Cathrin Klingsöhr-Leroy: Das Bild spiegele „die verschiedensten Einflüsse. Neben der Tirolreise Franz Marcs sind die literarischen Motive von Bedeutung und verdichten sich zu einem Bild, das man „… vielleicht als Abgesang auf das alte, nationalistisch geprägte Europa interpretieren könnte“.
Parallel zu Teil I der Ausstellungs-Trilogie zeigt das Kocheler Museum im Erdgeschoß mit „Playing to the birds“ eine Video-Installation der Hamburger Künstlerin Annika Kahrs (Jahrgang 1984). Einem jungen Pianisten – er spielt in einem altmodischen Salon Franz Liszts „Legende Nr. 1“, die Vogelpredigt des heiligen Franziskus von Assisi – sehen und hören nicht Menschen zu, sondern Vögel in Käfigen. Kahrs Arbeit thematisiert das Spannungsverhältnis von Kultur und Natur, Mensch und Kreatur. In dieses Beziehungs-Geflecht ist auch der Maler Franz Marc zu stellen. Freunde und Kollegen verglichen ihn nach seinem Tod nicht von ungefähr mit dem Tierfreund Franz von Assisi.
Zum 100. Todestag Franz Marcs am 4. März 1916 wurde die Ausstellung „Das arme Land Tirol“ im Franz Marc Museum eröffnet. Es besteht seit 30 Jahren. 2008 durch einen Neubau erweitert, widmet es sich ausschließlich Marcs Werken, seinem Kreis („Der Blaue Reiter“) und seiner Rezeption. Es steht hoch über dem Kochelsee in dem von Marc so geliebten „Blauen Land“, wo er glücklich lebte und arbeitete. Anlässlich des Jubiläums findet am 1. (München) und 2. Juli (Kochel) ein vom Münchner Lenbachhaus und dem Franz Marc Museum in Kochel ausgerichtetes Symposium statt. Franz Marcs Kunst „anders“ zu sehen und an sie „neue Fragen“ zu stellen ist Sinn und Zweck des Symposiums.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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