„Schade, daß der Papst nicht katholisch ist“, bemerkte Kurt Tucholsky in seinem Sudelbuch. Er meinte das ironisch mit Blick auf seine deutschen Zeitgenossen, denen bis heute der Sinn für Ironie abgeht, und die sich stattdessen ernsthaft für kompetent und genug legitimiert halten, zu entscheiden, wer oder was als katholisch anzusehen sei. Diese Entscheidung trifft nach kirchlichem Verständnis letztlich der jeweils regierende Papst, gleichgültig, ob er von den einen als papa angelicus herbeigesehnt, von den anderen als papa haereticus verflucht wird. Solche „prophetischen“ Zuschreibungen haben im Mittelalter eine große Rolle gespielt und sollten wohl die Papstwahlen beeinflussen. Man berief sich gerne auf die angeblichen Weissagungen des Malachias noch zur Zeit Leos XIII., auf den die Bezeichnung „Lumen in coelo“ (Licht am Himmel) sehr schön paßte.
Wer einen Sinn für endzeitliche Orakel hat, mag auch den kryptischen Titel „Gloria olivae“ (Ruhm des Olivenbaums) zutreffend finden, mit dem Benedikt XVI. die malachianische Papstliste abschließt – gefolgt nur noch vom allerletzten Papst „Petrus Romanus“, mit dem nicht nur Rom, sondern auch die ganze Welt untergehen soll. Spannende Zeiten also für apokalyptische Spekulanten, die sich im Internet ein Stelldichein geben. Katholisch sind diese Prophezeiungen nicht. Sie sind der Horoskopie, nicht der Theologie zuzuordnen, lassen sich aber erst dann falsifizieren, wenn sich die angekündigten Ereignisse nicht einstellen.
Es ist schade, daß Benedikt XVI. weder die Piusbrüder noch andere getrennte Christen weltkirchlich integrieren konnte, obwohl gerade er die theologischen Voraussetzungen dazu geschaffen hatte. Und es ist bedauerlich für die Kirche, daß gerade dieser Mann, der so tapfer für ihre Einheit und missionarische Ausweitung eintrat, demissionierte, weil seine physischen Kräfte nicht mehr hinlangten. Papst Benedikt wird als großer Deutscher und überragender Theologe in die Geschichte eingehen. Seine geistig-moralische Kraft entfaltet sich still und untergründig; sie wird ihre volle Wirksamkeit entfalten, wenn die verrückten Zeitgeister an ihren Widersprüchen scheitern. Am theologischen Niveau dieses Kirchenlehrers müssen sich auch seine päpstlichen Nachfolger messen lassen.
Der neue Papst hat das Zeug dazu, ohne anbiedernden Populismus populär zu werden. Seine Wahl kam so überraschend, daß es selbst den notorischen Kirchenkritikern einstweilen die Sprache verschlug. Papst Franziskus überrascht durch den einfachen, spontanen, schnörkellosen Stil, in dem er die alte Botschaft des Christentums neu belebt. Und auf liebenswürdige Weise radikalisiert. Die Erwartungen an den „Reformpapst“ sind freilich sehr groß und unterschiedlich.Und daß er sie nicht alle bedienen kann, ist jetzt schon klar. Ein Räumungsverkauf katholischer Wahrheitsansprüche findet nicht statt. Am Fundament des Glaubens und der Sitte wird dieser Papst nicht rütteln.
Was aber ist mit seiner Forderung nach einer „armen “ Kirche, die vor allem für „die Armen“ wirken soll? Das ist eine urchristliche Herausforderung und keine befreiungstheologische Erfindung. Links angehauchte Populisten in Lateinamerika befürchten, der Papst könne ihnen das Wasser abgraben. Deshalb wundert es nicht, daß sie dem früheren Jesuitenprovinzial Bergoglio eine Kollaboration mit der argentinischen Militärjunta unterstellen. Aber was kümmert es den Papst, schon als Reaktionär zu gelten, wenn er die katholische Soziallehre realisiert? Die „Option für die Armen“ gilt vorrangig dem Lebensschutz, der in modernen gesättigten Wohlfahrtsstaaten zunehmend denen entzogen wird, die sich nicht selber zu helfen wissen: also den Ungeborenen, Behinderten und Alten.
Leidenschaftlich erörtert wird jetzt das Problem der „Pille danach“, die Frage also, ob sie von abtreibender Wirkung sei und in katholischen Krankenhäusern verabreicht werden dürfe. Diese und andere Fragen sind inzwischen zu einem Politikum geworden und rühren an das bisherige Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Deutschland. Aktualisiert wird diese Debatte durch den Amtsverzicht des Papstes, der bei seinem letzten Deutschlandbesuch von „Entweltlichung“ der Kirche sprach. Für Benedikt XVI. ist der bisherige Zustand des Kirche-Staat-Verhältnisses kein Dogma gewesen – und die mögliche Neuordnung kein Tabu. Anderes ist auch von seinem Nachfolger nicht zu erwarten.
Natürlich kommt es darauf an, wie die Religionsgemeinschaften in Deutschland sich entwickeln, welche Anforderungen der Staat an sie stellt – und welche Zumutungen er für sie bereithält. Schon vor einigen Jahren kritisiere Joachim Kardinal Meisner einen Schwund kirchlicher Glaubensubstanz, der im Widerspruch zur Ausdehnung kirchlicher Organisationsformen stünde. Sehr beliebt sind Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft auch heute noch. Immerhin entlasten sie den Staat im subsidiären Sinne. Und gäbe es nicht die vielen caritativen Einrichtungen der Kirche, hätte der Staat erhebliche Mehrkosten zu tragen.
Die Frage ist aber, ob bei zunehmender Entchristlichung die Kirche überhaupt noch genügend geeignetes Personal findet, um ihre Einrichtungen glaubwürdig zu führen. Wer in einem kirchlichen „Tendenzbetrieb“ einen Auftrag zur Glaubensverkündigung oder zum moralischen Zeugnis wahrnimmt, muß sich wohl auch an die entsprechenden Regeln halten. Sollten diese jedoch den staatlichen Vorschriften widersprechen, kommt es notwendig zu einem Konflikt zwischen Kirche und Staat. Etwa in Sachen Arbeitsrecht und Gesundheitswesen. Abtreibung und aktive Euthanasie sind mit der Kirche nicht zu machen. Denn „da wo katholisch draufsteht, muß auch katholisch drin sein“, alles andere wäre Etikettenschwindel.
Allerdings gilt hier noch ein anderer Satz von Kurt Tucholsky: „Man ist im öffentlichen Leben nur Katholik um den Preis es nicht zu sein.“ Arme Kirche! Vielleicht muß sie besonders in Deutschland etwas abspecken, um beweglicher, und etwas demütiger werden, um glaubwürdiger zu sein. Aber wer löst sich schon gerne aus goldenen Fesseln, auch wenn er dadurch freier wird.
Nr. 2/2013 April, Jahrgang 67
http://www.die-neue-ordnung.de/
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