Eine Episode von ihm wurde oft erzählt – der von der Stasi ganz real verfolgte Schriftsteller Günter Ullmann ließ sich in den achtziger Jahren die Zähne ziehen, weil er glaubte, das ihm die Zahnärzte auch Abhörgeräte eingesetzt hätten. Das lässt sich auch in den verschiedenen Biografien Ibrahim Böhmes nachlesen, denn das Vorzeigetalent der neuen Ost-SPD 1990 war mit Ullmann eng befreundet. Und hatte ihn doch für die Stasi ausgespitzelt. Günter Ullmann aus dem thüringischen Greiz, 1946 geboren, verstarb am Samstag den 9. Mai 2009: sein Herz. 1984 führte er sich mit acht Gedichten furios in die Literatur ein, gedruckt in einer nur in Westberlin erschienenen Anthologie: „Kein Gott spricht mehr / aus unserem himmel / die engel / sind aus eisen / und blech / und fallen ab / vögel / lassen federn / an unseren traurigen / optimistischen reden“. Schon vorher gab es viel Ärger, Verhöre, Druck und niemand wird mehr endgültig sagen können, ob Günter Ullmann auch ohne diese DDR-Schickanen in der Psychiatrie gelandet wäre, die fortan zu einem ständig-gelegentlichen Lebens-Begleiter wurde. Aus Greiz war zuvor schon sein Mentor Reiner Kunze weggetrieben worden – aber Ullmann hatte noch seinen Freundeskreis mit Autoren und Musikern der Jazz-Gruppe Media Noc. Mit der er auch auftrat. Als ich ihn das erste Mal sah, steckte er in einer Bauarbeiterkluft und war gerade nach Berlin delegiert. Er wirkte als Prophet, Verkünder der Literatur, Philosophie – vor allem der Poesie.Nächtelang konnte er sich und andere in Begeisterung reden. Nicht nur Kunze und Jürgen Fuchs waren von Ullmann-Gedichten angetan Das bereits zitierte geht weiter:„Die volkseigenen blätter / der staatlichen bäume / verschweigen das blut / unterm vergoldeten / trauerrand / Die sonne geht weg / weit weg / dahin / wo die schornsteine / noch nicht regieren“ Seine expressionistisch-surreal durchwirkten lyrischen Gebilde stehen für sich. Hinreisend auch viele seiner Kindergedichte, die es in repräsentative Anthologien schafften. In den letzten Jahren mühte er sich um autobiografische Prosa. Ullmann wurde eher porträtiert als das man Texte von ihm wollte – er lieferte halt die Biografie für den von der DDR politisch kaputtgespielten Schriftsteller schlechthin. Das ist nicht falsch. Und doch ungerecht, denn er hat etwas geschrieben, das man nachlesen kann: mehrere Bücher im kleinen Geest-Verlag und zum Glück einen Sammelband in der Büchergilde Gutenberg: Die Wiedergeburt der Sterne nach dem Feuerwerk.((Immer, wenn auf seiner Arbeit (im Museum) einmal nichts zu tun war, rief er an und diskutierte über neue Lyrikbände. Er war der einzige Mensch, den ich kenne, der jedem lyrischen Tipp nachforschte und das nächste Mal seine Meinung dazu äußerte. Er war süchtig nach Zigaretten und guter Lyrik. Der Poesie-Verkauf in Thüringen geht seiner Post-Ullmann-Krise entgegen. )) Es ist verflixt: der Benennung des DDR-Unrechts im kulturellen Bereich haftet eine Nebenwirkung an: die Echos aus der Vergangenheit entfalten in der Gegenwart ihre subtile Wirkung. So wurde auch Ullmann als politisches Opfer respektiert und deshalb als Autor oft ignoriert. Nun starb er auch noch am 10. Todestag seines Freundes und Schriftstellerkollegen Jürgen Fuchs. Schiller starb an einem 9. Mai – die Schillerstiftung ehrte Ullmann vor gar nicht langer Zeit mit einem Preis. Soll aber der Tod die letzte Assoziation beherrschen? Eigentlich ist Günter Ullmann ein Dichter der Anfänge, Aufbrüche. Der Autor Udo Scheer beginnt eine biografische Skizze so: „Mit sensibler Intensität erfährt das Kind den Reichtum, den Freundschaft und Güte ausmachen. Trotz eigener Armut stecken ihm die Nachbarn immer mal etwas zu. Alle Wohnungstüren in dem großen Haus stehen ihm offen.“ Und dann folgt das hinreisende Gedicht „Kindheit“: „die brotsuppe auf dem tisch / die kirschen hinterm zaun / die welt ein fisch / das herz ein clown“. Aber auch der zuverlässigste Clown will einmal nicht mehr.
Neben dem Band in der Büchergilde Gutenberg sind mehrere Bände im Geest-Verlag lieferbar.
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