Einer, der umkehren und weinen konnte

War Petrus nicht der Substanzlose? Nein, er war wie wir. Eine Kontrastfigur zu Jesus. Petrus wurde zum Hirten bestellt, weil sich die schwachen Schafe in ihm wiedererkennen können. Die Kirche sollte Volkskirche werden, nicht ein elitärer Club

Petrus wird mit rundem Vollbart dargestellt, wie Kaiser und Könige und wie – wenn es um den Himmel geht – Gott Vater. Paulus dagegen hat einen spitzen Bart wie die Philosophen, in der einen Hand ein Buch, in der anderen das Schwert. Das Buch hat Paulus, weil er so wunderbare Briefe geschrieben hat. Petrus dagegen hält in den Händen einen oder zwei Schlüssel und im Übrigen ein Kreuz, denn wie sein Herr wurde er gekreuzigt, nur mit dem Kopf nach unten. Paulus gilt als der Intellektuelle, missbraucht von Gnostikern und anderen Ketzern jeder Art.
Himmelsschlüsselchen sind schlichte, aber strahlende Frühlingsblumen. Weil sie Frühblüher sind, heißen sie Primeln. Golden leuchtet das Gelb, und die Blütenform erinnert an Schlüssel älterer Bauart. Die Schlüssel, die der Herr Petrus gibt, beziehen sich auf die Vollmacht, für Menschen die Türe aufzuschließen oder sie vor ihnen oder hinter ihnen abzuschließen. Wie bei einem teuren Lokal hat Petrus daher im Himmelreich die Rolle des Einlassers oder des Rausschmeißers. Schon sehr früh hat man diese Vollmacht auch auf den Regen bezogen, denn wenn es regnet, muss Petrus die himmlischen Kammern aufschließen, in denen der Regen aufbewahrt wird. Petrus hat daher rundum nicht gerade angenehme Posten. Früher hatte er eine ehrenvolle Rolle als Patron der Fischer. Denn nach dem Evangelisten Matthäus (17. Kapitel) fand Petrus die dringend benötigte Steuermünze im Bauch eines Fisches. Solange wir die Fische noch nicht vollständig ausgerottet haben, wird sich Petrus für sie einsetzen.
Das Amt des Petrus hat mehrere Facetten, und sie alle weisen darauf hin, dass Petrus weit über das Bestimmen, wer nun zur Gemeinde gehören darf und wer nicht, hinaus in der Tat eine Schlüssel-Figur im ganz umfassenden Sinn ist. Man kann das so sagen: Es gibt unterschiedliche Phasen in der Geschichte des frühesten Christentums. Aber solange Petrus am Leben ist, kann man ihn jeweils als den hauptverantwortlichen Jünger Jesu bezeichnen. Als Jesus Jünger um sich sammelt, ist Petrus zusammen mit seinem Bruder Andreas der Erstberufene, und zusammen mit dem Zebedaiden Jakobus sind diese drei in den ersten drei Evangelien die „Lieblingsjünger“ Jesu. Diesen Titel kennt zwar nur das vierte Evangelium. Aber in den drei ersten Evangelien gibt es drei Lieblingsjünger. Das heißt: Sie sind Zeuge der wichtigsten Ereignisse, auch der Verklärung und der Totenerweckung nach Markus (in dessen Kapiteln 9 und 5). Vor allem steht Petrus für das Bekenntnis zu Jesus („Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“). Im Ausgleich zum Lieblingsjünger nach dem vierten Evangelium (nach einer kühnen Hypothese vielleicht Andreas) ist im Johannesevangelium Petrus derjenige, der auf Nachfrage hin drei Mal beteuert, den Herrn zu lieben.
Nächste Phase: Als den Passionsberichten zufolge alle Jünger weglaufen, ist Petrus der erste, der das tut, und zwar in Form eines dreimaligen Ableugnens jeder Art von Bekanntschaft.
Petrus ist die Schlüssel-Figur der Osterberichte. Denn als die Emmaus-Jünger von ihrer Erfahrung mit dem Auferstandenen berichten wollen, erzählen ihnen die anderen Jünger schon, der Herr sei dem Petrus erschienen. Auch nach dem Ersten Korintherbrief (15,5) hat Petrus die erste Erscheinung des Auferstandenen. Die Apostelgeschichte berichtet dann weiter, nach Pfingsten habe Petrus die Predigten an die Juden gehalten. Denn erst nach dieser Phase konnte sich das Evangelium den Heiden zuwenden.
Nach der Apostelgeschichte (10) ist Petrus der erste Heidenmissionar, parallel zu Paulus, der zwar früher berufen wird, aber erst später mit der Mission beginnt, als er nämlich von Petrus aus seiner Heimat Tarsus nach Antiochien zurückgerufen wird. Auf dem Apostelkonvent, das sich mit der Frage befasst, ob man den Heiden das Evangelium predigen darf, kann Petrus die konservative Mehrheit überzeugen. Die Heidenmission ist legitim. Selbst der Herrenbruder Jakobus muss Petrus zustimmen.
Vereinbart wird auf dem Apostelkonvent, dass Petrus sich den Beschnittenen (Juden und Arabern) zuwenden soll – also allen, für die die Beschneidung, da sie schon besteht, kein Problem mehr ist –, Paulus aber den Heiden.
Nächste Phase: der so genannte antiochenische Zwischenfall. Petrus ist von der Vereinbarung abgewichen, sich nur um die Beschnittenen zu kümmern, denn in seiner Gemeindearbeit lässt er „christliche“ Mahlzeiten von gebürtigen Juden mit gebürtigen Heiden zu. Für jeden Juden war das ein Gräuel. So muss Petrus dem Paulus nachgeben. Im Übrigen beschreibt Paulus den eigenen Apostolat nach petrinischem Vorbild; die Art und Weise, in der er im Ersten Galaterbrief davon spricht (dass nämlich die Offenbarung der Gottessohnschaft durch Gott, nicht durch Menschen das Apostolat begründet), lässt erkennen, wie sehr Petrus der Maßstab auch für Paulus ist.
Aber die Einigung zwischen Petrus und Paulus war friedlich. Daraus einen Dauerkonflikt zwischen Petrus und Paulus zu machen, wie es das neunzehnte Jahrhundert wollte, war ein großer Irrtum. Denn ohne die Harmonie zwischen Petrus und Paulus hätte es den Kanon des Neuen Testaments nie gegeben. Besonders der Erste Petrusbrief zeigt keine Differenzen zur paulinischen Theologie.
In Korinth hat Petrus wohl vor und neben Paulus missioniert, jedenfalls gibt es dort Christen mit Ähnlichkeiten zu jüdischen Standpunkten. Paulus nennt sie die Kephas-Partei (kephas heißt „Fels“). Petrus hat sich demnach auch in der späteren Mission an die Vereinbarung des Apostelkonvents gehalten, jüdische Gebräuche und Verhaltensweisen zu schützen.
Aber hatte Petrus nicht einen wankelmütigen Charakter, der alles andere als felsenartig war? Hat Petrus nicht in der Passionsgeschichte aus schierer Angst vor einer bescheidenen Hausangestellten seinen Herrn verleugnet? Hat er nicht (im 8. Kapitel des Markus) keinerlei Verständnis für das Leiden seines Herrn gezeigt und wurde er deshalb „Satan“ genannt? War sein Verhalten in Antiochien nicht doch opportunistisch, da er den jüdischen Standpunkt nicht geschont hat? Ist er nicht dem vermeintlichen Modetheologen Paulus nachgelaufen? Hat er nicht, statt konsequent den jüdischen Standpunkt zu schützen, den billigeren Weg der Anpassung gewählt? War Petrus also das Schilfrohr schlechthin, vom Wind nach dessen Lust und Laune bewegt? War er, der Petrus, nicht der Substanzlose? Nein, er war wie wir alle. Er ist insofern eine Kontrastfigur zu Jesus. Einer ist heilig, einer der Herr.
Die Kirchenväter haben gesagt, Petrus sei deshalb zum Hirten bestellt worden, weil sich die Schafe in ihrem Hang, selbst schwach zu sein, gut in ihrem Hirten wiedererkennen konnten. Und weil die Tränen des Petrus, seine schließliche Umkehr, doch jede spätere Buße abbilden konnte. Die Kirche ist kein makelloser Verein, bei dem es nur Ja oder Nein gibt und keine zweite Chance zur Umkehr, wenn man einmal daneben getreten ist. (Man nannte das „zweite Buße“.) Darüber hat die Kirche selbst lange gestritten. Sie hat sich entschieden, Volkskirche zu sein. Man soll nicht versagen, aber wenn es doch geschieht, ist es kein Weltuntergang. Denn die Gnade des Sakraments der Vergebung und der Taufe ist stärker als alle Bosheit der Christen. Doch Petrus hat immerhin geweint. Auch die Schuldbekenntnisse der beiden letzten Päpste machen das geschehene Böse nicht rückgängig. Aber sie zeigen: Gottes Barmherzigkeit reicht so weit, dass der Sünder in dieser Kirche immer wieder die Vergebung erhält. So ist das frühe Christentum verlaufen: Indem Petrus sich abwandte und wieder zurückfand, hat er die Schlüsselgewalt am eigenen Versagen erfahren.
So betete man daher im Mittelalter: „Herr du hast deine Kirche gegründet auf die Briefe des Paulus und auf die Tränen des Petrus…“.
Petrus war verheiratet. Das Evangelium nach Markus beginnt mit der Heilung der Schwiegermutter des Petrus; Paulus berichtet davon, Petrus habe seine Frau auf Missionsreisen mitgenommen. Und die apokryphen Apostelakten erzählen von der Heilung der Tochter des heiligen Petrus. Von Petrus wird auch nicht berichtet, dass er die Osterschilderungen der Frauen als Witz bezeichnet habe. Er konnte ihnen vertrauen, denn seine eigenen Erfahrungen sind gleichen Ranges. So ist er auch hier die Schlüssel-Figur, die bestätigen kann, was die Frauen berichten. Wenn es dennoch nach den apokryphen Akten zu ständigen Reibereien zwischen Maria von Magdala und Petrus kam, dann ging es um die Frage des Lehramtes und die Konsequenzen daraus, dass dieses nur einer innehatte, nämlich Petrus.
Als Universitätslehrer habe ich ein oder zwei Mal im Jahr meine biblische Vorlesung per Handpuppen gehalten. Petrus eignet sich besonders für kleine Dramen als Dialoge. Das eine Stück hieß: „Petrus und der Teufel“. Der Teufel versuchte ständig, Petrus zu einer „großen“, das heißt schwarz-roten Koalition zu bewegen, mit dem Hinweis, durch Zusammenschluss sei man dann doch marktbeherrschend. Und für oder mit seinem Herrn zu leiden, habe Petrus schon laut Evangelien nicht goutiert. Sowohl der Protest gegen das Leiden des Menschensohnes als auch die Verleugnung gegenüber der Magd zeigten dieselbe Tendenz, die der Teufel nur begrüßen konnte.
Das zweite Stück lief so: Zwanzig Jahre später trifft die Magd Petrus noch einmal. Sie erinnert ihn an seine Schwäche. Petrus ist nicht bereit zuzugeben, dass er schwach gewesen sei. Er streitet noch immer alles ab. Die Magd hat ihn zum zweiten Male auf dem falschen Fuß erwischt. Sie gibt ihm den Rat, in der Einsamkeit zu sich selbst und dieses Mal wirklich zu Gott zu finden. Und sie will für ihn beten.

(c)-Vermerk: vatican-magazin.de

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Über Berger Klaus 3 Artikel
Prof. Dr. Klaus Berger, geboren 1940, war Professor für Neutestamentliche Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg. Ab 1960 hat er in München, Berlin und Hamburg Theologie und Philosophie sowie christlich-orientalische Sprachen (Aramäisch, Syrisch, Äthiopisch, Arabisch) studiert. 1967 wurde er im Fach Neues Testament promoviert. 1972 habilitierte er sich in Hamburg. Von 1974 bis 2006 war er Professor für Neues Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg. Sein Jesus-Buch wurde zum Bestseller.

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