Mit der „Stiftung Stadtgedächtnis“ sollen die beschädigten Dokumente aus dem eingestürzten Historischen Archiv der Stadt Köln wiederhergestellt werden.
Rund 6300 Jahre würde ein einzelner Restaurator benötigen, um die verheerenden Zerstörungen und Beschädigungen an den Archivalien des im März vergangenen Jahres eingestürzten Historischen Archivs der Stadt Köln zu beseitigen. Dagegen nehmen sich die 16 Monate, die die Gründung der kürzlich etablierten „Stiftung Stadtgedächtnis“ in Anspruch genommen haben, allenfalls wie eine zeitliche Fußnote aus. Gleichwohl ist viel Zeit, vielleicht sogar zu viel Zeit, ins Land gegangen, um die weit über Köln hinausreichende allgemeine Erschütterung über den durch das Unglück entstandenen immensen kulturellen Schaden im Aufbau eines soliden Stiftungskapitals auch finanziell messbar werden zu lassen. Als eine „Katastrophe für unsere kulturelle Identität“ bezeichnete Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters beim Gründungsakt der Stiftung jenen 3. März 2009, als damals um 13.58 Uhr das Historische Archiv, vermutlich im Zusammenhang mit dem unter ihm verlaufenden U-Bahnbau, in sich zusammensackte und zwei junge Männer mit in jenen Trichter zog, der nach wie vor wie eine offene Wunde im Herzen der Kölner Innenstadt klafft. Neben den beiden Toten sind Schäden am gesamten Archivbestand aus fast 1200 Jahren Stadt-, Regional- und Kirchengeschichte mit einem Umfang von 30 000 Regalmetern entstanden. Mit der Ursachenforschung für dieses weltweit Schlagzeilen machende menschliche und kulturelle Desaster soll noch dieses Jahr begonnen werden, wenn ein gerichtlicher Gutachter an der Einsturzstelle seine Arbeit aufnimmt.
Aus der „Stiftung Stadtgedächtnis“ soll nun laut Roters „eine auf Dauer angelegte Finanzierungsquelle“ werden, um die „nationale Aufgabe“ zur Instandsetzung, Zusammenführung und Digitalisierung der Archivalien zu bewältigen. Die Beseitigung der Schäden wird derzeit auf 350 bis 400 Millionen Euro geschätzt. Etwa 200 Restauratoren sollen diese Mammutaufgabe in den nächsten 30 bis 50 Jahren bewältigen. Mehr als 85 Prozent des Archivguts sind inzwischen gesichert worden. Einige prominente Dokumente konnten bereits aus der vollständig für Restaurierungsarbeiten zur Verfügung gestellten Versicherungssumme für das Archiv – etwas mehr als 61 Millionen Euro – wiederhergestellt werden. Mit der Bergung des noch im Einsturztrichter liegenden Restbestandes soll in den nächsten Wochen nach Errichtung eines speziellen Bergungsbauwerks begonnen werden. Experten beziffern den Komplettverlust des Archivbestands derzeit auf fünf Prozent.
Aktuell beläuft sich das Stiftungskapital auf 3,17, bzw. demnächst wohl auf 4,17 Millionen Euro. Zwei Millionen Euro kommen von der Stadt Köln, eine Million Euro steuert das Land Nordrhein-Westfalen bei. Eine weitere Million wollen der Bund sowie 50 000 Euro der Landschaftsverband Rheinland zustiften. Mit 100 000 Euro sowie 20 000 Euro gehören zudem das Erzbistum Köln sowie die Evangelische Kirche im Rheinland zu den Gründungsstiftern. Eine weitere Million wollen der Bund sowie 50 000 Euro der Landschaftsverband Rheinland zustiften.
Dominik Schwaderlapp, Generalvikar des Erzbistums Köln, hob am Rande der Unterzeichnung der Gründungsurkunde im vornehmen Hansesaal des Historischen Rathauses die Motivationen der Beteiligung aus kirchlicher Sicht hervor. „Kirche ist ein integraler Bestandteil der kölnischen Stadtgeschichte.“ Beispiele gibt es dafür einige. So stammt die älteste Archivalie überhaupt aus dem Jahr 922 und befasst sich mit einer Besitzübertragung. In dem Dokument mit der Signatur „Best. 266 (Ursula), U 2/2A“ schenkt ein gewisser Wilhelm der Tochter seines Bruders mit Namen Wendilsvint seinen Hof in Meresloe (heute holländisch Limburg) nebst Hörigen mit Ausnahme eines Waldteiles mit der Bestimmung, dass die Besitzungen nach dem Tode der Nichte an das Kloster zum Heiligen Hypolit und der 11000 Jungfrauen (St. Ursula) in Köln fallen sollten. Und mit den eigenhändig geschriebenen Autographen über das Matthäus-Evangelium sowie über die Tierwelt aus der Feder des als „doctor coloniensis“ bezeichneten Heiligen Albertus Magnus gehören zwei herausragende Werke des Mittelalters zum Bestand des größten Kommunalarchivs nördlich der Alpen. Auch die Akten des Kölner Domkapitels aus der Zeit vor der Säkularisation gehören zu diesem Erinnerungsspeicher. Das Historische Archiv des Erzbistums Köln hatte übrigens nach dem Einsturz des Stadtarchivs, wie viele andere ähnliche Einrichtungen auch, akut geholfen, und noch heute stehen in zwei Magazinräumen des kirchlichen Archivs zahlreiche Akten aus dem eingestürzten Gebäude.
„Die Zugänglichkeit und weitere Nutzung solcher Bestände muss gesichert bleiben“, unterstreicht Generalvikar Schwaderlapp in diesem Zusammenhang. Ähnlich sieht das Vizepräses Petra Bosse-Huber von der Evangelischen Kirche im Rheinland: Die Rettung der Archivalien bedeute eben auch „dass Menschen ermutigt und befähigt werden, die Dokumente, Urkunden und Fotos kennen zu lernen, die zu ihrer Geschichte gehören“. Die Sicherung und Verwahrung von zentralen Dokumenten und Akten hat in der Domstadt ohnehin eine lange Tradition. Seit 1322 setzen sich die Bürger der Domstadt dafür ein, Archivalien zu bewahren, die dann ab dem 15. Jahrhundert im Rathausturm lagerten.
Unklar bleibt aber nach wie vor die Haltung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Der beim Gründungsakt noch amtierende und durch den zwischenzeitlich vollzogenen Regierungswechsel nun nicht mehr im Amt befindliche Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff erklärte, dass sich das Land mit der Bereitstellung von einer Million Euro „nicht aus der Affäre ziehen“ werde und zu weiteren Gesprächen bereit sei. Drohte denn die Gründung der „Stiftung Stadtgedächtnis“, die Stadtoberhaupt Roters gerade noch als „Meilenstein“ gepriesen hatte, zwischenzeitlich zur Affäre zu degenerieren? Jedenfalls wurden innerhalb der Stadtverwaltung, später aber auch in den Gesprächen mit der Landesregierung viele Verantwortlichkeiten hin- und hergeschoben, Haftungs- und Versicherungsfragen blieben ungeklärt, und der Termin für die offizielle Stiftungsgründung musste mehrmals neu angesetzt werden. „Es ist skandalös, dass es so lange gedauert hat, diese Stiftung zu begründen“, kritisiert nicht nur Konrad Adenauer, der Vorsitzende des einflussreichen Kölner Haus- und Grundbesitzervereins.
Nun wird es entscheidend darauf ankommen, dass die rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts rasch ihre operative Arbeit aufnimmt und sich um Zustiftungen bemüht. Die Stadt Köln hat drei Millionen Euro als Spende zur Verfügung gestellt, mit der die Stiftung arbeiten kann. Gesucht wird dazu allerdings neben entsprechenden Räumlichkeiten noch ein geschäftsführender Vorsitzender des Stiftungsvorstands. Der sollte aber in weniger als 16 Monaten gefunden werden.
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