Ich möchte Euch heute eine Geschichte voller Liebe und Güte erzählen, die wirklich wundervoll ist. In Zeiten der Hetze, des abgrundtiefen Hasses und zunehmender Migranten- und Behindertenfeindlichkeit ist es wichtig, auch darauf aufmerksam zu machen, dass es sie noch gibt: Menschen, die von Grund auf herzensgut sind.
Auf Facebook begegnete mir plötzlich auf meiner Timeline eine Suche aus Weitra in Niederösterreich. NÖN.at berichtete von Bernadette Krauskopf, die großer Kelly-Family-Fan war. Sie hatte zu Weihnachten von ihrer Familie zwei Konzertkarten für das Abschlusskonzert der Kelly Family in der Olympiahalle in München, davon eine für einen Rollstuhlplatz, geschenkt bekommen. Leider verstarb sie am 30. Januar im Alter von 34 Jahren und konnte nicht mehr selbst zu dem Konzert, was ihr großer Herzenswunsch war.
Die Familie Krauskopf wollte einem anderen Menschen mit Behinderung eine Freude machen und suchte am 22. Februar über NÖN.at, nachdem ein Rollstuhlfahrer, der ihr die Karten abkaufen wollte, kurzfristig abgesagt hatte, nach jemandem, dem sie mit den Karten eine Freude machen könnte: „Wir lassen nichts unversucht, die Karten doch noch herschenken zu können.“
Die Zeit war denkbar knapp, denn am nächsten Tag, d.h. am 23. Februar, fand ja abends schon das Konzert in München statt.
Ich glaubte eigentlich nicht so recht daran, dass die Karten noch zu haben wären, als ich die Familie anschrieb. Getreu meinem Leitspruch, dass man Möglichkeiten immer eine Chance geben sollte, versuchte ich es dennoch. Kaum war meine Mail mit meinen Kontaktdaten raus, hatte ich auch schon Nachrichten per Mail und auf WhatsApp. Sie freuten sich.
Nun stellte sich in dem nächtlichen Chat heraus, dass die Karten noch in Niederösterreich waren. Ich dachte schon, dass das mit dem Konzert dann wohl eher doch nicht klappen werde, aber Franzi Krauskopf war ganz zuversichtlich, dass schon noch ein Wunder passieren werde und schrieb mir: „Jetzt kann die Welt zeigen, was möglich ist…“
Gegen Mitternacht erhielt ich die Nachricht, dass sich Fabian Katzenschlager, ein ehemaliger Zivi der Gesellschaft für ganzheitliche Förderung und Therapie, bei ihnen gemeldet hätte, dass er die Tickets für das Konzert morgens bei ihnen abholen und sie nach München bringen werde.
Fabian fuhr tatsächlich die weite Strecke nach München und meldete sich gegen Mittag bei mir. Bella Mühlbauer und ich trafen ihn im Taklamakan, einem uigurischen Restaurant am Isartorplatz, und luden ihn dafür zum Essen ein. Eigentlich wollte er nur kurz die Karten übergeben und gleich wieder zurückfahren, aber er ließ sich dann doch recht schnell von uns überreden. Wir genossen das leckere Essen sowie den sehr freundlichen Service des Lokals und plauderten den Nachmittag über noch sehr nett zusammen. Fabian wird Sozialpädagoge werden, weil er seine Zeit als Zivi als sinnvoll und erfüllend erlebt hat. Über Bernadette und ihre Familie sprach er sehr liebevoll. Aber auch über die ausgezeichnete Organisation „Gesellschaft für ganzheitliche Förderung und Therapie“, in der er sich um Bernadette gekümmert hatte, fand er sehr lobende Worte.
Auf Wunsch der Familie Krauskopf machten wir noch ein Foto von uns Dreien bei der Kartenübergabe.
Die NÖN.at berichtete kurz darauf über die Freude der Schenkenden und zitierte sie: „Wenn wir die Grenzen in unseren Köpfen ein bisschen vergessen und ab und an zusammenhelfen, egal ob mit Behinderung oder ohne, egal ob jung oder alt, egal ob auf der einen Seite der Ländergrenze oder auf der anderen, dann kann man scheinbar auch Unmögliches möglich machen. Genauso hätte sich unsere Berni das gewünscht.“
Bernadette saß wegen ihrer Behinderung (Athetose) im Rollstuhl, den sie mit dem Kinn steuerte. Sie konnte nur nonverbal kommunizieren. Durch einen augengesteuerten Computer mit Infrarotsensoren konnte sie schreiben und so entstand ein Kinderbuch. Das Schreiben half ihr über einen Liebeskummer hinweg. Bernadette wurde von allen sehr geliebt. Das hört und liest man aus allen Erzählungen heraus. Auch Fabian beschrieb sie liebevoll als Sonnenschein.
Als die Familie eher nebenbei erfuhr, dass ich Aktivistin für Behindertenrechte und Inklusion bin und dass Bella, meine auserwählte Begleiterin für den Abend, ebenfalls im Rollstuhl sitzt, freute sie sich gleich noch mehr, dass nun sogar zwei Rollstuhlfahrerinnen zu dem Konzert rollen würden. Franzi Krauskopf meinte dazu, dass sie Bernadette lachen sehe.
Während und auch nach des Konzerts hielt ich via WhatsApp Kontakt mit der Familie Krauskopf und schickte auch immer wieder Fotos, damit sie auf die Entfernung teilhaben konnten.
Der Tag stand unter einem besonderen Stern und alle Menschen, die uns begegneten, waren besonders liebenswürdig zu uns.
Unsere Plätze in der Olympiahalle waren allerdings besetzt und so saßen wir erst mal hinter der letzten Reihe und überlegten, wie wir dennoch eine gute Sicht bekommen könnten. Plötzlich tauchten – ohne dass wir um Hilfe gebeten hätten – zwei Ordner auf und zeigten uns bessere Plätze, bei denen wir völlig freie Sicht auf die Bühne hatten. Nach einigem Hin- und Hergeschiebe von mehreren Rollstuhlfahrern stand eine Frau neben meiner Freundin Bella. Wie sich herausstellte, war das eine Jugendfreundin, die sie 37 Jahre lang nicht mehr gesehen hatte. Die Frau berichtete von ihrem Ärger mit dem Bezirk Oberbayern. Die beiden waren schnell ins Gespräch vertieft. Betroffene kennen schließlich den unendlichen Zirkus mit den tyrannischen Sachbearbeitern.
Das ausverkaufte Konzert „25 Years Over The Hump“ der Kelly Family mit Popmusik, Folk und Poprock war schön und abwechslungsreich. (Mit dem sehr erfolgreichen Album „Over The Hump“, das im Sommer 1994 erschien, erlebten die ehemaligen Straßenmusiker ihren Durchbruch und wurden zu Megastars.) Die Tour, die in München zu Ende ging, war ursprünglich mit 21 Konzerten geplant, es wurden dann aber wegen der großen Nachfrage 41 Termine in ganz Europa daraus. Die Geschwister berichteten von der Bühne aus auch davon, dass sie schwer zerstritten waren und dass ein Anwalt das Wunder vollbracht hätte, sie wieder zu versöhnen, indem er mit allen Einzelgespräche führte und anschließend zwischen allen vermittelte. Sie kündigten in der jubelnden Olympiahalle an, gemeinsam weiter zu machen: „Wir haben nichts anderes gelernt.“
Mich beeindruckte die enorme Energie, die die Kelly-Family auf die Bühne bringt. Sie haben Hochs und Tiefs durchgestanden und sind dabei bescheiden geblieben. Ich freue mich mit ihnen über ihre erfolgreiche Tour und die treuen Fans, die ihre Lieder mitsingen.
Als die Ballade „An Angel“ gespielt wurde, liefen mir auf einmal unkontrollierbar die Tränen und ich musste intensiv an die Verstorbene denken, deren Karten wir geschenkt bekommen hatten und von der ich nur Fotos kenne. Irgendwie war sie fühlbar mit auf dem Konzert dabei.
Via WhatsApp erfuhr ich am nächsten Tag durch Franzi Krauskopf, dass dieses Lied zur Beerdigung von Bernadette von ihren Freunden und Kollegen gesungen wurde.
Das war nicht nur ein Konzert. Es war sehr viel mehr. Es war magisch.
Es war ein großartiger Abend, aber das Großartigste an dieser Geschichte ist die wunderbare Familie Krauskopf und Fabian Katzenschlager.
Die Geschichte geht sogar noch weiter: Bella und ich werden zu einem Besuch nach Niederösterreich fahren und uns mit der Familie Krauskopf und der GFGF austauschen. Die Begeisterung für den Arbeitgeber hat mich beeindruckt und neugierig gemacht.
Zur Vorgeschichte: