Wer Oschatz auf der Straße in Richtung Wermsdorf verlässt, gelangt bald zum neuen Oschatzer Stadtteil Fliegerhorst. Kurz hinter dem Abzweig zum Fliegerhorst weist ein Schild den Weg zum Schloß. Nach wenigen Metern steht man dann vor den Ruinen dieses in Mitteleuropa einzigartigen Bauwerkes.
Es gibt zahlreiche Geschichten, Vermutungen und Spekulationen zu diesen immer noch mächtigen steinernen Überresten vergangener Jahrhunderte. Zwei große Ausgrabungen in den Jahren 1903 – 1907 und 1991/1992 haben einige Geheimnisse gelüftet, aber nicht alles geklärt.
Bei den Ausgrabungen 1991/92 konnte mit Hilfe der Dendrochronologie festgestellt werden, dass die in den Fundamenten verbauten Hölzer im Winter 1211/12 gefällt wurden, was gleichzeitig auf den Baubeginn schließen lässt. Als wahrscheinlich gilt, dass der Meißener Markgraf Dietrich der Bauherr gewesen ist.
Zu dieser Zeit im 12./13. Jahrhundert war der Markgraf meist nicht auf seiner Meißner Burg anzutreffen, sondern zog mit seinem Hofstaat von Ort zu Ort. Daher erscheint es durchaus einleuchtend, dass hier eine zeitweilige Residenz für die von 1185 bis 1259 am Collm abgehaltenen Landthinge geschaffen werden sollte. Dietrichs früher Tod beendete 1221 jedoch die Bauarbeiten, die sein Sohn und Nachfolger Heinrich der Erlauchte nicht mehr weiterführte. Zum Zeitpunkt von Dietrichs Tod war er gerade einmal 3 Jahre alt.
Behauptungen, das Schloss sei auf den Grundmauern eines einst vorhandenen römischen Kastells erbaut worden, haben sich nicht bewahrheitet. Dennoch ist am Schloss ein römischer Einfluss (römische Portikusvilla mit Säulengängen) nachweisbar, dessen Ursache möglicherweise in den Aufenthalten des Markgrafen Dietrich 1197/98 im Heiligen Land zu suchen ist.
So entstand eine Vierflügelanlage, die allerdings nie fertiggestellt wurde. Komplett dreigeschossig standen nur zwei der vier Flügel. Während es der dritte Flügel immerhin noch auf ein Geschoss brachte, zog man vom vierten Flügel lediglich die Innenmauer, um den Hof zu schließen. Einen Turm besaß das Schloss nachweislich nie. Merkwürdigerweise wurde auch kein Raum gefunden, der als Kirche oder Kapelle gedient haben könnte.
Die anfangs intensive Nutzung des Schlosses endete wohl spätestens 1259, als keine Landthinge mehr am Fuße des nahe gelegenen Collm stattfanden. Wahrscheinlich diente es später nur noch für gelegentliche Jagdaufenthalte. Die Anlage von Tiergärten (Wildgehege) spricht dafür. Als die Markgrafen später zunächst in Meißen und später in Dresden ihre Residenzen erweiterten, war das Schicksal des Schlosses besiegelt. Auch in der Nähe von Dresden und Meißen gab es reiche Jagdgebiete. So weist eine im Oschatzer Ratsarchiv vorhandene Urkunde aus dem Jahre 1379 das Schloss als „wüstes Steynhuse“ aus.
Der heutige Name „Osterland“ selbst ist völlig irreführend, denn die Collmregion war nie ein Teil des „Osterlandes“. In den Urkunden, die von dem „provinciale placitum Colmnitzt“ berichteten, taucht ein „Schloss Osterland“ nirgends auf. Erst am Ende des 18. Jahrhunderts, also über ein halbes Jahrtausend nach Erbauung des Schlosses, erscheint in Karten diese Bezeichnung. So war am Ende möglicherweise ein einfacher Druckfehler bis heute namensgebend für die Ruine.
Bei den Ausgrabungen unter Reinhard Spehr 1991/92 wurde ein in dieser Form in Mitteleuropa einzigartiges Quellhaus freigelegt. Es befindet sich im Innenhof der Anlage. Der Durchmesser seines Innenraumes beträgt sechs Meter. Acht schöne Sandsteinsäulen auf grünen Porphyrbasen rahmten das runde Wasserbecken über einer starken Quelle, die heute immer noch mehr als 1000 Liter Wasser pro Tag spendet. Dies wurde bei den Ausgrabungen ebenfalls festgestellt. Auch ein Überflusskanal nach außen ist vorhanden. Leider musste die Grabung wegen Sicherheits- und Vandalismusbedenken wieder verfüllt werden.
Das imposante Wasserbecken aus grünem Porphyr, welches den Kern des Quellhauses bildet, brachte den Archäologen Reinhard Spehr Anfang der 90er Jahre zu der These, daß Markgraf Dietrich „der Bedrängte“ von Meißen das Schloss um 1212 als Jagdhaus für die ritterliche Tafelrunde gebaut hat.
Die ursprüngliche Idee war aber wohl weniger eine Jagdpfalz, sondern eine Versammlungsstätte des markgräflichen Hofes, ein Schloß nach dem Vorbild der zu jener Zeit äußerst populären Gralsromane.
Die älteste bekannte Gralserzählung ist der unvollendete mystisch-religiöse Perceval-Versroman (Le Conte du Graal) des französischen Dichters Chrétien de Troyes (vor 1150 – um 1190), welche für den Grafenhof von Flandern zwischen 1179 und 1191 abgefasst wurde. Die Herkunft und Bedeutung des Grals, welche bei Chrétien in mysteriösem Dunkel verbleiben, hat erstmals Robert de Boron am Ende des 12. Jahrhunderts mit christlichen Aspekten ausgestattet. Der Gral sei demnach der Kelch, der beim letzten Abendmahl verwendet wurde und in dem Josef von Arimathäa das Blut Christi vom Kreuze aufgefangen habe, wie es im Nikodemus-Evangelium berichtet wird. Später sei er dann vor den Römern mit dem Gral nach England geflüchtet. Die Lebensdaten von Robert de Boron sowie der Zeitpunkt des von ihm verfassten Roman de l’estoire dou Graal sind heute nicht mehr eindeutig bestimmbar. Es wird vermutet, dass er ihn annähernd gleichzeitig mit Chrétien de Troyes schrieb.
In die deutschsprachige Literatur kommt das Thema etwa zwischen 1200 und 1210 durch Wolfram von Eschenbachs Übersetzungsbearbeitung von Chrétiens Roman Parzival. Wolfram erweitert die Erzählung allerdings durch unzählige zusätzliche Quellen. Nicht nur knüpft er aus eigener Initiative und mit großem Nachdruck seinen Helden an das anglonormannische Herrscherhaus Anjou (Plantagenet) und zieht eine zweite Linie vom Gral zur Fürstensippe Gottfrieds und Balduins von Bouillon, sondern nennt auch, um Verwirrung zu stiften oder um eines literarischen Spiels willen, einen Dichter namens „Kyot, den Provenzalen“ (wahrscheinlich Guiot de Provins, ca. 1140/50–1210) als seine Hauptquelle. Sein „Ur-Parzival“ sei auch das mysteriöse Buch in der Bibliothek des Grafen von Flandern, auf das sich Chrétien de Troyes berief, der aber vieles missverstanden habe. Kyot wiederum soll in Toledo ein „heidnisches“ Manuskript entdeckt und übersetzt haben, das von einem jüdischen Astronomen namens Flegetanis geschrieben worden sein soll.
Ist der Gral bei Chrétien ein Gefäß, so wird er bei Wolfram als Stein oder Steingefäß bezeichnet, das den Namen lapis exillis trägt, den Gralsrittern Speise und Trank spendet, Verbrennen und Wiedergeburt des Phönix bewirkt, allein durch seinen Anblick eine Woche vor Tod und vor Alter schützt und Ungetauften unsichtbar ist. Seine Kräfte verdankt er einer an jedem Karfreitag von einer Taube vom Himmel gebrachten Hostie, eine eindeutig eucharistische Symbolik. Auf dem Stein erscheinen die Namen der zum Gral Berufenen.
So heißt es bei Wolfram von Eschenbach:
„Der Wünsche Füll` und Paradies: Das war der Gral (vor dem ein Nichts Der Erdenglanz), der Stein des Lichts.“
Diesem „Stein“, der aus Luzifers Krone bei dessen Sturz aus den Himmeln gebrochen sein soll, werden außergewöhnliche, ja magische Eigenschaften nachgerühmt. So soll seine Gegenwart genügen, um alle Krankheiten zu heilen und Unsterblichkeit zu verleihen. Ferner spendete der Gral seinen Hütern Getränke und Speisen im Überfluß. Über die Herkunft des Grals weiß Wolfram von Eschenbach folgendes zu berichten:
„Ihn ließ auf Erden eine Schar, die wieder zu den hohen Sternen flog, da ihre Reinheit sie heimwärts zog.“
Vollmer schreibt 1874 in seinem Wörterbuch der Mythologie über den Gral:
„… eine große Schüssel, aus einem einzigen Smaragd geschliffen, in doppelter Hinsicht von unschätzbarem Werth, als heilige Reliquie, und als Stein der Weisen; dieser heilige G. soll die Schüssel gewesen sein, welche unter andern Schätzen die Königin von Saba dem Salomo gebracht; von diesem kam er als Erbstück an Nicodemus und dann an Joseph von Arimathia. Dort genoss Christus das Abendmahl daraus, und Joseph fing das den Wunden Jesu entströmte Blut darin auf. Hierdurch ward auch der Name bedingt, der eine Verstümmelung der Worte sanguis regalis oder saing réal ist. Die Dichter des Mittelalters bemächtigten sich dieses Stoffes; da ward aus dem Saint G. (so schrieb man statt des Obigen) der Stein der Weisen des Morgenlandes, welcher den Tisch, worauf man ihn setzt, mit den köstlichsten Gerichten füllt; da ward er die wahre Universalmedicin, die man gar nicht einzunehmen braucht, deren Anblick schon von allen Uebeln heilt, so dass, wer sie sieht, das ewige Leben gewinnt, d.h. gar nicht stirbt. Am Charfreitag kommen Engel hernieder, heben den heiligen G. empor und erhalten ihn schwebend in der Luft, bis ein Paar anderer Engel eine von Gott selbst geweihete Hostie bringen und sie hineinlegen, eine Scene, welche man auf alten deutschen Gemälden häufig wiederholt findet. – Noch weiter gingen die Engländer; nach den Sagen alt-britannischer Sänger brachte Joseph von Arimathia den heiligen G. nach Britannien. Auf dem Mont-salvatsch (mons salvatoris), einem Berge aus einem einzigen Onyx, stiftete Titurel einen Tempel, der aus lauter Gold, Aloëholz und einem köstlichen ungenannten Gestein gebaut war, welches im Sommer Kühlung, im Winter liebliche Wärme verbreitete. Hier sollte der G. aufbewahrt werden, und diess war ihm so vollkommen genehm, dass er selbst auf einer ungeheuren, 100 Klafter breiten Steintafel den Plan dazu zeichnete und auch alle Materialien zum Bau anschaffte. Dieser Tempel lag in eines Waldes düsterer Mitte und war deswegen so wenig bekannt, weil er so viel gesucht wurde, denn gerade von den Suchenden konnte er nicht gefunden werden; nur der Zufall und gläubiges Vertrauen, ohne den Wunsch ihn zu sehen, leitete dahin, aber dann auch stets zum zeitlichen und ewigen Heil des glücklichen Finders.“
Diese Schale aus Smaragd symbolisierte im Schloß Osterland das Wasserbecken aus grünem Porphyr. Die Anlage unter dem Becken war so gestaltet, daß aus der Quelle aufsteigendes Wasser von Verschmutzungen vollkommen gereinigt wurde, bevor es sich im Quellbecken sammelte. Demnach kann es sich auch nicht um eine offene Wasserstelle gehandelt haben, sondern um ein Quellhaus, welches nicht nur profanen Zwecken diente, sondern aufgrund seiner Bauweise und seines Dekors offenbar auch als Aufenthaltsraum für den Herrscher und seinen Hofstaat vorgesehen war. Zu diesem Schluß kommt auch Reinhard Spehr, der hier zu Recht eine gralshafte Anlage vermutet. Dietrich von Meißen hatte wohl die Absicht, hier einen ganz eigenen Gralsmythos zu pflegen.
Der sich im 12. Und 13. Jahrhundert um die Gralsromane herum entwickelnde Minnekult hat seinen Ursprung nicht in deutschen Landen, sondern stammte ursprünglich aus Südfrankreich.
Minne meinte im frühen und hohen Mittelalter zunächst ganz allgemein die positive mentale und emotionale Zuwendung, das „freundliche Gedenken“, und wurde für die Beziehung der Menschen zu Gott und für Beziehungen der Menschen untereinander in sozialer, karitativer, freundschaftlicher, erotischer und sexueller Hinsicht gebraucht. Besonders charakteristisch für die höfische Kultur des Hochmittelalters wurde die Thematisierung speziell eines Aspekts, nämlich des gesellschaftlichen Umgangs und der emotional-erotischen Beziehung zwischen Männern und Frauen. Diese Seite der Minne, die sich weitgehend mit der heutigen Idee der (Geschlechter-)Liebe deckt, wurde in Deutschland seit 1170 zu einem zentralen Thema in der Lyrik (Minnesang) und Epik (höfischer Roman). In diesem Prozess erfuhr Minne eine Stilisierung zu einem Ideal platonischer Liebe, das vor allem den unverbrüchlichen ritterlichen Dienst für eine Dame, die Unterwerfung unter ihren Willen und die Werbung um ihre Gunst bedeutete (so genannte Hohe Minne). Vor allem im 12. bis 14. Jahrhundert bezeichnete Minne diesen „fin’amors“ oder „amour courtois“ (höfische, adlige Liebe) der romanisch geprägten Ritterkultur.
Neben den Gralsromanen hat die Hohe Minne mit ihrer Verherrlichung einer rein platonischen Liebe einen weiteren Ursprung in den Lehren der Katharer.
Schon im Jahr 1163 sprach Eckbert von Schönau, Domherr zu Köln, abfällig über die Katharer, welche er als Ketzer brandmarkte. Abgeleitet ist dieser Begriff vom griechischen „katharoi“, was soviel wie „rein“ bedeutet. Eine andere Bezeichnung für sie lautet „Albigenser“, abgeleitet vom Namen der südfranzösischen Stadt Albi. Im Jahr 1165 wurde in Lombers, einem kleinen Ort in der Nähe von Albi, ein wichtiges Treffen zwischen katholischen Würdenträgern und den zu dieser Zeit bereits der Ketzerei beschuldigten Katharern organisiert. Erst nach diesem Kolloquium setzte sich der Begriff „Albigenser“ durch. Wer waren nun jene Männer und Frauen, die von der römisch-katholischen Kirche als so gefährlich erachtet wurden, dass sie verfolgt und vernichtet werden sollten?
Zunächst einmal waren sie auch Christen. Die Katharer lasen das neue Testament, insbesondere die Evangelien des hl. Johannes und bezogen daraus das Fundament ihres Glaubens. Sie glaubten in gewisser Form auch an Christus.
Doch ihre Lehre war dualistisch. Ihre Weltsicht war von tiefem Pessimismus geprägt, ihr Glaube hingegen war voller Hoffnung. Wie, so fragten die Katharer, kann es möglich sein, dass der in den Evangelien beschriebene allgütige, allwissende und vollkommene Gott eine derart unvollkommene Schöpfung wie unsere Welt hervorbringt – endlich, beherrscht von der alles zerstörenden Zeit, von Leid und Gewalt? Ihre Antwort auf diese Frage war die Feststellung einer ebenso traurigen wie unumstößlichen Tatsache. Es gibt nicht nur einen allmächtigen und allgütigen Gott, sondern zwei Prinzipien. Gut und Böse teilen sich die Welt untereinander auf.
Die Erde stellte für die Katharer eine Schöpfung des urbösen Demiurgen dar – des „Nach-Bildners“, der im Alten Testament unter dem Namen Jahwe agiert und bestrebt ist, das Gute zu vernichten. Deswegen sperrt er ein kleines Stück des Wahren Lebens – die Seele – in eine materielle Hülle – den Körper – und erfindet die Zeit, die das wesentliche Prinzip von Verderbnis und Zerstörung ist. Die Ewigkeit hingegen war für die Katharer die Wiedererlangung der reinen Existenz in einer Welt „jenseits der Sterne“ – in einer Welt des Geistes, geschaffen vom wahren Gott des Lichtes und der Liebe.
Die Menschen begriffen sie als gefallene Engel, „Multiplikationen des Urverführers Luzifer“, der bei seinem Sturz aus den Himmeln unzählige Seelen mit sich riss. Den ursprünglich von Gott geschaffenen Menschen verstanden sie nicht als ein Wesen von Fleisch und Blut, sondern als ein Lichtwesen, welches „einen wunderbaren Körper nach dem Abbild Gottes“ besaß. Durch seinen Sturz in die Welt der Materie büßte die Menschenseele diesen Lichtkörper ein und verlor so auch die spirituelle Verbindung zu ihrem göttlichen Ursprung. Diese gestürzten Miniaturwelten oder Mikrokosmen benötigten nun eine aus der Materie geborene Hülle – den Körper – um die göttliche Seele zu beherbergen. Daher treffen nach Auffassung der Katharer im Menschen beide Prinzipien aufeinander. Seine Seele, sein höheres oder wahres Selbst gehört dem Reich des Guten und des Lichtes an, sein Körper zur materiellen Welt des Demiurgen. Das Heil bestand für die Katharer folglich darin, sich von dieser materiellen Welt des „Nach-Bildners“ zu lösen, um zurück in die ursprüngliche Heimat des Menschen, in das Lichtreich des Guten zu gelangen. Das Leben auf dieser Erde begriffen sie daher als bloßen Zwischenzustand, erfüllt von Leiden, um der Buße und Läuterung willen.
Doch vom Tod erwarteten sie nicht automatisch die Befreiung der Seele. Diese kann erst in das Reich des Guten eingehen, wenn sie ihre Reinheit wiedergewonnen hat, also wenn sie zur Erkenntnis ihres eigenen göttlichen Ursprungs gelangt ist. Da der wahre Schöpfer der Menschen allgütig und vollkommen ist, existiert im katharischen Glauben auch keine Strafe im Sinn eines Fegefeuers oder gar der Hölle. Die Hölle wird mit der menschlichen Existenz auf dieser Welt gleichgesetzt. Jedoch ist es jeder Seele erlaubt, sich so lange in der Welt des Demiurgen zu verkörpern, bis auch sie Sehnsucht nach ihrer wirklichen Heimat verspürt und den Wunsch, zu diesem Ursprung zurückzukehren. Die Katharer waren überzeugt, dass selbst Luzifer, der Prinz der Finsternis, am Ende einer langen Reinigung und harten Läuterung für das Lichtreich wiedergewonnen würde.
Jesus von Nazareth war für sie nicht die irdische Inkarnation Gottes, sondern lediglich ein Bote des Lichtreiches, gesandt vom göttlichen Ursprung, um die Menschen in der Welt der Materie an ihre eigentliche Herkunft zu erinnern. Die Katharer gingen davon aus, dass dieser Bote des Lichtreiches all jenen, die ihn annehmen und sich bemühen, nach seiner Botschaft zu leben, den Parakleten schenkt, den Tröster – jene fehlende Verbindung, die den Menschen aus der Welt der Materie erneut zu seinem spirituellen Ursprung zurückführt. In der mittelalterlichen Literatur entspricht dieser Tröster dem heiligen Gral.
Für die Katharer war der aus dem Lichtreich stammende Geist, die spirituelle Inspiration etwas, das dem Menschen die rettende Erkenntnis offenbart. Diese Erkenntnis kann nach Auffassung der Katharer nur durch Handauflegen, also auf geistigem oder energetischem Wege übertragen werden. Jene dafür erforderliche schlichte Zeremonie wurde das Consolamentum genannt. Diese geistige Erwachsenen-Taufe oder Tröstung verleiht nach Ansicht der Katharer erst das „Verständnis des Guten“. Das Handauflegen, mit dem die geistige Taufe dem Empfänger gespendet wird, symbolisiert den Eintritt in das spirituelle Leben und die Anerkennung der Zugehörigkeit zum Lichtreich des Guten Gottes durch die in der Welt der Materie gefangene Seele. Das Consolamentum konnte nur von einer Person erteilt werden, die es bereits empfangen hatte, also von einem männlichen oder weiblichen Vollkommenen (Perfecti).
Die Katharer entnahmen ihre Lebensregeln den Evangelien. Zumindest die Vollkommenen oder „Perfecti“ – die Eingeweihten des katharischen Glaubens – wandten diese Regeln auch im engsten Sinne an. So weigerten sie sich, das Kreuz anzubeten, in dem sie zu Recht ein unmenschliches Marterinstrument und kein Heilszeichen erblickten. Sie emp¬fahlen ein Leben in materieller Be¬dürfnislosigkeit und lehnten so¬wohl die Kindstaufe, die Eucharistie als auch die Beichte und die Liturgie als Menschenwerk ab.
Die Jesus zugeschriebenen Worte sollten nach ihrer Auffassung als Übermittlung geistiger Erkenntnis verstanden werden und die von ihm vollbrachten Wunder nur in geistiger Hinsicht interpretiert werden. Sie sind lediglich als Allegorien auf die einem jeden menschlichen Wesen mögliche Transformation anzusehen. Die materielle Welt als Werk des „Nach-Bildners“ ist hingegen keineswegs verbesserungsfähig.
In Anbetracht unserer heutigen Situation gewinnen diese Aussagen des Katharismus einmal mehr bedrückende Aktualität.
Außerdem praktizierten die männlichen und weiblichen Perfecti eine uneingeschränkte sexuelle Enthaltsamkeit, da sie die Zeugung für ein Werk des Demiurgen erachteten. Hierdurch wurde der irdische Körper, das Gefängnis der menschlichen Seele, geschaffen.
Die Katharer weigerten sich auch zu schwören. Dieses Gebot war dem Evangelium des hl. Markus entnommen. Es stand aber ebenso wie die praktizierte sexuelle Enthaltsamkeit im vollkommenen Gegensatz zur Gesellschaftsordnung des 13. Jahrhunderts, die eben auf der Vermehrung der Familie durch möglichst viel Nachkommen und Achtung vor dem Treueid basierte. Die Bande des feudalen Lehnswesens waren wesentliche Bestandteile der gesellschaftlichen Organisation.
Ein weiteres Gebot der Perfecti betraf die Arbeit – sowohl körperliche als auch geistige Tätigkeit – als eine Pflicht für jedermann. Selbst die Adligen waren im Gegensatz zu den Gebräuchen der Zeit davon nicht ausgenommen.
Die Eingeweihten praktizierten darüber hinaus Endura, vergleichbar nur der strengen Askese indischer Yogis, um im versteckten göttlichen Selbst wiedergeboren zu werden, das allen Menschen innewohnt. Sie müssen eine leuchtende, unwiderstehliche Energie ausgestrahlt haben, da sie trotz ihres materiellen Körpers geistig wohl bereits auf einer anderen Ebene lebten.
Den einfachen Gläubigen des katharischen Kultes, Credentes genannt, die den Reizen des materiellen Lebens noch nicht ganz entsagen konnten oder wollten, wurde das Consolamentum, die „göttliche Tröstung“ auf dem Sterbelager gespendet. Der Sterbende legte hierbei die gleichen Gelübde ab wie ein Perfecti. Er verlieh seinem Wunsch Ausdruck, getröstet zu werden, indem er mit dem ihm betreuenden Perfectus das Vaterunser betete. Überlebte er nun seine Krankheit oder Verwundung, hatte der neue Getröstete die Wahl, wieder als einfacher Gläubiger in sein weltliches Leben zurückzukehren oder aber Novize zu werden und sich darauf vorzubereiten, jene Weihe zu empfangen, die als Consolamentum Ordinationis überliefert ist.
Während der Zeit der Verfolgung durch die katholische Kirche schufen die Katharer eine besondere Regelung, die sogenannte Convinenza. Sie ermöglichte es den Soldaten, das Consolamentum der Sterbenden vor dem Kampf zu empfangen. Eine solche Vereinbarung wurde getroffen, da das Consolamentum den Katharern verbot, auf Gewalt mit Gegengewalt zu antworten.
Die sterbenden Credentes, denen das Consolamentum gespendet worden war, wussten, dass sie noch ein oder auch mehrere Male in die materielle Welt zurückkehren mussten, um sich zu reinigen oder, wie die Inder sagen würden, um ihr Karma gänzlich abzutragen. Wie die Angehörigen vieler östlicher Kulturen glaubten auch die Katharer an eine Seelenwanderung durch zahlreiche Verkörperungen.
Die Katharer waren in ganz Europa verbreitet – Chronisten belegen sie mit zahlreichen Namen: Patarener, Publikaner, Manichäer, Albigenser oder Arrianer.
„So übermächtig war die Häresie der Katharer, daß sie binnen kurzem gegen tausend Städte ansteckte,“ notierte der Chronist Cäsarius von Heisterbach.
Es ist nur zu wahrscheinlich, daß auch der gebildete, weltgewandte Markgraf Dietrich von Meißen in Berührung mit den Idealen der Katharer gekommen ist. Zwar pflegte er gutes Verhältnis zum Bistum, doch über seine Glaubensauffassungen ist wenig bekannt. Auch das Fehlen einer Kapelle oder Kirche auf Schloß Osterland weist darauf hin, daß hier wohl nicht unbedingt christlich katholische Bräuche gepflegt wurden.
Das weitere Schicksal des Schlosses nach dem frühen und mysteriösen Tod seines Erbauers zeigt ebenfalls, daß sowohl der mit dem Interregnum beauftragte Landgraf Ludwig IV. von Thüringen, als auch sein Nachfolger Heinrich der Erlauchte mit Dietrichs Gralsschloß wenig anzufangen wußten.
An den Gralsromanen wird dies nicht gelegen haben, denn diese erfreuten sich ungebrochener Beliebtheit. Nicht so die Kirche der Katharer. In einem regelrechten Kreuzzug, der von 1209 mit Unterbrechungen bis 1245 dauerte, wurde die Glaubensgemeinschaft fast vollkommen ausgelöscht, und ihre Heimat Südfrankreich verwüstet. In Anbetracht der Berichte darüber, die sicher auch in die Markgrafschaft Meißen drangen, war den neuen Eigentümern des Schlosses wohl daran gelegen, den ursprünglichen Zweck des Baues der Vergessenheit anheimfallen zu lassen. Auch die Verfüllung des Quellbeckens und seine spätere Nutzung als Abfallgrube sprechen dafür, daß hier ein unerwünschtes Erbe verschwinden sollte.
Dieser Plan ist aufgegangen. Obwohl die monumentale Schlossanlage zu den ältesten Steinbauten Sachsens zählt, war das Schloß Jahrhunderte lang nur eine namenlose Ruine, eben ein „wüstes Steynhuse“, bis sich lange danach die heutige Bezeichnung Osterland einbürgerte.
Es gibt jedoch wieder Pläne für die Zukunft des wüsten Schlosses. So soll versucht werden, das Wasserbecken wieder frei zu legen. Das gewaltige Wasserbecken aus grünem Porphyr, in dem wohl schon die markgräflichen Ritter von Dietrichs Tafelrunde badeten, könnte unter ein Glashaus gepackt, und auf diese Weise wieder der Öffentlichkeit gezeigt werden.
Dresden, Dezember 2020
https://www.thomas-ritter-reisen.de
Verwendete Quellen:
Biller, Thomas, Das „wüste Steynhus“ bei Oschatz in Sachsen, Verlagsservice R. Schmidt, 2007
Borst, Arno, Die Katharer, Freiburg Basel Wien, 1991
Heidler, Siegfried in Der Heimatbote, Heft 19in Der Heimatbote, Heft 19
Landspurg, Adolphe, Orte der Kraft im Land der Katharer, Edition DANN, 1995
Oschatzer Allgemeine 16.04.2003
Rahn, Otto, Kreuzzug gegen den Gral, Freiburg, 1933
Schmidt, Robert, Anno Domini 1211, Verlags-, Werbe- und Philaservice R Schmidt, 2009
Spehr, Reinhard, Rätsel um Schloß Osterlant, Dresden, 2012
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 221