Ohne Stefan Heyms gleichnamigen Roman wäre die „Republik Schwarzenberg“ im Erzgebirge wohl nur eine Anekdote geblieben. In der DDR war das Buch verboten. Es konnte daher nur im Westen erscheinen und wurde 1988 im ZDF verfilmt. 1990 kam die fiktive Handlung über die kleine, kurzzeitige Enklave zwischen amerikanischen und sowjetischen Besatzungstruppen nach Ende des Zweiten Weltkrieges auch in Ostdeutschland auf den Markt.
Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde Stefan Heym als Redner bei der legendären Großdemonstration auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November 1989 sowie als Alterspräsident des ersten gesamtdeutschen Bundestages. Dass er dieses Amt ausgerechnet für die SED-Nachfolgepartei antrat, dass sich der einst durchaus anerkannte Schriftsteller zum PR-Büttel früherer SED-Funktionäre degradieren ließ, wurde damals von vielen kritisiert und hat seinem Ansehen nachhaltig geschadet. In keinem Bundesland gehören Heyms Bücher heute an weiterführenden Schulen zur Pflichtlektüre; ganz im Gegensatz zu anderen, früheren DDR-Autoren wie Christoph Hein, Monika Maron oder Christa Wolf.
Zugpferd für den Tourismus
Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl warf Heym vor, in Sachen Demokratie und Diktatur mit „doppelter Zunge“ zu sprechen, was selbst in eher linksliberalen Medien weitgehend unwidersprochen blieb. In der Tat hatte Heym seinen Traum von einem „humanen Sozialismus“ nie aufgegeben. In seinem Roman „Schwarzenberg“ sah er diesen verwirklicht, gleichwohl sich die historischen Fakten in vielen Punkten von der belletristischen Verarbeitung unterscheiden, woran sich aber kaum wer zu stören scheint. Denn von jeher beschert der 1995 verstorbene Stefan Heym der Stadt Schwarzenberg satte Einnahmen aus dem Tourismus. Rund ein Drittel aller Übernachtungsgäste, so belegen Umfragen, kommen nur seinetwegen nach Schwarzenberg, weshalb sie Heym vor dem Rathaus in der „Straße der Einheit“ auch ein übermanngroßes Denkmal gesetzt haben.
Keine „Res publica“
Doch der Reihe nach. Das rund 2000 Quadratkilometer große Gebiet rund um Schwarzenberg blieb nach Ende des Zweiten Weltkrieges vom 11. Mai bis 25. Juni 1945 ein „Niemandsland“, ein „unbesetztes Gebiet“. Während russische Truppen ihre Kommandantur in Annaberg einrichteten, rückten die US-Einheiten bis an die westliche Grenze des damaligen Landkreises Schwarzenberg vor. Sie blieben, wohl weil sie wussten, dass das Gebiet nach Absprachen mit Stalin, wenige Wochen später unter sowjetische Verwaltung fallen würde, an einer Grenzlinie zwischen Harstenstein, Auerbach und Zwickau stehen; was zur Folge hatte, dass das Gebiet um Schwarzenberg für sechs Wochen unbesetzt blieb. Was dann folgte, ist wissenschaftlich ausführlich erforscht. „In dieser Zeit nahm ein Aktionsausschuss die Verwaltungsgeschäfte in die Hand und organisierte das öffentliche Leben“, sagt der Historiker Uwe Puschner von der FU Berlin. Dieser Ausschuss verlieh der Enklave einen staatsähnlichen Charakter, den einer „Republik“, die um die Grundversorgung ihrer Bürger bemüht war. Es gab eine Art Notgeld und sogar Briefmarken, die mit „Schwarzenberg“ überstempelt waren und noch das Konterfei Adolf Hitlers trugen. Heute kümmert sich in Schwarzenberg ein Kunstverein um das Gedenken an dieses ungewöhnliche Intermezzo deutscher Nachkriegsgeschichte. Auf dessen Homepage freie-republik-schwarzenberg.de gibt es Führungen, weitergehende Literaturhinweise und historische Exponate.
Im Gegensatz zu anderen Städten war Schwarzenberg während des Zweiten Weltkrieges kaum von Kampfhandlungen betroffen gewesen, so dass weiterhin mittelalterliche und frühneuzeitliche Gebäude das Altstadtbild prägen. Wer sächsische und deutsche Geschichte an einem Ort nahe der Grenze zu Tschechien erleben möchte, ist in Schwarzenberg genau richtig. „Die Stadt war in erster Linie ein Zufluchtsort für Flüchtlinge und Evakuierte“, sagt Historiker Puschner. In den ortansässigen Betrieben schufteten zu Hochzeiten fast dreitausend Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. „Sie hausten unter teils menschenunwürdigen Bedingungen in Turnhallen, Gaststätten und Tanzsälen, so Puschner. Während der sechswöchigen Vakanz zwischen Mai und Juni 1945 patrouillierten Russen und Amerikaner regelmäßig durch die „Republik Schwarzenberg“, ohne sich in deren innere Angelegenheiten einzumischen. Doch so demokratisch und „antifaschistisch“ gesinnt, wie später gerne behauptet, waren die Mitglieder des Aktionsausschusses keineswegs. Einer von ihnen, der 2002 verstorbene Paul Willi Korb, arbeitete ab 1956 gar für die DDR-Staatssicherheit. Andere, wie etwa Willy Curt Irmisch, im Mai 1945 erster kommissarischer Nachkriegsbürgermeister von Schwarzenberg, machten später Karriere in der SED. Als linientreue Kommunisten, in deren Weltbild Andersdenkende keinen Platz hatten, bereiteten sie den Boden für eine rote Diktatur, die Ende Juni 1945 auch in Schwarzenberg ihren tragischen Anfang nahm.