Ein lebenslang verbindendes Gefühl: Der 1. FC Köln ist die Volkspartei

Anmerkungen zur politischen und gesellschaftlichen Verortung eines Fußballclubs

Als Mitte Januar 2009 die Rückkehr von Fußball-Nationalstürmer Lukas Podolski zu seinem alten Verein feststand, verbreitete das Presseamt der Stadt Köln eiligst eine Erklärung, in der der damalige Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) erklärte, warum die Heimholung des verlorenen Sohnes „einen absoluten Glücksfall für den 1. FC Köln“ darstellt. Dieser Vorgang ist bezeichnend für den Umgang der Stadtpolitik mit dem einheimischen Bundesligaverein. Wer in, um und um Köln herum etwas zu sagen hat, bedient sich – wenn es opportun und nützlich erscheint – des 1. FC Köln, um die eigenen Ambitionen zu bewerben. Ohne selbst politisch zu sein, wird das einstige Gründungsmitglied der höchsten deutschen Spielklasse auf diese Weise immer wieder in den politisch-gesellschaftlichen Diskurs induziert. Wer indes nach der konkreten politischen Verortung dieses Vereins fragt, wird keine Antwort bekommen.
„E Jeföhl dat verbingk, FC Kölle“, heißt es ebenso schlicht wie treffend in der Vereinshymne. Will heißen: Der FC ist eine Volkspartei, und ihr längst nicht mehr so unumstrittener ehemaliger Präsident Wolfgang Overath sieht das mit der angemessenen staatstragenden Bedeutung. „Der 1. FC Köln hat sich politisch nie vereinnahmen lassen, der FC ist wie eine Art Glaubensbekenntnis, das übergreifend ist über alle Parteien, Kulturen, Religionen, Weltanschauungen und Nationen hinweg“ sagt die Spieler-Legende aus den Zeiten, als sich der Verein noch Jahre lang in den oberen Tabellenregionen aufhielt und fügt hinzu. „Deswegen hat sich der Verein nie politisch positioniert, da wir uns als ein Verein verstehen, der alle Menschen verbindet.“ Schiller und Beethoven lassen freundlich grüßen. Dass der ein oder andere Trittbrettfahrer dieses faszinierende politisch-gesellschaftliche Sammelbecken immer wieder einmal für Eigen-PR instrumentalisiert, wird dabei stillschweigend in Kauf genommen. Beim Dom ist es ja nicht anders. Mit dem ungeschützten Wahrzeichen der Stadt kann jeder, der sich diesem zugehörig fühlt, etwas machen. Natürlich ist die Kathedrale folgerichtig Teil des Vereinslogos mit dem springenden Geißbock.
Das fundamentale Bekenntnis zu diesem Club zelebrieren die Anhänger bei Heimspielen ihres Vereins mit einer so unvergleichlichen emotionalen Hingabe, dass wohl so mancher Gegner schon beim Warmlaufen im Kölner Fußballtempel am liebsten wieder abziehen würde. „Jung oder alt, ärm oder rich, nur zesamme simmer stark FC Kölle“, singt das bis in die Wolle rot-weiß gefärbte, Schal und Fahnen schwenkende Fußvolk. Selbst auf den von vielen Unternehmen gemieteten Business-Seats erheben sich voller Ergriffenheit die Gäste – auch wenn darunter der ein oder andere Firmenkunde oder Gast ist, der sich aufführt, als hätte er Karten für die Weltfestspiele im Hallen-Halma gewonnen und daher nun völlig irritiert auf die grüne Wiese starrt, auf der sich die Spielfiguren auf einmal so schnell bewegen.
Die übergreifende Einigkeit und das religiös anmutende Gemeinschaftsgefühl – auch Kölns Erzbischof Joachim Kardinal Meisner ist schon mit dem rot-weißen Fanschal um die Schultern im Stadion gesichtet worden, und in der Weihnachtszeit steht immer auch eine FC-Fanfigur in der Krippe des Domes – war es wohl auch, die die Gründung des Clubs im Jahr 1948 beförderten. Nach der Fusion der traditionell eher der Arbeiterschaft zugeordneten Spielvereinigung Sülz 07 mit dem eher bürgerlich geprägten Kölner Ballspiel-Club 01 fragte der erste Präsident des nun als Erster Fußball-Club Kölns firmierenden Vereins: „Wollt ihr mit mir deutscher Meister werden?“ Eine solche Suggestivfrage mag damals an eine ähnliche Fragestellung vier Jahre zuvor erinnert haben und würde wohl heute in Zeiten der mitunter hypersensiblen politischen Korrektheit, in denen schon das Wort „Autobahn“ als belastet gilt, zu manchem Aufschrei in einer turbulenten Bundstagsdebatte führen.
Aufgeschrien haben sie oft beim Effzeh, etwa bei den drei deutschen Meisterschaften und den vier Pokalsiegen. Leider hat der Verein seit bald 28 Jahren keinen Pott mehr gewonnen und sich daher auf dem Balkon des altehrwürdigen Rathauses in der Innenstadt etwas rar gemacht. Dafür ist er in Sitzungen des Stadtrates ebenso immer wieder ein Thema wie in der medialen Berichterstattung. Die Altersschwäche und das Siechtum des ehemaligen Maskottchens Hennes VII. spielte seinerzeit dabei eine fast wichtigere Rolle in der Kommunalpolitik als das drohende Haushaltssicherungskonzept zur Konsolidierung der klammen Stadtfinanzen. Einen kollektiven Aufschrei gab es auch bei den mittlerweile vier Abstiegen – oder sind es bald fünf? – aus der höchsten deutschen Spielklasse. Der Zuneigung zu dem Verein tat dies keinen Abbruch, im Gegenteil: „Wir sind doch nur ein Karnevalsverein“ übten sich die Fans jeglicher politischer Couleur in Selbstironie. Alle rückten noch enger zusammen, nicht nur im meist vollbesetzten Stadion mit knapp 50 000 Anhängern, weshalb der Kölner Kabarettist Jürgen Becker in einem Zeitungsbeitrag einmal treffend ätzte, dass der FC wohl spätestens in der Kreisklasse eine größere Spielstätte benötige.
„Freud oder Leid, Zokonft un Verjangenheit, ov vor ov zoröck, neues Spiel heiß’ neues Jlöck“, bekennen sich indes die Anhänger dieser überregionalen Sammelbewegung mit Fans von Rio über Rom bis nach Prüm, Jläbbisch und Habbelrath eben eindeutig unzweideutig zu allen Facetten der Vereinsgeschichte. Das kann durchaus als Vorbild für manchen Politiker, Partei oder Unternehmen gesehen werden. Und das will etwas heißen bei einer Vereinsführung, die in der Vergangenheit und auch gegenwärtig in der Regel mit Personen besetzt war und ist, die der CDU nahe stehen oder – wie einige der bislang acht Präsidenten – sich als Christdemokrat auch explizit politisch betätigt haben. Dies wurde aber nie in den Verein getragen, und auch von den Lizenzspielern ist keine praktizierende politische Vorliebe bekannt. Sie würde auch niemanden interessieren.
Eher unfreiwillig hat der Verein Politik gemacht. Etwa im Jahr 1990, als der damalige und zwischenzeitlich nochmals zurückgekehrte Trainer Christoph Daum mit seinem Kokaingeständnis für Schlagzeilen sorgte. Verschnupft reagierte man seinerzeit auch auf die bohrenden Fragen nach dem Verbleib der 15 Millionen Mark hohen Ablösesumme aus dem Transfer des damaligen Nationalspielers Thomas Hässler zu Juventus Turin – Themen, die auch die Kommunalpolitik beschäftigten.
Aber ansonsten? Der FC hat es wirklich nicht nötig, sich politisch aufzustellen. Die Offenheit, Zuneigung und Toleranz, die kennzeichnend für die Gesundheit und Hygiene demokratisch verfasster Parteien sind, werden beim ersten Fußballclub der Domstadt besonders groß geschrieben. Das babylonische Sprachengewirr mit Spielern aus 13 Ländern oder zwölf oder vierzehn oder sonst woher, die zumindest das kölsche Liedgut mitsummen können und auf dem Platz von den Fans stets mit messianischer Heilserwartung begrüßt werden, ist signifikanter Ausdruck für diese kölsche Weltoffenheit über Grenzen hinweg. Barrieren würden wahrscheinlich nur dann entstehen, wenn auf dem Platz elf Düsseldorfer oder Mönchengladbacher im Trikot des 1. FC Köln dem runden Leder nachjagten. Diese Jahrhunderte alte Abneigung zu dem Club vom Niederrhein sowie zu dem rechtsrheinisch, und damit auf der schäl Sick gelegenen Dorf bleiben ohnehin auf allen Ebenen eine der ewig jungen Politika in Köln.

Finanzen

Über Constantin Graf von Hoensbroech 74 Artikel
Constantin Graf von Hoensbroech absolvierte nach dem Studium ein Zeitungsvolontariat über das "Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses - ifp". Nach Stationen in kirchlichen Medien war er u. a. Chefredakteur von "20 Minuten Köln", Redaktionsleiter Rhein-Kreis-Neuss bei der "Westdeutschen Zeitung", Ressortleiter Online bei "Cicero" sowie stellvertretender Pressesprecher der Industrie- und Handelskammer zu Köln. Seit März 2011 ist er Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation der Rheinland Raffinerie der Shell Deutschland Oil GmbH.

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