Ein Jahr nach „wir schaffen das“: In Europa isoliert, Kontrollverlust, ungewisse Kosten

Wären die vergangenen zwölf Monate anders verlaufen, wenn Angela Merkel am 31. August vergangenen Jahrs angesichts der Flüchtlingskrise nicht optimistisch verkündet hätte „Wir schaffen das“? Wohl kaum. Denn es war nicht der zum geflügelten Wort mutierte Satz, der Deutschland zum noch begehrteren Zufluchtsort gemacht hat. Das haben andere Faktoren besorgt: Merkels einsamer Entschluss vom 4. September, Deutschlands Grenzen unkontrolliert zu öffnen, die Hilfsbereitschaft der Deutschen und die Selfies der Kanzlerin mit Flüchtlingen. Dies alles verbreitete sich weltweit und wurde von Hunderttausenden als Einladung von „Mama Merkel“ verstanden, nach Deutschland zu kommen.

Merkel ließ damals offen, was sie genau mit „das“ gemeint hat, was sie genau schaffen wollte. Flüchtlinge in unbegrenzter Zahl aufzunehmen und zu versorgen, oder Flüchtlinge aus fremden Kulturkreisen möglichst schnell zu integrieren? Menschen in Not – auf Zeit – Schutz und Hilfe zu gewähren, oder unseren Fachkräftemangel durch diese Form der ungesteuerten Zuwanderung zu lösen? Dies alles blieb im Ungefähren. Dennoch kann man nach einem Jahr sagen: Es wurde Beachtliches „geschafft“; noch mehr aber wurde nicht geschafft.

Geschafft: Unterbringung und Versorgung.
Die Bundesrepublik hat ihrem Ruf als organisatorischem „Riesen“ alle Ehre gemacht. Die Unterbringung und Versorgung der ins Land strömenden Menschen klappte in der Zeit zwischen September und März bei uns besser als anderswo. Flüchtlinge mussten kaum im Freien campieren, sie wurden relativ schnell untergebracht, medizinisch betreut und versorgt. Die meisten der damals eingerichteten Notunterkünfte konnten inzwischen geräumt werden.

Geschafft: Flüchtlingszahlen gingen deutlich zurück.
Im vergangenen Herbst kamen an manchen Tagen (!) 10.000 und mehr Menschen zu „Mama Merkel“. Diese Zahl hat sich seit April dieses Jahres auf rund 16.000 pro Monat eingependelt. Das ist nicht etwa das Verdienst kluger Berliner Politik. Ohne die von der Bundeskanzlerin kategorisch abgelehnte Schließung der Balkanroute und ohne das von ihr initiierte Abkommen der EU mit der Türkei wären die Flüchtlingszahlen noch viel höher. Doch niemand weiß, ob Erdogan auf Dauer an diesem Deal festhält.

Nur teilweise geschafft: Die Neuorganisation des BAMF.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) war schon 2014 angesichts von 203.000 Neuankömmlingen heillos überfordert. Inzwischen ist diese Bundesbehörde besser organisiert, personell besser ausgestattet und hat die Zahl der Asyl-Entscheidungen deutlich erhöht. Der Berg an unerledigten Asylanträgen ist dennoch auf mehr als 500.000 angewachsen. BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise musste sein Versprechen, alle Altfälle bis Ende 2016 abgearbeitet zu haben, inzwischen zurücknehmen.

Nur teilweise geschafft: Schnellere Abschiebungen.
Illegale Immigranten ohne Anspruch auf ein Aufenthaltsrecht, subsidiären Schutz oder Duldung werden inzwischen schneller abgeschoben. Aber mehr als 200.000 Menschen, die eigentlich abgeschoben werden müssten, leben weiter bei uns. Teilweise haben sie ihre Papiere weggeworfen und sagen nicht, woher sie kommen. Andere verhindern ihre Abschiebung mit Hilfe dubioser ärztlicher Atteste oder tauchen unter.

Nicht geschafft: Eine europäische Lösung.
Das erklärte Ziel Merkels, Flüchtlinge nach festgelegten Kontingenten auf alle EU-Staaten zu verteilen, ist völlig gescheitert. Die meisten EU-Staaten weigern sich, Flüchtlinge in nennenswerter Zahl aufzunehmen. Als Begründung wird Merkels Alleingang vom 4. September angeführt. Fazit: Mit ihrer Flüchtlingspolitik hat die Kanzlerin uns innerhalb Europas mehr oder weniger isoliert.

Nicht geschafft: Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt.
Was abzusehen war, ist eingetreten: Die Flüchtlinge sind überwiegend gar nicht oder zu wenig qualifiziert, um hier eine Ausbildung aufzunehmen oder gar zu arbeiten. Sie vergrößern eher das Heer der Unqualifizierten, als den Fachkräftemangel zu beheben. Bis 2019 rechnet Arbeitsministerin Andrea Nahles wegen der Flüchtlinge mit rund einer Million zusätzlicher Hartz IV-Bezieher.

Nicht geschafft: Die Aufrechterhaltung der „Willkommens-Stimmung“.
Die von der Politik und dem größten Teil der Medien propagierte „Willkommenskultur“ hatte nicht nur eine große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung ausgelöst. Sie förderte auch die Erwartung, der Flüchtlingsstrom werde Deutschland auf vielfältige Weise „bereichern.“ Diese künstlich erzeugte Stimmung ist längst verflogen. Inzwischen betrachtet die Mehrheit der Bevölkerung den Zustrom an Flüchtlingen nicht als Gewinn, sondern als Belastung. Die zahlreichen Übergriffe in der Silvesternacht und einige wenige, von Flüchtlingen verübte Terroranschläge haben die Stimmung kippen lassen.

Nicht geschafft: Rückgewinnung der Kontrolle über unsere Grenzen.
An den Grenzen zu Deutschland wird, wer Asyl sagt, unverändert „durchgewinkt“, auch wenn er keinen Pass vorweisen kann oder will. Wir wissen also in vielen Fällen nicht, wer da zu uns kommt und in welcher Absicht. Apropos Kontrollverlust: Wir kennen in unserem so gut organisierten und überbürokratisierten Land zwar die Anzahl der Legehennen wie der Nebenerwerbswinzer. Wie viele Menschen aber im Jahr 2015 eingewandert sind, wissen wir bis heute nicht.

Große Fragezeichen: Bildung, Integration und Kosten.
Zwölf Monate nach Merkels Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik können viele Fragen noch nicht beantwortet werden. Werden die Analphabeten unter den Flüchtlingen sowie diejenigen ohne Schulabschluss jemals einen Beruf erlernen, der sie und ihre Familien ernährt? Werden diese Eltern sich genug um die Schul- und Ausbildung ihrer Kinder kümmern? Werden diese Menschen aus fremden Kulturkreisen sich jemals so integrieren, dass sie die Werte und Prinzipien unserer offenen, liberalen Gesellschaft bejahen und selber praktizieren? Oder werden nicht sehr viele ein Leben in ihrer ethnisch-religiösen Parallelgesellschaft bevorzugen: von Männern dominiert, muslimisch geprägt, voller Verachtung für unsere Werte – aber teilweise oder vollständig vom deutschen Steuerzahler finanziert?

Völlig offen ist auch, wieviel die Politik der offenen Grenzen kosten wird. Bund, Länder und Gemeinden kalkulieren nur mit den für die nächsten Jahre absehbaren Kosten für den Unterhalt von Flüchtlingen, Integrationskurse, schulische und berufliche Bildung und für den Wohnungsbau. Über einen wahrscheinlichen Kostenblock sprechen Politiker kaum, jedenfalls nicht öffentlich: Wie teuer der nicht unerhebliche Prozentsatz der Flüchtlinge uns zu stehen kommen wird, die – selbst wenn sie arbeiten – ein Leben lang Aufstocker bleiben werden und auch keine ausreichenden Rentenansprüche erwerben können, also lebenslang auf staatliche Transferleistungen angewiesen sein werden. Man hat den Eindruck, dass die Regierenden diese Rechnung lieber nicht aufmachen, weil das Ergebnis die Bevölkerung – frei nach Thomas de Maizière – erheblich verunsichern könnte.

Veröffentlicht in www.huffingtonpost.de vom 31.8. und in www.tichyseinblick.de

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