Ralf Rothmann, Feuer brennt nicht, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main (März 2009), 304 Seiten, Gebunden, ISBN-10: 3518420631, ISBN-13: 978-3518420638, Preis: 19,80 EURO
„Bücher beschützen. Dem Leben, das nachfühlbar erzählt wird, kann für kurze Zeit das Diffuse und Bedrohliche genommen werden. Nicht zuletzt rührt die Geborgenheit im Buch auch daher, dass gebannt ist, was den Lesenden ängstigt oder beunruhigt; gefesselt in der Formulierung, hat es keine Macht mehr über ihn, jedenfalls für die Dauer der Lektüre. Nur das Glück fühlt sich nicht wohl im Text, das Glück muss fliehen. Ein Reh ohne Scheu, das riecht immer gleich nach Disneyland.
Es bleibt immerhin ein Trost, dass das Leben wunderbarer ist als jede Literatur…“
Dieser Passage aus Ralf Rothmanns neuem Roman darf man uneingeschränkt recht geben. Dennoch kann gute Literatur wunderbarer Bestandteil des Lebens sein. Und „Feuer brennt nicht“ zählt zweifelsohne in diese Kategorie. Rothmanns Text hilft einem zwar nicht zu leben, aber vielleicht doch ein bisschen „das Leben zu erleben, und es dadurch reicher und einen selbst freier“ zu machen. „Das ehrwürdige Großmutterwort 'Wer liest, lebt doppelt' bewahrheitet sich am schönsten, wenn man sich eine markierte Stelle noch einmal ansieht. Das Augenaufschlagen, das hier stattgefunden hat, das Einatmen bis in die zartesten Seelen-Facetten.“
„Es sind Sätze, um die sich ein Schimmer des Staunens und Entzückens“ legt, sinniert der Protagonist in seinem Roman und Gleiches empfindet der Leser. Denn Ralf Rothmanns Buch erzeugt diesen ganz speziellen Glanz, dieses Glitzern und Funkeln. Mit wunderbaren Zustands- und atmosphärisch dichten, prosaisch-poetischen Landschaftsbeschreibungen, mit großartigen Augenblicksaufnahmen und Alltagsbeobachtungen und vor allem einer grandiosen Personencharakteristik erzeugt der Autor immer wieder ein Innehalten, Verinnerlichen und Ergötzen am Gelesenen. Rothmann schreibt Sätze, „die man ohne Gähnkrämpfe lesen kann“, die auf dem Papier nahezu lebendig klingen und unglaublich stimmungsvoll sind, ja, die man beinahe rahmen möchte. Da mag man die folgende Aussage verzeihen: „Rezensenten können eh nicht lesen, was schon daran zu erkennen ist, wie falsch sie oft zitieren“.
Ménage à trois
Offensichtlich hat 55-jährige viel Autobiografisches in seinem Text verarbeitet. Hauptakteur Wolf – sein Alter Ego – hat nicht nur die Anzahl der Buchstaben seines Vornamens (die beiden letzten sind gar völlig identisch) und das Alter mit Rothmann gemeinsam, sondern ist ebenso wie er Schriftsteller und lebt in Berlin. In Rückblicken und Erinnerungen erzählt er aus seinem Leben und dessen Verwicklungen, die – wie könnte es anders sein – durch zwei Frauen bzw. eine ménage à trois, die Wolf unterhält, hervorgerufen werden.
Derweil fängt alles so unkompliziert an: relativ unbekannter Autor gibt eine Lesung und lernt auf dieser Veranstaltung eine junge Buchhändlerin kennen. Man hat guten Sex miteinander, verliert sich wieder aus den Augen, kommt letztendlich doch zusammen und führt ein, von „teilnahmsvoller Distanz“ geprägtes, sich wunderbar ergänzendes gemeinsames Leben. Denn Alina, so heißt die Angebetete, hat das was ihm, „der freien Existenz voller Anmut und Abenteuer“ fehlt: Bodenhaftung. „Seine Unberechenbarkeit […], das Gewittern in seinem Wesen, die Launen oder gar Gemeinheiten dessen, der von den eigenen Ansprüchen an die Wand gedrückt wird, scheinen sie nicht zu erschüttern.“ Mit ihr kommt das Beschwingte in seinen Text, „das Schreiben wird für eine Weile leicht.“ Und sie ist beste Kritikerin: “ 'Das ist falsch', sagte sie einmal und zeigt auf eine Stelle kurz vor dem Schluss. 'Feuer brennt nicht! Feuer flackert oder leuchtet oder raucht. Brennen tut was anderes…' „.
Ein äußerst feingezeichneter Roman
Die bewegliche Freiheit jedoch – beide leben lange Jahre in zwei getrennten Wohnungen – wackelt gehörig, als sich die beiden entschließen, aus dem Zentrum weg in eine gemeinsame Wohnung am idyllischen Rand von Berlin zu ziehen. Hier macht Wolf nicht nur die plötzliche zwischenmenschliche Enge zu schaffen, sondern auch das Klientel: viele Alte, „Bürger des vergangenen Staates, die selten lächeln, kaum je grüßen und statt 'Supermarkt' noch 'Kaufhalle' sagen.“ Das Universum scheint über diesem Teil Berlins etwas kleinkarierter zu sein.
Vielleicht ist „Steppen“-Wolf aufgrund dessen empfänglicher, als die mondäne, kluge, clevere und weltgewandte Wissenschaftlerin Charlotte, eine frühere Geliebte, auf der Bildfläche erscheint und sich eine leidenschaftliche Affäre entspinnt. Die Gefühle für Alina sind trotzdem noch die gleichen, ja, Wolf ist sich sicher, dass „erst ein Fehltritt […]den Tango vollkommen“ macht. Zumal die Sprache, die er mit Charlotte deklamiert, nur die der nackten Körper ist, „lange, gut gebaute Sätze, fast nur mit dem Atem gesagt“. Charlotte fürs Grobe, Alina für das Feine und Sinnliche. Doch in der „Hölle der Verheimlichungen“, dem „Himmel der Lügen“ und vieler offen, sehr direkt und beinahe pornografisch beschriebener Treffen später offenbart sich der mittlerweile Fünfzigjährige Wolf „seiner Frau“ Alina…
Auch wenn im Roman kaum etwas passiert und der Plot mit einem Minimum an Agierenden auskommt, so gelingt Ralf Rothmann trotz mancher derber Beschreibungen, ein äußerst feingezeichneter Roman. In seiner ihm ureigenen, poetischen Sprache vermag er Sätze zu bauen, die „nicht schon beim ersten Stirnrunzeln“ zerfallen. Der 55-jährige Autor kann wie kein anderer unterscheiden „zwischen Vers und Gebärde und weiß, wie man etwas verschweigen muss, damit es leuchtet.“
Fazit:
„Von sich zu schreiben in der ersten Person geht selten ohne Verstellung . . . So bleibt nur die dritte Person, eine dürftige Tarnung, womöglich mit sprechendem Namen.“
Ralf Rothmanns stark autobiografischer Roman erzählt vom Altern, Arbeiten und Lieben eines Schriftstellers sowie dessen vornehmlich sexuellen Verlockungen, denn das „ist ihm seit je das Hauptsächliche im Leben“ und auch ein großes Thema dieses Romans.
„Feuer brennt nicht“ ist ein ernster und pathetischer, manchmal gar beunruhigender und aufregender Text, der trotz seiner Handlungsarmut in sich absolut rund ist und dessen Worte, Sätze und das daraus gebildete Rothmannsche Gefüge noch lange nach dem Zuschlagen der letzten Seite im Unterbewusstsein des Lesers nachklingen. Ein Buch, das gleichwohl über existenzielle Fragen nachdenken lässt.
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