Ehrung eines Antifaschisten: Wie Kommunisten mit der Geschichte umgehen

Die letzten Jahre der Weimarer Republik 1930/32 waren erfüllt von Straßenschlachten, politischen Morden und Aufmärschen gegen die verhasste Reichsregierung. Angeführt wurden die republikfeindlichen Kräfte, die den demokratischen Staat mit allen Mitteln bekämpften, von Kommunisten und Nationalsozialisten, die, wenn die Umstände günstig waren, auch Bündnisse miteinander eingingen. So geschah es beim Streik der „Berliner Verkehrsgesellschaft“ vom 2. bis 5. November 1932. Durch diese koordinierte Aktion einer „antirepublikanischen Einheitsfront“ wurde für drei Tage der öffentliche Nahverkehr in Berlin stillgelegt. In der Dissertation „Nähe zum Gegner“ (1994) des Hamburger Ex-Linken Klaus Rainer Röhl, geboren 1928 in Danzig, der einst Chefredakteur der aus Ostberlin finanzierten Politillustrierten „Konkret“ war und heute für konservative Zeitungen schreibt, kann man Einzelheiten nachlesen.
In der Nacht zum 1. Februar 1931 wurde in Berlin-Charlottenburg der Kommunist Otto Grüneberg (1908-1931), Mitglied des „Rotfrontkämpferbundes“ und der „Roten Hilfe“, vom „SA-Sturm 33“ auf offener Straße erschossen. Er sollte, das war das Mordmotiv, daran gehindert werden, als Zeuge in der Sache Max Schirmer auszusagen, der von der SA erstochen worden war. Wie man einem Artikel des DKP-Zentralorgans „Unsere Zeit“ vom 7. Februar entnehmen konnte, versammeln sich alljährlich am 1. Februar im ehemaligen Wohnhaus des erschossenen „Klassenkämpfers“ in der Charlottenburger Schloßstraße 22 Berliner „Antifaschisten“, um „Lehren aus seinem Leben und seinem Tod der heutigen Generation weiterzugeben“. Was der Verfasser des Artikels, der in unbeholfenem Deutsch schreibt, damit meint, wird nicht mitgeteilt. Wir erfahren aber, dass Reinhard Naumann (SPD), seit 2011 Bezirksbürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf , an der Gedenkveranstaltung 2014 teilgenommen und die Gäste begrüßt hat.
Ein halbes Jahr später, am 9. August 1931, wurden in Berlin-Mitte am Bülowplatz, der seit 1969 Rosa-Luxemburg-Platz heißt, die beiden Polizeioffiziere Paul Anlauf und Franz Lenk aus kürzester Entfernung hinterrücks erschossen. Ein dritter Polizeioffizier, Richard Willig, wurde angeschossen und kam mit dem Leben davon. Die Meuchelmörder waren in diesem Fall keine SA-Männer, sondern drei Kommunisten von der KPD-Bürgerkriegstruppe „Proletarischer Selbstschutz“: Max Matern (1902-1935), Erich Ziemer (1906-1937) und Erich Mielke (1907-2000). Während Max Matern 1933 verhaftet, 1934 zum Tode verurteilt und 1935 in Berlin-Plötzensee geköpft wurde, konnten die beiden anderen Mörder noch im Sommer 1933 über Rostock und Leningrad nach Moskau fliehen. Erich Ziemer starb 1937 als „Interbrigadist“ im Spanischen Bürgerkrieg, er verbrannte in einem Panzer. Erich Mielke überlebte die Stalinschen Säuberungen, wurde 1957 DDR-Minister für „Staatssicherheit“, was er blieb bis zum 7. November 1989. Am 7. Dezember 1989 wurde er verhaftet, am 26. Oktober 1993 wegen der Polizistenmorde lediglich zu sechs Jahren Haft verurteilt, aber schon am 1. August 1995 wegen „Haftunfähigkeit“ entlassen. Nach dem Mörder Max Matern waren im SED-Staat Straßen, Schulen, Betriebe und eine Unteroffiziersschule benannt.
Eine Gedenkfeier für die 1931 ermordeten Polizeioffiziere hat 2011 nicht stattgefunden. Ob SPD-Politiker Reinhard Naumann daran teilgenommen hätte, ich höchst zweifelhaft!

Über Jörg Bernhard Bilke 263 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.

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