Sie hat ein schlechtes Image: die Postmoderne. Wo sie überhaupt noch präsent ist, da taugt sie nur als Chiffre für ein „Anything goes“. Eben davon will niemand etwas hören. War es nicht genau diese Überzeugung der achtziger Jahre, man möge viele bunte Blumen wachsen lassen, die den Ruf nach dem Gegenteil provoziert hat? Den Ruf also nach Werten und nach Hierarchie, nach Sonderung und Moral? Auf dem Feld der großen wie der kleinen Politik ist das sehr vermutlich der Fall. Insofern gibt es anno 2008 wenig Gründe, traurig zu sein über die Scheinblüte und den Niedergang eines rasch versimpelten Schlagwortes.
Andererseits ist es auch heute möglich, Funken zu schlagen, Freudenfunken und Geistesblitze, aus diesem Stilbegriff – dann nämlich, wenn man ihn so begreift, wie er einmal gemeint war und ihn zurückführt in sein Kerngebiet, die Ästhetik. Als Stil ist die Postmoderne nicht erledigt, kein Architekturfreund und kein Designspezialist wird es bezweifeln. Und nun gibt es – Tusch, Narhallamarsch – den lebenden Beweis, dass die Postmoderne auf Theaterbühnen ein quicklebendig’ Ding sein kann. Der Beweis heißt Ehnert, Vorname Michael.
Dessen Ein-Personen-Stück „Heldenwinter“, seit Herbst 2006 deutschlandweit zu besichtigen, ist eine ebenso kluge wie vergnügliche Expedition ins Tollhaus Gegenwart. Ehnert spielt einen Drehbuchautor, der im ICE zwischen Hannover und Hamburg-Altona letzte Hand anlegen will an sein Actiondrehbuch über den Weltretter Thornton, der nach einer Verkörperung durch Bruce Willis schreit. Im ICE begegnet dem Ich-Darsteller allerlei skurriles Personal, vor allem ein italienischer Mafiosi, der zugleich ein Heiliger sein könnte – oder umgekehrt. Minute um Minute zerrinnt das Drehbuch unter des Drehbuchautors Fingern, denn: Heldsein im 21. Jahrhundert, Heldsein in der Phantasie ausgerechnet eines Deutschen ist unmöglich. Warum?
Siegfried, der letzte deutsche Held, war tumb und kräftig, heute sind die Männer überreflektiert und unterernährt, fit und grüblerisch. Im Drehbuch erlegt Thornton, der für das deutsche Publikum zu Thorsten Tengelmann wird, keinen Drachen, doch immerhin in höchster Lebensgefahr einen Eisbären. Wie reagiert darauf die Frau an seiner Seite? Sie macht dem Helden Vorwürfe ob dessen unsensibler, eher tierischer als menschlicher Tötungstat. Sie verstrickt ihn in fruchtlose Rechtfertigungsdiskurse. Heldsein, soviel ist klar, verlangte ein ungebrochenes Mensch- und Mannsein, das als solches nicht mehr verstanden wird.
Postmodern ist diese Verunmöglichung insofern, als sie direkt aus der Unerzählbarkeit des Lebens folgt. Da jedes Geschehen heute in Episoden zerfällt, untragisch, zusammengehalten durch die Struktur, nicht den Inhalt, kann kein Lebensgang mehr erzählt werden. Ohne Kontinuum aber, ohne Person und ohne Kausalität, gibt es weder Helden noch Versager, nur Durch-Wurstler und Therapierte. Postmodern am und im „Heldenwinter“ ist auch der bruchlose Übergang von Zitat zu Zitat, von Parodie zu Parodie, die dann Leben heißt. Ehnert wechselt sekundenschnell, mitten im berühmten Satz vom „krummen Holz“ des Menschen, von Klaus Kinski, der solchermaßen Kant zitiert, zu Adolf Hitler, der das Kant-Zitat vollendet. Darstellung ist alles, Grammatik plus Emphase, und wer da nicht lachen mag, lebt altmodisch, also modern.
Die Absage an Kant ist konsequent, weil der Denker der Person und der Würde nichts mehr zu melden hat im Stakkato der Reize, deren Teil wir alle sind. Was Erzählung hieß, ist Gewebe: Thornton steht auf der Scholle, will seine Partnerin aus dem Packeis ziehen, diese aber beschwört ihn loszulassen, sie sinken und sterben zu lassen. So ergeht es dem Erzählverlangen der Gegenwart: Man müsste festhalten an dem, was war, um das Gegenwärtige darstellen zu können. Konditionalisiert aber sind wir darauf, Knoten zu knüpfen, die man leicht und gerne löst, Episoden, die man hurtig herunterhaspelt, hurtiger vergisst.
Kommt dann und wann ein großes Gefühl uns in die Quere, müssen wir uns verhalten, wie Umberto Eco es beschrieb: „Die postmoderne Haltung erscheint mir wie die eines Mannes, der eine kluge und sehr belesene Frau liebt und daher weiß, dass er ihr nicht sagen kann ‚Ich liebe dich inniglich’, weil er weiß, dass sie weiß (und dass sie weiß, dass er weiß), dass genau diese Worte schon, sagen wir, von Liala geschrieben worden sind. Es gibt jedoch eine Lösung. Er kann ihr sagen: ‚Wie jetzt Liala sagen würde: Ich liebe dich inniglich.’ In diesem Moment, nachdem er klar zum Ausdruck gebracht hat, dass man nicht mehr unschuldig reden kann, hat er gleichwohl der Frau gesagt, was er ihr sagen wollte, nämlich dass er sie liebe, aber dass er sie in einer Zeit der verlorenen Unschuld liebe.“
Darum lebt der Bühnen-Ehnert nur im Drehbuch seiner selbst, genauer: im imaginierten ICE und im dort wiederum herbeiphantasierten Drehbuch, nirgends sonst. Man muss es gesehen haben, um es loslassen zu können.
www.alexander-kissler.de
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