Eduard von Hartmann und die Kommunikation mit Außerirdischen

Wenn intelligente Bewohner ferner Planeten ähnlich geartet sind wie wir Menschen, dann ist es vielleicht besser, wenn sie uns nicht zu nahe kommen. Denn war es nicht häufig so, dass kriegstechnisch überlegene Zivilisationen über schwächere herfielen, sie versklavten und ihre Rohstoffe raubten? Da mit jedem weiteren entdeckten Planeten die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es anderswo im Weltall technisch überlegene Zivilisationen gibt, sollten wir uns vielleicht davor hüten, auf uns aufmerksam zu machen und besser keine intelligenten Signale in die Tiefen des Alls senden, die beutegierige Weltraumpiraten anlocken könnten. Ein entsprechendes Projekt ist gegenwärtig umstritten. Es lautet METI, was für Messaging to Extraterrestrial Intelligence steht (siehe: http://www.heise.de/newsticker/meldung/SETI-Institut-Streit-um-systematische-Nachrichten-ins-Weltall-2550289.html). Ein populärer Fürsprecher strikter Zurückhaltung in Sachen interstellarer Mitteilungsbedürftigkeit ist etwa der Astrophysiker Stephen Hawking. 2010 sprach er folgende Warnung aus: Sollten Außerirdische uns jemals besuchen, so würde dieses Ereignis in etwa der Landung von Christoph Columbus in Amerika vergleichbar sein, was für die Indianer bekanntlich verheerende Folgen hatte.

In einem ganz anderen geistigen Orbit bewegte sich diesbezüglich der heute wenig gelesene bis viel geschmähte, aber hiermit empfohlene Philosoph Eduard von Hartmann (1842–1906). Statt Angst vor ETI zu verbreiten, stellt er als früher Theoretiker interstellarer Kommunikation grundstürzende Überlegungen an. Allem Geozentrismus und Anthropozentrismus fern, zeichnen sich seine Gedanken zu intelligenten Bewohnern ferner Planeten durch Zweierlei aus: Zum einen bestechen sie durch ihre visionäre Kühnheit, da sie Erwägungen moderner Astrobiologie vorwegnehmen. Zum anderen sind sie mit der Grundfrage unseres Daseins verwoben, der Frage nämlich, ob unser von Nöten strukturiertes Dasein eigentlich zumutbar ist und fortgesetzt werden soll. Diese Frage beantwortet Hartmann im Geiste Schopenhauers mit einem klaren Nein. Was für Hartmann in seiner Philosophie des Unbewussten von 1869 indes nicht in Frage kommt, ist ein heute vernünftig scheinender schlichter und unmetaphysischer Antinatalismus (siehe: http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_5496/): „Was hälfe es z.B., wenn die ganze Menschheit durch geschlechtliche Enthaltsamkeit allmählich ausstürbe, die Welt als solche bestände ja doch weiter und befände sich in keiner wesentlich andern Lage als unmittelbar vor der Entstehung des ersten Menschen auf Erden; ja sogar das Unbewusste würde die nächste Gelegenheit benutzen müssen, einen neuen Menschen oder einen ähnlichen Typus zu schaffen, und der ganze Jammer ginge von vorne an.“

Im Unterschied zu Schopenhauer glaubt Hartmann an einen Fortschritt und geschichtlichen Lernprozess der Menschheit. Irgendwann könnte diese in der Lage sein, den Willen zum Dasein auf Verabredung kollektiv zu verneinen. Hartmann schwebt eine menschheitliche Willensverneinung vor, die alles andere sein soll als ein Massenselbstmord der Menschheit. Auf dem Boden seiner Metaphysik werde vielmehr eine restlose Aufhebung der Welt zuwege gebracht, „wenn die negative Seite des Wollens in der Menschheit die Summe alles übrigen in der organischen und unorganischen Welt sich objektivierenden Willens überwiegt.“ Das Universum würde sodann mit einem Schlage verschwinden. Als praktische Bedingung hierfür nennt Hartmann „eine genügende Kommunikation unter der Erdbevölkerung, um einen gleichzeitigen gemeinsamen Entschluss derselben zu gestatten. In diesem Punkte, dessen Erfüllung nur von Vervollkommnung und geschickterer Anwendung technischer Erfindungen abhängt, hat die Phantasie freien Spielraum.“ Tatsächlich hat die Wirklichkeit von Internet und Mobiltelefonen die Phantasie offenbar schon eingeholt.

Eine nähere Voraussetzung für die Realisierung einer kollektiven Weltaufhebung ist nun wie angedeutet, dass eine Willensmajorität hinter dem Entschluss zum Weltende steht. Man ahnt es vielleicht: An dieser Stelle verlässt Hartmann mit einer nach Lichtjahren sich bemessenden Umsicht unsere Erde und unser Sonnensystem und berücksichtigt etwaige andere bewohnte Welten. Und auch diesmal ist sein technologischer Optimismus schier grenzenlos:

„In dem Augenblick, wo es uns gelingen würde, bewusste Geister auf andern Schauplätzen erfahrungsmäßig zu konstatieren, würden dieselben Mittel, welche zu dieser Feststellung geführt haben, vermutlich auch hinreichen, eine Verbindung der Menschheit mit diesen planetarischen Geistern zu eröffnen, durch welche unsre geistige Aktionssphäre über die Erde hinaus erweitert würde.“ […] Was „eine gemeinsame Aktion der geistigen Bewohner verschiedener Himmelskörper“ angeht, „so können wir mit Sicherheit darauf rechnen, dass zur rechten Zeit, d.h. wenn beide Theile die Reife für die geistige Kommunikation und deren fruchtbringende Ausnutzung erreicht haben werden, die Verbindung auch entdeckt und hergestellt werden wird.“

Wie wahrscheinlich ist es nun für Hartmann, dass Lichtjahre entfernt andere intelligente Wesen „gleichzeitig“ mit uns existieren, mit denen wir zwecks Herbeiführung des All-Endes in Kommunikation treten müssten? Auch hier ist seine Antwort erstaunlich modern:

Wenn man auf die große Zahl der Fixsterne hingewiesen hat, um aus ihr eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die gleichzeitige Existenz anderer Schauplätze des geistigen Lebens neben dem unsrigen abzuleiten, so hat man dabei übersehen, dass die kolossalen Zeiträume in den kosmischen Entwicklungsprozessen dem zeitweiligen Zusammentreffen gleicher Phasen wieder ebenso viel an Wahrscheinlichkeit rauben, als die große Zahl der Fixsterne ihm zu gewähren scheint.“ „Wenn das bewusste Geistesleben viele Schauplätze im Weltgebäude hat, so ist es doch höchst wahrscheinlich, dass es auf denselben nicht gleichzeitig anzutreffen ist, sondern über dieselben hin wandert, vielleicht mit längeren zeitlichen Zwischenpausen.“

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen zeigt sich Hartmann skeptisch, was die Notwendigkeit angeht, mit den Bewohnern anderer Welten zu kommunizieren, um einen Zeitpunkt für die willensverneinende Aufhebung der Welt zu verabreden: „Die siderischen Entwickelungen messen nach so ungeheuren Zeiträumen, dass es schon a priori etwas sehr Unwahrscheinliches hat, wenn das Bestehen einer hochorganisierten Gattung auf einem anderen Gestirn gerade mit der Dauer der Menschheit auf Erden zusammenfallen sollte.“ Vermutlich werde es im Weltall niemals gleichzeitig existierende Zivilisationen geben, die sich zu verabreden hätten. Ähnliche Überlegungen wie diese sollten später von Vertretern der Astrobiologie vorgebracht werden. Doch mit seiner Skepsis bezüglich der „Gleichzeitigkeit“ unterschiedlicher Zivilisationen im Weltall hat Hartmann noch auf andere Weise Recht, als er seinerzeit wohl ahnen konnte. Denn seine Theorie interstellaren kommunikativen Handelns zur Selbstaufhebung von Allem und Jedem beansprucht eine Absolutheit physikalischer Gleichzeitigkeit, von deren einstweiliger Unmöglichkeit zur Zeit der Fertigstellung seiner Philosophie des Unbewussten 1869 nichts bekannt war. Erst Einsteins spezielle Relativitätstheorie von 1905 erwies mit der Begrenztheit der Lichtgeschwindigkeit und damit allen Informationsaustauschs die Unmöglichkeit einer für alle Zivilisationen im Weltall geltenden Gleichzeitigkeit, zu der man sich zwecks konzertierter Willensverneinung und Weltaufhebung hätte ins Einvernehmen setzen können.

Ist wegen der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit auch die Angst unbegründet, mit unvorsichtigerweise ausgesendeten Signalen extraterrestrische Piraten anzulocken? Soll diese Angst fundiert sein, bedarf es offenbar einer überlichtschnellen Weltraumfahrt oder sonstigen Transportmöglichkeit. Ist also Stephen Hawkings Furcht vor ETI ein indirekter Beweis dafür, dass er eine Technik nicht ausschließt, die Reisen schneller als das Licht ermöglicht?Wie dem auch sei, uns bleibt die von Hartmann begründete Hoffnung, dass wir tatsächlich allein im All sind und sich das von uns auf der Erde gebotene Schauspiel anderswo nicht wiederholt hat.

Über Karim Akerma 76 Artikel
Dr. Karim Akerma, 1965 in Hamburg geboren, dort Studium u.a. der Philosophie, 1988–1990 Stipendiat des Svenska Institutet und Gastforscher in Göteborg, Lehraufträge an den Universitäten Hamburg und Leipzig, Tätigkeit als Übersetzer aus dem Englischen, aus skandinavischen und romanischen Sprachen. Wichtigste Publikationen: „Verebben der Menschheit?“ (2000), „Lebensende und Lebensbeginn“ (2006) sowie "Antinatalismus - Ein Handbuch" (2017).

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