Edmund Husserls Epochè und phänomenologische Reduktion

Auch wenn es sich bei ausgeführter ,,Methode“ um eine konstitutionell soziologiefremde Disziplin handelt, wird es als bedeutsam erachtet, das Verfahren der Epochè und phänomenologischen Reduktion Edmund Husserls – Philosoph und Vater der Phänomenologie – anzuführen. Diese Methode versucht Bewusstseinsebenen streng voneinander zu unterscheiden zwischen Meinungen, Spekulationen, Vorurteilen, Paradigmen oder Diskursen auf der einen Seite und zwischen Wirklichkeit bzw. dem an sich erscheinenden Phänomen auf der anderen Seite. Husserls Verfahren der Epochè – dem Bewussten Innehalten, Ausklammern, Enthalten und Hinterfragen jeglichen (Vor)Wissens – und der phänomenologischen Reduktion ermöglicht es aufzuzeigen, wie so manch ,,wissenschaftliches oder kulturelles Wissen“ nicht auf objektiver Faktenlage, sondern vielmehr auf Forschungstraditionen, vorherrschenden Paradigmen, Spekulationen, menschlicher Konstruktionsleistung, Diskursen oder purem Wunschdenken basiert und daher eine kritische Betrachtung erfordert (vgl. Godina. 2012: 50f.). ,,Die Untersuchung hat sich der Wirklichkeit zuzuwenden, und zwar so, wie sie erscheint, so, wie sie sich unserer Erfahrung zeigt, denn eben auf diese Erfahrung haben sich wohlgegründete Annahmen zu stützen. Dem Gegebenen zu zuzuwenden, ist jedoch leichter gesagt als getan (…). Um nicht nur die Naivität der natürlichen Einstellung, sondern auch verschiedene spekulative Hypothesen über die metaphysische Verfassung der Wirklichkeit zu meiden, ist es unerlässlich, unser Einverständnis mit der natürlichen Einstellung zu suspendieren (…). Die Ausschaltung einer voreingenommenen und letztlich inkonsistenten Theorie von der Welt (…). Dieses Manöver, bei dem wir darauf verzichten, unserer natürlichen Neigung zu folgen, wird als phänomenologische Epochè und Reduktion bezeichnet (vgl. Zahavi. 2007: 22. Hervorheb. i. O.).
Durch diese husserlsche Vorgehensweise wird versucht von einem ,,natürlichen Bewusstsein“ – dem Bewusstseinszustand, in dem ich der Welt als ,,Welt vor aller Theorie“ begegne – durch Anwendung der Epochè und der phänomenologischen Reduktion, als einer strikten Enthaltung jeglichen Seinsglaubens, einem Innehalten, dem Einklammern jeglichen Vorwissens über die vorgegebene Wirklichkeit und einem Moment der transzendentalen Reflexion (vgl. ebd.: 23), zu einem ,,phänomenologischen Bewusstsein“ zu gelangen (vgl. Waldenfels. 1992: 30f.). Durch die Vorgehensweise der phänomenologischen Reduktion wird im letzten Schritt ein ,,absolutes Bewusstsein“ angestrebt, welches der Klärung der grundsätzlichen Frage der Wahrheitsgewinnung dienlich ist und eine radikal vorurteilsfreie Erkenntnis ermöglicht (vgl. Husserl. 1998: 13f.).
Das bewusste Ausklammern und radikalste Ausschalten sämtlicher scheinbar evidenten Wissensbestände innerhalb der Epochè bedeutet kein Verlust, sondern vielmehr ,,eine fundamentale Bewusstseinsänderung und eine Erweiterung unserer Erfahrungssphäre“ (Husserl. 1962: 154). So konstatiert auch Heidegger, dass ,,(…) die menschliche Existenz durch ihre Tendenz zur Selbstvergessenheit und Selbstobjektivierung gekennzeichnet ist (…) und wir dazu neigen, unser Selbstverständnis von unserem Gegenstandsverständnis geprägt und gestaltet sein zu lassen“ (Zahavi. 2007: 25). Diese, jegliches Wissen vorurteilsfrei ausklammernde, husserlsche Methode kann beispielsweise auf die verzerrungsanfällige Tradierung kultureller Wissensbestände übertragen werden und lässt, nach genauer Betrachtung bzw. Durchführung der Epochè und phänomenologischen Reduktion schienbar objektiv bestehende Wissensbestände in einem kritisch zu reflektierenden Lichte erscheinen.Die husserlsche Methode wäre daher eine sinnvolle, vorurteilsfreie bzw. sämtliches bestehendes Wissen einklammernde und Erkenntnis suchende, Herangehensweise für das in Frage stellen beständigen ,,wahren“ Wissens.

Literaturverzeichnis:

Godina, Bojan. (2012): Die phänomenologische Methode Husserls für
Sozial- und Geisteswissenschaftler. Wiesbaden: VS Springer Verlag.

Husserl, Edmund. (1962): Die Krisis der europäischen Wissenschaften und
die transzendentale Phänomenologie. Husserliana VI. Den Haag:
Martinus Nijhoff.

Husserl, Edmund. (1998): Die phänomenologische Methode.
Stuttgart: Philipp Reclam jun.

Waldenfels, Bernhard. (1992): Einführung in die Phänomenologie.
Paderborn: Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG.

Zahavi, Dan. (2007): Phänomenologie für Einsteiger. Teil I: Methodologische
Grundthemen: 3. Die phänomenologische Epochè und Reduktion.
Paderborn: Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG.

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Über Weiß Susanne 31 Artikel
Susanne Weiß, geboren am 26.06.1987, ist Studentin der Soziologie und Philosophie an der TU Darmstadt. Nach dem Masterabschluss strebt sie eine Promotion und eine universitäre Laufbahn – im Idealfall innerhalb der Bildungs-, Wissens- oder Kultursoziologie – an. Sie ist aktiv als wissenschaftliche Hilfskraft im Bereich ,,Methoden der empirischen Sozialforschung“ tätig.

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