Clowns verfügen über vielfältige Fähigkeiten: Schauspieltalent, Beweglichkeit, Musikalität, psychologisches Einfühlungsvermögen, ein reiches Innenleben und noch über vieles mehr. Wenn sie vor ihrem Publikum stehen, machen sie ihre einstudierten Späße und tapsigen Be-wegungen, tollen herum und lachen über sich. Doch wie schwer es ist, lustig, witzig und poin-tiert Szenen darzustellen, auch wenn das Herz traurig ist, danach fragt niemand. Die Kinder und Erwachsenen kennen nur ihre lustigen Gesichter. Es ist ihr Beruf, Menschen zum Lachen zu bringen. Man erwartet von ihnen nichts anderes. Keiner denkt in dem Moment daran, dass auch ein Clown nur ein Mensch ist, der wie jeder andere seine Hochs und Tiefs im Leben erlebt.
Auch der Ich-Erzähler in Michael Köhlmeiers Roman tritt als Pierrot auf. Sein mittlerweile verstorbener Vater hat ihn zur Clownerie gebracht und dieser wiederum kam durch ein denk-würdiges Erlebnis als Kind dazu: eine persönliche Begegnung mit dem großen Charlie Cha-plin, der in seiner Heimatstadt 1931 ein Gastseminar in der „Schule der Clowns“ gab. Mit unter dem begeisterten Publikum: „ein kleiner dicker, schon etwas älterer, laut schnaufender Mann im schwarzen Anzug mit einer schweren Uhrkette an der Weste“. Es darf vermutet werden, dass es sich um Winston Churchill handelte.
Diese beiden großen Persönlichkeiten, die eine lebenslange Freundschaft verband, sind die zwei Herren am Strand, über den sie scheinbar unbeschwert und gemütlich schlendern. Doch weit gefehlt. Ihr vermutliches Plauderthema stellt sich als sehr ernsthaft heraus. Es geht um den Tod im Allgemeinen sowie den durch die eigenen Hand herbeigeführten im Besonderen. Beide werden von Zeit zu Zeit vom „schwarzen Hund“ heimgesucht – einer schweren Depres-sion – die jeder auf seine ganz eigene Art zu beherrschen sucht. Auch wenn sie ansonsten bei-de wenig gemeinsame Interessen und geradezu trennende Ansichten aufwiesen, richten sie sich in langen Gesprächen, über die sie absolutes Stillschweigen vereinbaren, gegenseitig mehr oder weniger wieder auf. Nun wird das Schweigen gebrochen. Im Nachlass seines Va-ters findet Köhlmeiers Ich-Erzähler brisantes Briefmaterial.
Chaplin – Churchill, der Erzähler und sein Vater, Hitler – Churchill, Chaplin – Hitler… Paare und diverse Duplikate durchziehen das gesamte Buch Köhlmeiers. Wie schon in seinem letz-ten Werk „Die Abenteuer des Joel Spazierers“ darf man auch bei „Zwei Herren am Strand“ vieles nicht für bare Münze nehmen. Der österreichische Autor ist zweifelsohne ein Meister der „literarischen Manipulation“ der scheinbaren Dualität. Erfundenes vermischt sich mit Wahrem, Belegbares mit Imaginärem. Viel erfährt man über Winston Churchill und Charlie Chaplin, über ihr Privat- und auch ihr Berufsleben. Wunderbar gelingt es Köhlmeier, die bei-den Einzelschicksale in einen großen gesellschaftlichen Zusammenhang zu setzen. Ein Name wird dabei erklärtes Feindbild beider: Adolf Hitler. Der eine bekämpft ihn als Premiermini-ster, der andere als Parodie in seinem großen Film „Der letzte Diktator“. Hinzu kommt wie auch schon in „Abendland“ viel historisches Material, aus der Filmgeschichte, über den Er-sten und Zweiten Weltkrieg, auch philosophische Abhandlungen über das Komische, von Bergson bis Adorno.
Erneut lässt der Autor das Wesen der Dinge sichtbar werden, würdigt deren unendliche Er-scheinungsformen und bringt sie in eine gewisse Ordnung, auch wenn er dies immer mit der „Methode des Clowns“ an den Leser bringt. Doch so leicht wie der Tramp mit seinem Stöck-chen und der Melone dahertrippelt, so leicht ist Michael Köhlmeiers Text dann doch nicht. Auch wenn er sich leicht und flüssig liest, so liegt doch vieles nicht nur zwischen den Zeilen, sondern mitunter auch recht versteckt darunter. Ein wenig kommt man sich wie in Chaplins „Goldrush“ vor: Man muss zunächst das Edle vom diffusen Staub befreien, um es letztendlich zum Strahlen zu bringen. Ein Text, der eine gehörige Portion nachträgliche „Leseaufberei-tung“ erfordert, ein ständiges Hinterfragen und Analysieren. Oder aber man liest ihn so wie er daherkommt. Aber dann sollte man um Himmels Willen nicht dem Trugschluss unterliegen, alles für bare Münze zu nehmen. Weder den ominöse Mr. William Knott, des Premiermini-sters „privatester Privatsekretär“, noch die geheimen Briefe oder ein ominöses Gesprächs-buch, die als Hauptquelle aller Belege angegeben werden, existier(t)en. Belegtes und Fiktives fließen nahtlos ineinander und werden vom Autor nicht gekennzeichnet.
Trotz alledem: „Zwei Herren am Strand“ ist ein fantastisches Buch… im wahrsten Sinne des Wortes. Oder sollte ich eher „ernsthaft clownesk“ sagen? Denn wie Clowns verfügt auch Köhlmeier in seinem literarischen Schaffen über deren vielfältige Fähigkeiten: Schauspielta-lent, Beweglichkeit, Musikalität, psychologisches Einfühlungsvermögen, ein reiches Innenle-ben. Lustig, ernsthaft und pointiert stellt er Szenen da. Die Inspiration dafür bietet sich ihm im alltäglichen Leben.
Michael Köhlmeier
Zwei Herren am Strand
Hanser Verlag (August 2014)
254 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3446246037
ISBN-13: 978-3446246034
Preis: 17,90 EUR
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.