Dresden und Aleppo: Die Stadt, der Müll und der Tod

Baustelle: Foto: Stefan Groß

Seltsame Dinge ereignen sich im Osten Deutschlands. Im Februar 1945, drei Monate vor dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht genau bekanntem Kriegsende-Termin, wird Dresden samt Einwohnern und Flüchtlingen bombardiert. Seitdem sinnieren die Dresdner darüber, ob der Luftangriff unbedingt hätte stattfinden müssen oder ob die Alliierten den Krieg auch ohne die Zerstörung Dresdens gewonnen hätten, um die Dresdner von den Nazis zu befreien, falls überhaupt

Immerhin ist Coventry, die Stadt der Rache, Dresdens erste Partnerstadt. Für das dresdenhaft atombombenzerstörte Hiroshima hat es nicht gereicht. Die deutsche Partnerstadt Hiroshimas wird das klassenfeindliche Hannover in der BRD vor der Wiedervereinigung.

Die Dresdner, die alljährlich im Februar des großen Luftangriffes gedenken, sind sich noch heute nicht einig darüber, ob sie die damalige Zerstörung à la Coventry redlich verdient haben oder nicht. Zur guten DDR-Zeit spricht man über den imperialistischen Bombenterror (dieser Gedenkstein ist noch nicht entsorgt), da die Sowjetunion keine Angriffe auf Dresden geflogen hat.

Die historischen Ereignisse in Dresden vor drei Generationen sind somit nicht aufgearbeitet, rumoren noch. Jede Änderung des gefühlten Status quo wird argwöhnisch beäugt und bekämpft. Der Gedenkkampf ist kurz vor dem Ableben der letzten Zeitzeugen voll entbrannt.

Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Es gibt Kriege, an die vor drei Generationen noch niemand gedacht hat. So der Krieg in Syrien mit wechselnden Akteuren, unter denen gewöhnlich die Zivilbevölkerung leidet. Das Weltgericht hat sich für die nordsyrische Stadt Aleppo als Symbol des Krieges entschieden. Zufällig oder nicht lebt ein Deutsch-Syrer in Dresden, der sich zum Künstler berufen hält. Er überzeugt die Dresdner Stadtoberen, zentral und öffentlich der Leiden von Teilen Aleppos und seiner Bewohner zu gedenken. Da das Unterfangen nicht den finanziellen Rahmen sprengt, ist die Stadt einverstanden: Man wird am Tag des imperialistischen Bombenterrors zusätzlich des postkommunistischen russischen, des Assad-irano-schiitischen, des demokratischen, des Rebellen- und des islamistischen Terrors gedenken. Jedem steht es frei, an den gemeinsamen Gedenkveranstaltungen teilzunehmen oder auch nicht und der Toten, Verwundeten, Überlebenden, Siegern und Helden zu gedenken, die ihm*r zusagen.

Das Foto der senkrecht stehenden Bussen hat der deutsch-syrische Künstler in einer englischen Zeitung gefunden, die für ihre alternativen Wahrheiten bekannt ist. Das ist nicht weiter schlimm, da in Dresden so gut wie niemand imstande ist, den Guardian richtig zu lesen. Der Guardian bringt einen Artikel über Aleppo. Das Foto auf der ersten Seite zeigt drei nebeneinander hochstehende Busse, die ihre Unterseite dem Betrachter präsentieren. Irgendwo im Text oder anderswo oder auch überhaupt nicht wird erläutert, dass die ausrangierten Busse dazu dienen, Scharfschützen an ihrer gefährlichen Arbeit zu hindern. Der Künstler, der die Gunst der Stunde ergreift, sich einen Namen in Deutschland, in Europa und in Syrien zu machen, erkennt sofort seine Chance! Die Busse dienen dem Schutz der Zivilbevölkerung! Die Bevölkerung kann sich ungestört hinter den Bussen bewegen, ohne erschossen zu werden. Zumindest können dort die lebenden Zivilisten flanieren, um sich durstig mit trockener Kehle und hungrig mit knurrendem Magen zu bewegen, auf dass sie nicht vor Kälte erfrieren.

Die Dresdner Stadtverwaltung ist entzückt und besorgt schnell drei Busse, die wegen neuer Stickoxidoberwerte nach dem VW-Skandal nicht mehr verkehrstauglich sein sollen. Dafür zahlt das Land einen fetten Bonus, an dem die Stadt gut verdient. Die drei Busse werden gemäß dem Zeitungsbild so aufgestellt, dass sie den Blick auf die neuerrichtete Frauenkirche versperren, Zusätzlich wird etwas Hausmüll vor den Bussen drapiert, um die Szene realistisch wirken zu lassen.

Nicht alle Dresdner sind vom Arrangement begeistert. Sie drucksen und stottern, weil ihnen die Wahrheit nur stockend über die Lippen kommt. Sie sehen die narrative Einzigartigkeit der Zerstörung Dresdens gefährdet. Sie wollen nicht mit Aleppo verglichen werden. In ihrer Borniertheit bemerken sie nicht einmal, dass sie einem Hoax aufsitzen.

Irgendjemand hat wider Erwarten den Guardian gelesen und verstanden und sich das Zeitungsfoto genau angesehen. Auf der Spitze der verbundenen und aufrecht stehenden Busse ist schwach aber eindeutig eine Fahne zu sehen, die einer Befreiungsbewegung zuzuordnen ist, die mit der Terrororganisation Al-Quaida liiert ist. Das Foto des Künstlers aus Dresden hat dieses irrelevante Detail versehentlich abgeschnitten. Sofort erhebt sich die Diskussion, ob die Busse die Zivilbevölkerung oder eher die scharf schießenden Terroristen der Al-Quaida schützen. Sollen etwa Kämpfer und Zivilisten, die sich vor den Bussen bewegen, gefahrlos eliminiert werden? Diese Fragen werden auf Wunsch von oben (Dresden) und ganz oben (Berlin) Trump-mäßig kupiert und aus den Journalen verbannt. Schließlich hat niemand in der gesamtdeutschen Republik ein Interesse an einem volkseigenen Aufstand außerhalb der Hauptstadt der Bewegung.

Trotz gelungenem Rede- und Denkverbot vor, hinter und um dem Terror-Mahnmal herum, sind die drei Öl verlierenden Busse vor der Frauenkirche für Menschen, die der der Reflexion mächtig sind, ein unangenehmes Erlebnis. Das Narrativ der Einzigartigkeit der Zerstörung Dresdens ist auf immer zerstört. Der öffentliche Raum im touristischen Zentrum der Stadt hat seine Unschuld verloren. Zukünftig können Links- bis Rechtsextremisten ihre Narrative und alternativen Fakten verbreiten, ohne mehr oder weniger lügen zu müssen als die Stadtoffiziellen. Die Stadt ist vor mehr als 70 Jahren von den Alliierten zerstört worden, weil die Alliierten dazu damals imstande gewesen sind. Zuvor haben die Nazideutschen Coventry in Schutt und Asche gelegt. Hätte Hitler den Zweiten Weltkrieg gewonnen – was ein gütiger Gott verhindert hat – so wäre statt Dresden London wie Warschau, Lenin- oder Stalingrad pulverisiert worden.

Dresden verliert zudem seine Unschuld, ohne sie jemals besessen zu haben. Das neue Mahnmal vor der wiederaufgebauten Frauenkirche bestärkt die pazifistischen Deutschen in ihrem Irrsinn, dass Krieg für alle Beteiligten schlecht ist und dass man deshalb niemals Kriege führen soll. Lieber soll man ausweichen/auswandern, sich töten lassen, sich nicht wehren, Bedrängten und Schwachen nicht beistehen. Deshalb haben die Alliierten die Gleise zu den Menschenvernichtungslagern nicht bombardiert, obwohl sie genaue Kenntnisse über die Zustände in den Lagern gehabt haben. Sie unterlassen die vorzeitige Befreiung sicher nicht wegen ihrer Friedensliebe oder allein wegen Judenhass. Sie unterlassen die dringende Hilfe, weil sie kein Interesse an unschuldigen Opfern verspüren. Aus demselben Grund haben die Deutschen bereits im Ersten Weltkrieg beim Genozid an den Armeniern weggeschaut und schauen bis heute die demokratisch gewählten Politiker weiterhin weg, wenn ihnen ein Völkermord einen Deal zu verderben droht.

Das Aleppo-Denkmal wird bald entsorgt werden, jedoch nicht vergessen sein. Als Erste werden die Flüchtlinge aus Syrien und anderen sicheren Drittstaaten darunter zu leiden haben. Gleich ob Schulz oder das sozialdemokratische Original Kanzlerin wird, werden die hehren leeren Worte bei geleerten Kassen vergessen sein und die Flüchtlinge aus Syrien und anderen sicheren Drittstaaten werden freiwillig und unbeschwert ihre Heimreise antreten.

Über Nathan Warszawski 535 Artikel
Dr. Nathan Warszawski (geboren 1953) studierte Humanmedizin, Mathematik und Philosophie in Würzburg. Er arbeitet als Onkologe (Strahlentherapeut), gelegentlicher Schriftsteller und ehrenamtlicher jüdischer Vorsitzender der Christlich-Jüdischen Gesellschaft zu Aachen.

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