Drei Anwälte von Alexej Nawalny wegen angeblicher „Beteiligung an einer extremistischen Gemeinschaft“ stehen sie vor Gericht

Nawalny-Anwälten droht jahrelange Haft

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Wer in Russland als Anwalt Regierungskritiker verteidigt, muss mit der Rache des Putin-Systems rechnen. Dieses Schicksal trifft jetzt auch drei Anwälte von Alexej Nawalny. Wegen angeblicher »Beteiligung an einer extremistischen Gemeinschaft« stehen sie vor Gericht. Von Helmut Ortner.

Die russische Justiz hat einen Strafprozess gegen drei Verteidiger des in Haft gestorbenen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny begonnen. In dem Verfahren in der Kleinstadt Petuschki, 120 Kilometer östlich von Moskau entfernt, wird ihnen die Zugehörigkeit zu einer extremistischen Vereinigung zur Last gelegt. Gemeint ist der von Nawalny gegründete »Fonds zur Bekämpfung der Korruption«. Presseberichten zufolge schloss die Vorsitzende Richterin gleich zu Beginn die Öffentlichkeit von der Verhandlung gegen Wadim Kobsew, Alexej Lipzer und Igor Sergunin aus. Als Grund nannte sie eine Warnung der Polizei vor angeblichen Provokationen durch Unterstützer der Anwälte.

Die drei Anwälte waren im Oktober vorigen Jahres verhaftet worden und auf eine Liste von »Terroristen und Extremisten« gesetzt worden. Nawalnys Umfeld bezeichnete das Vorgehen der Justiz seinerzeit als Akt der Einschüchterung, um den zu dem Zeitpunkt in einem Straflager in Haft sitzenden Kremlkritiker weiter zu isolieren. Alexej Nawalny starb offiziellen Angaben zufolge am 16. Februar in einer Strafkolonie im Norden Sibiriens. Laut Kreml starb er eines natürlichen Todes – woran bis heute Zweifel gibt.

Die Anklage gegen die drei Anwälte ist ein weiterer Beleg für Putins Willkür-Justiz. Im April wurde das Urteil gegen Lilia Tschanyschewa, einer Ex-Mitarbeiterin des Nawalny-Unterstützungsteams, um zwei Jahre auf neuneinhalb Jahre Haft verlängert. Das Gericht in der Stadt Ufa am Ural folgte damit einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die die Strafe wegen der angeblichen Gründung einer „extremistischen Organisation“ angefochten hatte. Ein »Horror-Utteil«, das dennoch weithin in der westlichen Öffentlichkeit ignoriert wurde.

Im Juli verurteilte Putins Willkürjustiz die Dramatikerin Swetlana Petritschuk und die Regisseurin Jewgenija Berkowitsch zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt – diesmal wegen „Rechtfertigung des Terrorismus“.  Die Justiz störte sich am Stück »Finist – Heller Falke«, ursprünglich Titel eines bekannten russischen Märchenfilms aus dem Jahr 1975, in dem ein gutmütiger Bauer durch Zauberei zu einem Monster wird. Das jetzt beanstandete Drama, in dem die Thematik Gehirnwäsche zeitgemäß bearbeitet wird, bekam 2022 noch einen renommierten russischen Theaterpreis – nun sah die Justiz darin eine Diffamierung des russischen Staates und eine „Förderung des Terrorismus”. Laut staatlicher Nachrichtenagentur TASS könnten die Verurteilten im kommenden Jahr auf Bewährung freikommen, wohingegen westliche Rechtsexperten frühestens 2027 mit einer möglichen Haftverschonung rechnen.

Allen Verfahren ist eines gemeinsam: Putins Justizbehörden gehen mit aller Härte gegen jede Opposition und jede Regierungskritik vor.  Die Gefahr, dass diejenigen, die gegen dieses Repressions-System ihre Stimmen erheben, selbst zu ihrem Opfer werden, ist groß.

Nawalnys Witwe Julia bezeichnete die drei Angeklagten in einem Youtube-Video als politische Gefangene. „Sie haben keine Verbrechen begangen”, sagte sie. „Sie sind im Gefängnis, weil sie einfach ihre Arbeit machen, die jeder Anwalt mit jedem Gefangenen machen sollte: eine Verteidigungsstrategie ausarbeiten, Fragen der Haft im Gefängnis besprechen, Beschwerden schreiben, Klagen einreichen.”

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist die Arbeit von Anwälten für Menschenrechte gefährlich, mitunter lebensgefährlich geworden. Dennoch verteidigen mutige Anwälte in Russland weiterhin ihre Mandanten gegen die Justizwillkür unter Putin. Sie zu darin zu unterstützten, sollte uns Verpflichtung sein.

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Über Helmut Ortner 98 Artikel
Geboren 1950 in Gendorf/Oberbayern und aufgewachsen in Frankfurt am Main. Schriftsetzerlehre, anschließend Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main, Schwerpunkt Grafik-Design. Es folgt Wehrdienstverweigerung – und Zivildienst. Danach journalistische Lehrjahre: Redakteur, Chefredakteur (u.a. Journal Frankfurt, Prinz). Ab 1998 selbständiger Printmedien-Entwickler mit Büro in Frankfurt. Konzepte und Relaunchs für mehr als 100 nationale und internationale Zeitschriften und Zeitungen, darunter Magazine wie Focus, chrismon, The European und Cicero, sowie Tages- und Wochenzeitungen, u.a. Das Parlament, Jüdische Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Allgemeine Zeitung, Wiesbadener Kurier, Darmstädter Echo, De Lloyd Antwerpen, NT Rotterdam sowie Relaunchs in London, Wien, Sofia, Warschau und Dubai. Zahlreiche Auszeichnungen (u.a. European Newspaper Award, Hall of Fame, CP Award Gold). Daneben journalistische Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen, veröffentlicht in div. Tageszeitungen und Magazinen. Erste Buchveröffentlichung 1975, seither mehr als vierzig Veröffentlichungen. Übersetzungen in bislang 14 Sprachen (2018). Zahlreiche Preise und Einladungen: Stadtschreiberpreis der Stadt Kelsterbach, Lesereise Goethe-Institut Südamerika, Teilnahme an Buchmessen in Havanna, Istanbul und Buenos Aires sowie Lit.Col. Köln 2017. Zuletzt Lesereisen nach Lissabon, Turin, Tokyo. Helmut Ortner lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und in Darmstadt. Er ist passionierter Radrennfahrer, Eintracht Frankfurt-Fan und Pat Metheny-Liebhaber.