Dr. Hans Karl Rosenberg

Kreuz auf dem Stephansdom in Wien, Foto: Stefan Groß

Professor an der Pädagogischen Akademie

* 27. November 1891 Köln

† 17. April 1942 [Bonn-]Bad Godesberg

 

„Lassen Sie das Spintisieren. Ob nun Altes Testament oder Neues, ob bloß Jesuworte wie der Houston Stewart Chamberlain will: alles das ist doch nur derselbe jüdische Schwindel. Es ist alles eins und macht uns nicht frei. Eine deutsche Kirche, ein deutsches Christentum ist Krampf. Man ist entweder Christ oder Deutscher. Beides kann man nicht sein“. Die unüberhörbare Judenfeindlichkeit Adolf Hitlers, die aus diesen ihm zugeschriebenen Worten (1933/34) spricht, sollte Millionen von Juden das Leben kosten, selbst dann, wenn sie Christen geworden waren. Zu ihnen gehörte auch der „Halbjude“ Hans Karl Rosenberg, dessen jüdischer Vater am 29.7.1866 zum kath. Glauben übergetreten war.

Einem selbst verfassten Lebenslauf zufolge wurde R. am 27.11.1891 als Sohn des Seminar-lehrers Johann Nikolaus Bernhard R. (16.7.1849 Tütz/Westpreußen – 15.7.1898 Köln) und dessen Ehefrau Antonie, geb. Becker (18.12.1853 Düsseldorf – 25.1.1918 Köln), in Köln geboren. Von 1902 bis 1911 besuchte er das Königliche Katholische Gymnasium an der Apostelkirche in Köln, das er am 16.3.1911 mit dem Reifezeugnis als einer der drei besten Abiturienten verließ, um alsdann Geschichte, Germanistik und Nationalökonomie zu studieren, zunächst in Bonn bis 1913, dann in Berlin bis 1914. Mit dem Ersten Weltkrieg begann sein Fronteinsatz als Gefreiter und Offiziersanwärter; am 3.6.1915 wurde er bei den Kämpfen um die Lorettohöhe bei Arras in Frankreich schwer verwundet. Nach seiner Teilnahme an den Schlachten im Ailly-Wald bei Saint Mihiel und La Bassée erhielt er das Eiserne Kreuz II. Klasse. Nach Bonn zum Studium zurückgekehrt, bestand R. am 20.10.1917 die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen und trat gleichzeitig in den Schuldienst ein. 1918 bis 1919 war er als Studi-en-Assessor am Königlichen Prinz-Georg-Gymnasium in Düsseldorf tätig. Zur gleichen Zeit promovierte er zum Doktor der Philosophie mit einer Arbeit über „Justus Möser und die Reform des deutschen Adels“. Von 1919 bis 1924 war R. Studien-Assessor am Lyzeum der Schwestern Unserer Lieben Frau in Ratingen, wo er der Zeitzeugin Maria Körnig zufolge die „Schülerinnen sehr beeindruckt“ hat, und von 1924 bis 1930 am Lyzeum der Ursulinen in Düsseldorf tätig. Sein konfessionelles Profil zeigte sich bereits 1923 in seinem zweibändigen Werk „Die Hymnen des Breviers“, das, von Benediktiner-Abt Ildefons Herwegen von Maria Laach herausgegeben, im Vorwort das kath. Deutschland in Erinnerung ruft. R. war Mitbegründer der Düsseldorfer Volkshochschule, wo er von 1920 bis 1930 als Dozent für Geschichte und Staatsbürgerkunde wirkte. Zur selben Zeit war er der einzige kath. Dozent für Geschichte und Staatsbürgerkunde der Akademischen Kurse in Düsseldorf.

Den Bund für das Leben schloss R. mit der aus einer Lehrerfamilie stammenden Anna-Maria Mertens (1902-1989), die er am 18.12.1925 in der Benediktinerabtei Maria Laach heiratete. Aus der Ehe gingen vier Töchter hervor: Marianne (* 1926), Hildegard (* 1928), Pia (* 1930) sowie Odilia (* 1937). Zu diesem Zeitpunkt wohnte die Familie in einem damals modernen Mietshaus in der Hochkreuzallee 165 in [Bonn-]Friesdorf, wo er zugleich seit 1935 Mitglied des Kirchenvorstandes der Pfarre St. Servatius war. Das Protokollbuch des Kirchenvorstandes vermerkt unter dem 2.2.1939: „Dem durch Wegzug ausgeschiedenen Herrn Prof. Dr. Rosenberg widmete der Vorsitzende (Pfarrer Röhrig) ein Wort des Dankes für seine Bemühungen während seiner Amtszeit“.

R., der politisch dem Zentrum nahestand, engagierte sich seit etlichen Jahren in der kath. Kirche, zu der er voll und ganz stand. Bereits vor 1933 hielt er zahlreiche Reden gegen den aufkommenden NS, und zwar vor kath. Vereinen ebenso wie vor der Zentrumspartei. Zugleich war er Redner auf den Katholikentagen in Eupen (1927), Mailand (1931) und Essen (1932). Im Jahre 1932 war er Festredner bei der 25jährigen Gründungsfeier der Friesdorfer KAB.

Zum 1.4.1930 erfolgte die Berufung zum Professor für Geschichte und Staatsbürgerkunde an die Pädagogische Akademie Bonn. Einer seiner Schüler, der spätere Professor für Geschichte August Klein, würdigte ihn als einen „Mann, der wie wenige in Schrift und Wort die Vergangenheit lebendig werden lassen konnte und durch seine eigenen Unterrichtsstunden bewies, dass auch der frühere Studienrat den Weg zur Volksschule finden kann“ (Klein, 196).

Der Vormarsch der Nationalsozialisten ab dem Jahre 1933 verdunkelte sein Leben und Wirken nachhaltig und auf Dauer. Da R. Nichtarier war und wegen seiner aus christlichem Geist kommenden Frontstellung zum System des NS, wurde er bereits im April 1933 beurlaubt, durch Erlass vom 20.2.1934 gemäß § 5.1 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (GWBB) dann zunächst in das Amt eines Studienrates zurückgestuft, dann in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Wenn ihm auch damit die nötige Bewegungs-und Berufsfreiheit genommen worden waren, so machte er aus seiner Ablehnung des NS dennoch kein Hehl. Die Nationalsozialisten wussten sowohl durch seine öffentlichen Auftritte als auch durch seine zahlreichen Publikationen, dass er überzeugter Katholik und damit ihr entschiedener Gegner war. Sein Haus wurde fortwährend beobachtet. Matthias Riegel aus der Nachbarschaft der Friesdorfer Straße wurde angezeigt, weil er im Hause R. verkehrte. Freunde und Bekannte, zu denen auch der Friesdorfer Volksschullehrer Joseph Roth gehörte, durften keinen Kontakt mehr zu ihm aufnehmen. Dies und vieles andere mehr hinderte den mutigen Katholiken dennoch nicht daran, im Bonner Gesellenverein in ständigen Vorträgen bis zum Jahre 1940, dem Verbot zum Trotz, seiner Haltung gegen die „Partei der Gottlosen“, wie er sich ausdrückte, treu zu bleiben. Ferner lehnte er aus Überzeugung eine Mitgliedschaft in jeder der zahlreichen NS-Gruppen und -Vereine kategorisch ab.

Es sollte freilich noch ärger kommen. Im März 1935 erfolgte das Verbot schriftstellerischer Tätigkeit für Juden. Am 11.10.1935 traf es R. persönlich. Es ist kaum zu ermessen, was diese Maßnahme für einen Gelehrten bedeutet. Seine Feder ruhte nicht. Vieles von dem, was er zu Papier brachte, wurde nicht veröffentlicht. Falls einige seiner Arbeiten dennoch publiziert wurden, geschah dies unter Pseudonymen wie „Salvian“, „H. R. rh.“ oder „Prof. R.“. Seine Novelle „Der Tod im Gehorsam“ fand 1935 unter seinem Pseudonym „Salvian“ Aufnahme im „Schlesischen Bonifatiusvereinsblatt“. Auf diese Weise kamen trotz Schrift- und Redeverbot immer wieder Artikel über die „Christliche Hausvaterlehre“, über Geschichtsphilosophie und Erzählungen in den Kirchenzeitungen der Bistümer Berlin, Paderborn, Breslau und anderen zur Veröffentlichung, auch zu dem Zweck, sich ein Zubrot zu verdienen. Allein in den Jahren 1937 und 1938 erschienen von ihm in diversen Kirchenzeitungen etwa 65 Darstellungen von Heiligenleben. Darüber hinaus waren etliche Arbeiten in Vorbereitung, die jedoch das Licht der Öffentlichkeit niemals erblickten.

Die nachfolgenden Jahre brachten ihm nur Vereinsamung, erzwungene Untätigkeit sowie mancherlei Verfolgungen und Schikanen durch die Nationalsozialisten. Gelegentlich ging der Zwangspensionierte am Aushängekasten des „Stürmers“ vorbei, der an der Straßenfront der Gaststätte Vershoven-Huth hing, wo Julius Streicher die Arier über die „jüdischen Untermenschen“ auf seine Weise informierte. Im Jahre 1939 verzog die Familie in die Gneisenaustraße 16 nach Bad Godesberg, um den beständigen Bespitzelungen zu entgehen. Eine Zeitzeugin berichtet, dass die Familie, die in der dortigen Pfarre Herz-Jesu wohnte, tief gläubig war; die beiden ältesten Töchter engagierten sich in den dortigen Jugendgruppen.

Bald erkrankte R. an Galle und Herz. Kraft seiner christlichen Grundeinstellung vermochte er die durch die Drangsalierungen hervorgerufenen seelischen Depressionen auszuhalten. Der Glaube an Gott gab ihm unerschütterlichen Halt. Die Ursache für seinen allzu frühen Tod an Angina pectoris am 17.4.1942 in Bad Godesberg, der äußerlich als Folge eines zwangsweisen ärztlichen „Nicht-Beistandes“ zustande kam, muss in einer weiteren Perspektive als Konsequenz seines christlichen Denkens und Handelns interpretiert werden. Im Alter von nur 51 Jahren war sein energischer Widerstand gegen die ns Ideologie, insbesondere ihre Judenfeindlichkeit, aufgezehrt. Er starb als Glaubens-zeuge in der inneren und äußeren Verbannung, weil er sich aus christlicher Grundhaltung gegen ein System gewehrt hat, dessen Zustimmung er ihm zu keinem Zeitpunkt hat geben können. Auch Karl Josef Schwalb, Friesdorfer Bürger und Ortshistoriker, hält R. daher für einen Martyrer, der durch den NS zu Tode gekommen ist. Als die Nationalsozialisten die Schlinge 1944 endgültig zuziehen wollten, war R. bereits unter der Last des Psychoterrors verstorben.

Als im Jahre 1944 zwei Herren nach R. fragten, konnte die Witwe nur noch den Bonner Zentralfriedhof angeben. Keiner seiner einstigen Professoren-Kollegen hatte je den Mut aufgebracht, R. in seinem erzwungenen Ruhestand einen Besuch abzustatten. Sein Grab ist mittlerweile aufgehoben.

WW: Fried’ im Land (Volksschauspiel) (1920); Justus Möser und die Reform des deutschen Adels (Diss. 1922); Die Hymnen des Breviers in Urform und neuen deutschen Nachdichtungen. Erste Abteilung und Zweite Abteilung = Ecclesia Orans. Bd. 11 (Freiburg i.Br. 41923); Lateinische geistliche Lieder des Mittelalters. Für den Schulgebrauch ausgewählt und erläutert (Leipzig 1924); St. Lambertus. Stifts- und Pfarrkirche zu Düsseldorf. Ein Gedenkbuch. Unter Mitwirkung von H. R. und H. Rothäuser hrsg. von H. Krahe und A. Theissen (Düsseldorf 1925); 25 Jahre Bahnhofsmission Düsseldorf. Eine heimatsoziologische Studie (Düsseldorf 1927); Sequenzenübertragung von H. R., in: Die Viktoriner. Mystische Schriften. Ausgewählt, übertragen aus dem Lateinischen und eingeleitet von P. Wolff (Wien 1936); Christliche Hausvaterlehre, in: Werkruf. Monatsblatt für Gruppenarbeit im katholischen Werkvolk (1937); Der Tod im Gehorsam. Eine Diasporaerzählung (Leipzig 1951).

QQ: Rauschning, Gespräche, 50; Archiv der Pfarre St. Servatius, Bonn (Friesdorf); Archiv des Stadtmuseums Bonn; Archiv der Gedenkstätte für die Opfer des NS-Regimes, Bonn; Privatarchiv P. Houllard-Rosenberg, Kleinbettingen (Luxemburg); P. Rosenberg, Schwimmen im Rhein. Eine Godesberger Tochter aus „nicht ganz arischem“ Hause (Siegburg 1997); schriftl. Mitteilungen von Karl Josef Schwalb, Bonn, vom 26.1.1997 und 28.6.1997, und von Pia Houllard-Rosenberg, Kleinbettingen (Luxemburg), einer Tochter R.s, vom 19.5.1998 und 11.6.1998; mdl. Mitteilungen der Zeitzeugin Maria Denk-Waanders, Köln, vom 14.9.1998; schriftl. Mitteilungen der Zeitzeugin Maria Körnig, Köln, vom 12.4.1999.

Lit.: Kosch, 3, 4055; A. Klein, Erbe und Auftrag, in: Die neue Volksschule in Stadt und Land 5 (1953/54) 191-203, hier 195f.; Schieder, Rauschning; K. J. Schwalb, Widerstand und Verfolgung in Friesdorf 1933-1945, in: Godes-berger Heimatblätter 22 (1984) 91-115, hier 105f.; Pfarrgemeinde St. Servatius, Bad Godesberg-Friesdorf (Hrsg.), Friesdorf und seine Kirchen. Die Ortsgeschichte von der Römerzeit bis zur Gegenwart (Bonn 1991) 198; H.-P. Höpfner, Die vertriebenen Hochschullehrer der Universität Bonn 1933-1945, in: Bonner Geschichtsblätter 43/44 (1993/94) 447-487; A. Hesse, Die Professoren und Dozenten der preußischen Pädagogischen Akademien (1926-1933) und Hochschulen für Lehrerbildung (1933-1941) (Weinheim 1995) 623; H. Moll, Der Friesdorfer Pädagogik-Professor H. K. R. – von den Nationalsozialisten seelisch zermürbt, in: Godesberger Heimatblätter 36 (1998) 63-67; ders., Leben, 66f.

 

PS:

Leserbrief

Sehr geehrte Redaktion, wie ich heute auf Ihrer Seite entdeckt habe, gibt es über Dr. Hans Karl Rosenberg einen Beitrag, der einen kleinen Fehler beinhaltet. Mein Großvater Joseph Roth (1896 in Köln – 1945 in Bad Godesberg – Friesdorf, Lehrer, Zentrumspolitiker, NS-Gegner und auch katholischer Märtyrer) hielt bis zu Rosenbergs Tod heimlich Kontakt mit ihm, das änderte sich auch nicht mit der Überwachung von Rosenberg. So erinnert sich noch meine Tante, Frau Adelheid Funke geb Roth. Leider scheinen weder mein Großvater noch Rosenberg (beides Friesdorfer Märtyrer) weder in der Friesdorfer Kirche, noch in der Godesberger Pfarrkirche der Erwähnung wert zu sein. Dies bedaure ich sehr. Vielleicht mögen Sie hier auch meinen Großvater mit aufzunehmen, der in Godesberg der größte NS-Gegner war und seinen Glauben mit überzeugenden Groß-Haus-Altären den Glaubensgegnern unerschütterlich entgegen hielt. Sogar nach Folter und im Sterben liegend, verzieh er „seinen und der Kirche Feinde“ (was in einem Brief eines Zeitzeugen so belegt ist). Ich würde mich über eine positive Nachricht freuen. Mit freundlichen Grüßen, Josef Roth, Enkel

 

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