Douglas Smith: Und die Erde wird zittern. Rasputin und das Ende der Romanows

Tauben in Salzburg, Foto: Stefan Groß

Der Historiker und Übersetzer Douglas Smith bringt mehr als 100 Jahre nach seiner Ermordung eine sehr opulente Biographie über die oftmals verklärte und mythenumwobene Person des Grigori Jefimowitsch Rasputin heraus, der „wohl bekannteste Name des russischen Geschichte“. (S. 24) Selbst 100 Jahre nach seinem Tod „umgibt Rasputin ein Mythos, hinter dem seine eigentliche Person komplett zurücktritt. Hinter dem ganzen Gerede und Klatsch, den Verleumdungen und anzüglichen Anspielungen wird er selbst quasi unsichtbar.“ (S. 25) Diesen Projektionen trotzend wollte Smith den „wahren historischen Rasputin kennenlernen“ (S. 25) und durchforste zeitgenössische Archive in sieben Ländern.

In seiner Biographie will er lobenswerterweise die „tatsächlichen“ Handlungen von den „kolportierten“ trennen und so ein exakteres Bild von seiner Persönlichkeit zu geben: „Ich habe all das Gerede über Rasputin so weit zurückverfolgt, dass ich schließlich in der Lage war zu rekonstruieren, wie und warum der Mythos um Rasputin entstand und auf wen er zurückging.“ (S. 27)

Rasputin wurde in Westsibirien als Bauernsohn geboren. Im Alter von 17 Jahren begann er eine fünfzehnjährige Zeit als Pilger, um Näheres über Religion zu lernen. Dann machte sich dann 1903 nach St. Petersburg auf, wo er lange Zeit ein unbeachtetes Leben führte.

Erst als er an den Zarenhof gerufen wurde, in der Hoffnung, die Blutungen des an Hämophilie leidenden Zarensohns Alexei und durch sein Gebet zum Stillstand zu bringen, änderte sich dies schlagartig. Zeitzeugen wie auch Ärzte bestätigten, dass Rasputin einen damals unerklärlichen Einfluss auf den Zarensohn und dessen lebensgefährliche Blutungen besaß. Diese Fähigkeit Rasputins brachte die Zarin Alexandra zur Überzeugung, dass Rasputin ein Heiliger war, der ihr von Gott geschickt worden sei, um ihren Sohn zu beschützen. Für die Zarin war die Ankunft Rasputins die Antwort Gottes auf ihre leidenschaftlichen Gebete. Daher wies die Zarin jede Kritik an Rasputin stets strikt zurück. Trotz dieses hohen Ansehens bei der Zarin hat Rasputin den Zarenpalast nach anfänglich häufigen Besuchen bald nur noch selten betreten.

Die Erkrankung des Zarensohnes wurde geheim gehalten; daher blieb in der Öffentlichkeit das Ansehen, das der „ungebildete Bauer Rasputin“ bei der Zarenfamilie, besonders bei der Zarin, genoss, unerklärlich. Zusammen mit Rasputins Verhalten gab dieses Anlass zu Mythenbildung und auch Verleumdungen aller Art. Rasputin wurde stets ein sehr unmoralischer Lebenswandel mit permanenten Sexorgien vorgeworfen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass solche Eskapaden zwar vorkamen, etliches wurde bei einem Priester auch nie geduldet, die meisten Vorwürfe waren aber frei erfunden. Anders als oft berichtet betrafen sie nie Frauen der höheren Gesellschaft oder gar des Zarenhofes. Am Zarenhof wurde diese Verleumdungen Rasputins nie wahrgenommen.

Am 29. Juni 1914 wurde Rasputin bei einem Angriff mit einem Dolch in seinem Geburtsort Pokrowskoje schwer verletzt. Nach diesem Attentat begann Rasputin sich öffentlich zu betrinken, und so gab es im Winter 1915 einen landesweiten Skandal. Während des 1. Weltkrieges zeigte sich nach anfänglichen militärischen Erfolgen, dass das damalige Russland mit seinem unmodernen Militär, schwach ausgebautem Eisenbahnsystem und seinem gering entwickelten Industriesektor der deutschen Militärmacht nicht gewachsen war. Bei der Suche nach Schuldigen für die militärischen Niederlagen wurde Rasputin zum Sündenbock für die katastrophale Lage des russischen Reiches, obwohl sein politischer Einfluss in Wirklichkeit sehr gering war. Zwei Millionen Tote, vier Millionen Verletzte, keine Perspektive.

Die Niederlagen wurden auch nie mit den realen Transportproblemen, der schlechten Ausrüstung der Armee und fehlender Rüstungsindustrie begründet, sondern man suchte die Schuld bei dunklen Kräften und Spionen. Auch die Versorgungslage der Städte verschlechterte sich immer mehr. Die Arbeiter in St.Petersburg litten Hunger und demonstrierten gegen die hohen Brotpreise und weitere Truppenaushebungen. Es wurde nach einem Schuldigen gesucht, und die politische Klasse war sich im Herbst 1916 weitgehend einig: Schuldig war Rasputin mit seinem Einfluss auf die Zarin und den Zaren. Am 17. Dezember 1916 wurde Rasputin unter Führung von engen Verwandten des Zaren Nikolaus II. ermordet.

Douglas Smith: Und die Erde wird zittern. Rasputin und das Ende der Romanows, Theiss Verlag, Darmstadt 2017, ISBN: 978-3-8062-3574-6

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Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.