„Doch jeder tötet, was er liebt.“ (Oscar Wilde) Der Intimizid – die Tötung des Liebespartners

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Der berühmte irische Dichter Oscar Wilde (1854 – 1900) verbrachte kurz vor seinem Tod zwei Jahre im Gefängnis. Diese Haftstrafe erhielt er wegen seiner Bisexualität. Im Gefängnis erlebte er die Hinrichtung eines Mithäftlings, der wegen eines Mordes zum Tode verurteilt wurde. Er hatte aus Eifersucht seine Ehefrau umgebracht. Oscar Wilde schrieb über dieses Erlebnis eine Ballade, in der mehrmals der Schlüsselsatz wiederholt wird: „Doch jeder tötet, was er liebt.“

Die Liebenden zwischen Liebe und Hass

Die meisten Liebespaare machen die bittere Erfahrung, dass ihre Liebesbeziehung nicht auf Dauer durch Zuwendung, Harmonie und Zufriedenheit geprägt ist. Eine europaweite Untersuchung zur Partnerschaftsgewalt an 42 000 Frauen aller EU-Mitgliedsstaaten hat ergeben, dass 30 bis 50 Prozent der befragten Frauen bereits Partnerschaftsgewalt unterschiedlicher Schweregrade erlitten haben. Auch Männer berichten, zunehmend Opfer von Partnerschaftsgewalt geworden zu sein. Im Verlauf einer Liebesbeziehung schlägt oft Liebe in Hass um oder wird durch negative Affekte wie Wut, Ärger oder Eifersucht überschattet. Oscar Wilde hatte aufgrund seiner eigenen sexuellen Orientierung ein Faible für die Abgründe der Sexualität. Durch sein extravagantes Auftreten, seine auffällige Kleidung und seine Tendenz zur Provokation galt er als ein kosmopolitischer Dandy. Mehrere lange Reisen in die USA und nach Paris vertieften diese Haltung. Obwohl sich Oscar Wilde seiner homosexuellen Tendenzen bewusst war, hat er doch im dreißigsten Lebensjahr eine Schriftstellerin geheiratet und mit ihr zwei Söhne gezeugt. Zwei Jahre nach der Heirat – in seinem zweiunddreißigsten Lebensjahr – begann er eine erste homosexuelle Beziehung mit einem siebzehnjährigen Studenten. Oscar Wilde hatte eine Vorliebe für jüngere homosexuelle Partner und hatte häufig Kontakt mit männlichen Prostituierten oder mit minderjährigen „Strichjungen“. Dies brachte ihm schließlich auch eine zweijährige Gefängnisstrafe ein.

„Salome“ – eine femme fatale bei Oscar Wilde und Richard Strauss

Zwei Werke von Oscar Wilde werden auch heute noch oft gelesen und gehören zu den Klassikern der Weltliteratur: „Das Bildnis des Dorian Gray“ und „Salome“. Beide Werke erschienen im Jahr 1891.

Sein Stück „Salome“ ist eine Bearbeitung der biblischen Salome-Legende. Es ist sicherlich kein Zufall, dass ihn dieser Stoff besonders faszinierte. Salome ließ den Mann, den sie liebte und begehrte, töten. Sie war gierig nach der Zuwendung und Aufmerksamkeit von Johannes dem Täufer, der von Herodes gefangen gehalten wurde. Weil ihr Begehren nicht erhört wurde, ließ sie Johannes den Täufer enthaupten und sich den blutüberströmten Kopf auf einem Silbertablett bringen. Die Neubearbeitung von Salome durch Oscar Wilde hat in ganz Europa große Beachtung gefunden. Die Uraufführung erfolgte nicht in England, sondern in Paris mit der berühmten Schauspielerin Sarah Bernhardt in der Hauptrolle der Salome. Richard Strauss vertonte die deutsche Übersetzung als gleichnamige Oper „Salome“. Diese wurde am 9. Dezember 1905 von der Dresdner Hofoper uraufgeführt. Noch heute gehört Salome zu den meistgespielten Opern. Die Hauptrolle der Salome als femme fatale ist ein besonderes Prädikat für Opernsängerinnen.

„Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading“ (Oscar Wilde 1898)

Wegen seiner homosexuellen Aktivitäten wurde Oscar Wilde zu zwei Jahren Zuchthaus und harter Zwangsarbeit verurteilt. Diese musste er von 1895 bis 1896 durchstehen. Danach war er ein gebrochener Mann. Vier Jahre nach seiner Entlassung ist er mit 46 Jahren gestorben. „Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading“ ist im Jahre 1898 – zwei Jahre vor Oscar Wildes Tod – erschienen. Der Anlass für das Gedicht war die Hinrichtung eines Mithäftlings. Dies war der dreißigjährige Kavalleriesoldat Charles Thomas Wooldridge, der aus Eifersucht seine Ehefrau ermordet hatte und deswegen zum Tode verurteilt wurde. Die Ballade gliedert sich in sechs Teile und umfasst insgesamt 109 Strophen mit jeweils sechs Zeilen. Die Ballade ist also genau 654 Zeilen lang. Im gesamten Gedicht finden sich Wiederholungen einzelner Zeilen, die offensichtlich besondere Bedeutung haben. Der Titel des vorliegenden Beitrags stammt aus einer Strophe, die sowohl im ersten als auch im sechsten Teil der Ballade wiederholt wird. Sie lautet:

„Doch jeder tötet, was er liebt,

das hört nur allzumal!

Der tut’s mit einem giftigen Blick,

Und der mit dem Schmeichelwort schmal.

Der Feigling tut es mit dem Kuss,

der Tapfre mit dem Stahl.“

Dieses Thema „Doch jeder tötet, was er liebt“ hat große Verbreitung in der Literatur, in der Musik und im Film gewonnen. Teile der Ballade oder das Gesamtwerk sind mehrfach vertont worden. In mehreren Filmen tauchen Elemente aus dieser Ballade auf und in Deutschland wurden mehr als zehn Übersetzungen immer wieder neu veröffentlicht.

Intimizid – die Tötung des Liebespartners

Die wesentliche Gemeinsamkeit von „Salome“ und „Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading“ ist der Intimizid. Salome lässt den begehrten Johannes den Täufer enthaupten und der Soldat Wooldridge hat aus Eifersucht seine Ehefrau ermordet. Die Tötung des Liebespartners ist ein Thema, das Oscar Wilde sehr fasziniert hat und zu dem er zwei Werke geschrieben hat, die bis in die Gegenwart Anerkennung und Wertschätzung finden. Insbesondere die Oper „Salome“ von Richard Strauss, deren Grundlage das gleichnamige Werk von Oscar Wilde ist, ist zu einem Klassiker auf den Opernbühnen der ganzen Welt geworden.

Die eindrucksvollen Worte von Oscar Wilde – „Doch jeder tötet, was er liebt“ – chrakterisieren auch die Intimizide der Gegenwart sehr zutreffend. Intimizide haben fast immer eine lange Vorgeschichte und eine tragische Entwicklung des verstrickten Liebespaares (Marneros 2008). Sie sind der dramatische Endpunkt einer Passionsgeschichte des Scheiterns. Die Auslöser sind keine anderen als zu der Zeit von Oscar Wildes Hauptfigur Charles Thomas Wooldridge. Wir finden diese auslösenden Faktoren auch in den bekannten Eifersuchtsdramen „Carmen“ und „Othello“. Verlassen-werden oder Trennungsdrohungen sind häufig, ebenso Streitbeziehungen und Gewalteskalation. Die damit verbundenen tiefen narzisstischen Kränkungen führen oft zu Rachebedürfnissen und Aggressionen zwischen den Liebespartnern (Csef 2016). Jedes Jahr im November veröffentlicht das Bundeskriminalamt einen Bericht zur Partnerschaftsgewalt (Csef 2019 a). Im aktuellen Bericht über das Jahr 2018 berichtete das Bundeskriminalamt aufgrund der polizeilichen Kriminalstatistik über 140 750 angezeigte Fälle von Partnerschaftsgewalt (BKA 2019). Es sind überwiegend Gewaltdelikte, in denen Menschen von ihrem Expartner genötigt, bedroht, geschlagen, vergewaltigt oder im Ernstfall sogar getötet wurden. Experten gehen davon aus, dass die tatsächlichen Fallzahlen etwa fünf bis zehnmal so hoch sind, da bei der Partnerschaftsgewalt die Anzeigenbereitschaft außergewöhnlich niedrig ist. Vergleichbare Delikte durch Fremde werden viel häufiger angezeigt als wenn sie vom aktuellen Liebespartner oder dem Expartner verübt wurden.

Anfang Oktober 2019 ereignete sich in Kitzbühel ein Intimizid mit der Tötung vier weiterer enger Beziehungspersonen der Ex-Partnerin (Csef 2019 b). Der 25-jährige österreichische Täter Andreas H. war von seiner Ex-Verlobten verlassen worden. Vermutlich aus Eifersucht und Rachebedürfnis hat er die Ex-Verlobte und vier ihrer Angehörigen kaltblütig ermordet. Während zahlreiche andere Gewaltdelikte in den letzten Jahren an Häufigkeit abgenommen haben (Pfeiffer 2019), zeigen die Intimizide über Jahre hinweg konstant hohe Fallzahlen. Die Intimizid-Prävention ist eine große Herausforderung für alle Berufsgruppen, die Liebespaaren in tragischen Konflikten und Krisen helfen wollen.

Literatur:

Bundeskriminalamt (2019) Partnerschaftsgewalt. Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2019 vom 25.11.2019

Csef, Herbert (2016) Pathologischer Narzissmus und Destruktivität. Gewaltexzesse in der Gegenwart. Nervenheilkunde; (35):858-863

Csef, Herbert (2019 a) Partnerschaftsgewalt – Was auch gesagt werden sollte. Tabularasa Magazin vom 21.Dezember 2019

Csef, Herbert (2019 b) Das Eifersuchtsdrama in Kitzbühel: Eifersucht – eine gefährliche Leidenschaft. Tabularasa Magazin vom 26. November 2019

FRA – European Union Agency for Fundamental Rights (2014), Violence against women: An EU-wide survey: Main results, Publications Office of the European Union, Luxembourg.

Marneros, Andreas (2008) Intimizid – Die Tötung des Intimpartners. Ursachen, Tatsituationen und forensische Beurteilung. Schattauer, Stuttgart

Pfeiffer, Christian (2019) Gegen die Gewalt. Warum Liebe und Gerechtigkeit unsere besten Waffen sind. Kösel Verlag München

Wilde, Oscar (1898) Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading. Insel-Verlag, Leipzig 1970

Wilde, Oscar (1891) Salome. Schriften, Aphorismen und „Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading“. 9. Auflage. Insel-Taschenbuch, Frankfurt am Main 1996

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. H. Csef, Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Zentrum für Innere Medizin, Medizinische Klinik und Poliklinik II, Oberdürrbacher Straße 6, 97080 Würzburg

E-Mail-Adresse: Csef_H@ukw.de

Über Herbert Csef 153 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.