Welche Rolle spielt der Begriff der offenen Gesellschaft in Ihrem Denken, Sie sind im Geist der politischen Theologie groß geworden?
Ich bin glücklicherweise nicht im Geist einer politischen Theologie, sondern der offenen Gesellschaft groß geworden, in der Fragen des Politischen pragmatisch verhandelt und nicht mit Argumenten des Glaubens, der Moral oder der Herkunft beantwortet werden, die per se nicht verhandelbar sind. Ich habe mich dann aber in der Beschäftigung mit deutscher Geschichte vor allem mit der Ideengeschichte und politischen Relevanz gegensätzlicher Ideale von Freiheit in protestantischen Religionskulturen in Deutschland und Amerika auseinandergesetzt.
Perspektivwechsel: Der neue Kurs oder die neue Firmenphilosophie von Schloss Elmau unter Ihrer Leitung legt die Maxime zugrunde: Nicht Freiheit vom Ich, sondern Urlaub des Ich, was haben wir darunter zu verstehen?
Freiheit vom Ich ist ein metaphysisches oder religiöses, die Freiheit des Ich ein politisches Ideal, dass die Freiheit des anderen als Grenze der eigenen respektiert. Ich möchte Gästen von Schloss Elmau in ihrer Freizeit vor allem größtmögliche Freiheit bieten, gleichgültig was jeder darunter für sich verstehen mag.
Ein Blick zurück: Die Elmau war, wie Sie es auch in Ihrem neuen Buch „Schloss Elmau, Eine deutsche Geschichte“ beschreiben, die Heimat Ihrer Jugend, aber nicht die Heimat Ihres intellektuellen Ich: Sind Sie auf Schloss Elmau angekommen?
Heute ist Schloss Elmau für mich vielleicht eines der schönsten, sicher aber das zur Zeit interessanteste und außergewöhnlichste Hotel der Welt, in dem ich am liebsten meine Ferien mit meiner Familie oder Freunden oder allein verbringen möchte. Ankommen werde ich wohl nirgendwo je richtig, da ich immer weitergehen, neues entdecken und entwickeln möchte. Mit der Fertigstellung des Schloss Elmau Retreat eröffnensich für Schloss Elmau völlig neue Perspektiven. Der G7 Gipfel war hoffentlich nur der Anfang und nicht das Ende einer beinahe 100 jährigen Transformationsgeschichte.
Statt Konsens, sind Sie ein Verfechter des Dissens, der Polyperspektivität, internationalen Globalität und des transatlantischen Denkens bzw. Dialoges, man könnte auch sagen, der postmodernen Differenz. Elmau hat sich innerlich renoviert und sich vom alten Konzept Ihres Großvaters, das Sie als zu eng empfunden haben, distanziert. Es geht in Ihrem neuen Konzept nicht mehr um die Auflösung des Ich, die Ich-Vergessenheit und Aufhebung des Ich, sondern um ein kräftiges, bejahendes, existentielles Ich; Sie betonen: Ohne Vielfalt keine Freiheit und unterstreichen immer wieder das Ideal der offenen Gesellschaft: Haben Sie nicht Angst, das zuviel Freiheit letztendlich das traditionelle Wertegerüst auflöst? Wird Elmau ein Ort der Zivilisationskritik bleiben?
Schloss Elmau wird in Zukunft hoffentlich nie wieder ein Ort der Ablehnung der Freiheit des Ich, sondern der Bejahung und permanenten Erweiterung der Freiheit und Kreativität des Ich bleiben. Gerade weil es das perfekte Hotel ebenso wenig geben wird, wie perfekte Menschen oder eine perfekte Welt und Politik, muss man alles eingedenk menschlicher Unzulänglichkeit immer wieder kritisch hinterfragen und versuchen ständig zu verbessern.
Ihr Haus ist eine Bastion des Protestantismus, auch wenn Sie immer wieder die protestantische Homogenität kritisieren und das katholische Farbenspiel von Licht und Schatten, das Ihnen mehr am Herzen liegt betonen. Welche Rolle spielt die Religion für Sie im 21. Jahrhundert? Sie sprechen oft vom Mangel an säkularer Vernunft!
Schloss Elmau hat für mich keine eindeutige Identität, das Hotel ist wie seine Gäste und Mitarbeiter voll von Widersprüchen, Komplexität und Kompromissen gegensätzlicher Interessen. Die einzige Konstante ist die Unstimmigkeit. Schloss Elmau ist für mich ein urbanes Hotel in unberührter Natur, ein Ort der Freiheit und des Fremdenverkehrs, des ständigen Kommens und Gehens, der Vermischung, Inspiration, Erholung und Bewegung.
Ohne Transzendenzbezug kann es meiner Ansicht nach keine Freiheit geben, welche die Freiheit des anderen als Grenze der eigenen respektiert und keine Rechtsgemeinschaft geben, welche unterschiedliche Wertegemeinschaften als Teil der offenen Gesellschaft akzeptiert. Säkulare Vernunft bewahrt den Glauben an das Jenseits vor seiner Verweltlichung und Entzauberung im Diesseits ebenso wie Politik vor religiöser, metaphysischer oder ästhetischer Überhöhung und nicht mehr hinterfragbarer Letztbegründung.
Der Sohn von Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat einmal gesagt: „Mein Vater ist wie ein Fahrrad, wenn es steht, fällt es um.“ Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich habe nicht genug Kraft zum Nichtstun und bin daher ständig in Bewegung, auf Reisen, beim Lesen und Bauen und mangels Zeit leider immer weniger beim Wandern, Skifahren oder Bergsteigen.
Wie sehen Sie die weitere Entwicklung von Schloss Elmau nach dem Gipfel. Dem 5-Sterne-Ressort Heiligendamm hat der G 8 Gipfel – nachhaltig gesehen – ja nicht zum merkantilen Erfolg geholfen?
Ein Hotel das vor dem Gipfel nicht nachhaltig erfolgreich war, wird es auch nach dem Gipfel nicht sein können. Bisher hat der Erfolg von Schloss Elmau die Erwartungen übertroffen. Dafür gibt es aber keine Garantie. Jedes Investment ist mit Risiko verbunden. Ich befürchte immer das Schlimmste und versuche stets mein Bestes zu geben, damit es nicht eintritt.
Eine Architektur steht – ein Blick in die Kunstgeschichte zeigt es – für ein erneuertes Denken, für einen Aufbruch. Sie haben mit dem Neubau auf der Elmau, einem „neuen Hotel im Hotel“, wie Sie es nennen, eine neue Architektur geschaffen.17 identische Suiten – eine Vielzahl neuer Zimmer, Sie sprechen dabei vom Ideal der offenen Gesellschaft“. Anders gefragt: Welche Philosophie steckt dahinter?
Ich wollte reisenden Ästheten, Künstlern mit oder ohne Familie in Schloss Elmau zur optimalen Erholung nicht nur eine große Vielfalt unterschiedlicher Zimmer und Suiten, Restaurants, Spas, Lounges, kultureller Veranstaltungen und Alternativen zum Nichtstun, sondern last not least auch die Freiheit der Wahl zwischen zwei verschiedenen Hotels in einem bieten.
Die Fragen stellte Dr. Dr. Stefan Groß
Den vollständigen Text finden Sie im Bayernkurier, Heft 1, 2015
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