Der Wahlsieg Viktor Orbáns ist eine schlechte Nachricht für Demokratie und Freiheit. Zwar hat es allem Anschein nach keine direkte Wahlfälschung gegeben. Das mediale Trommelfeuer für Orbán und seine faschistoide Ideologie war aber mit fairen Wahlbedingungen unvereinbar. Dies und der kaum noch vorhandene Raum für eine freie und unabhängige ungarische Zivilgesellschaft sowie der Zustand des ungarischen Rechtsstaats erlauben den Schluss, dass Ungarn keine vollwertige freiheitliche Demokratie mehr ist.
Die staatlichen und die privaten Medien, die samt und sonders von Orbáns Leuten gesteuert werden, haben ganze Arbeit geleistet. Das korrupte Netzwerk der Familie Orbán darf sich bestätigt fühlen. Zusätzlich hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine dem magyarischen „Diktator“, als den Jean-Claude Juncker noch als Präsident der Kommission Orbán bezeichnete, in die Karten gespielt. Viel wesentlicher aber war wohl, dass das Oppositionsbündnis unter den Rahmenbedingungen, die in der ungarischen Scheindemokratie seit Jahren herrschen, keine reelle Chance hatte.
Das Europäische Parlament fordert seit über einem Jahr, dass Ungarn finanziell sanktioniert wird. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür wären mit der so genannten Konditionalität seit dem Herbst 2020 da gewesen. Die Kommission hat einen schweren Fehler begangen, dass sie nicht lange vor der Parlamentswahl entschieden gegen Orbán vorgegangen ist. Die Europäische Union muss nun endlich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen Budapest vorgehen. Denn dieses Ungarn gehört nicht mehr zu Europa. Orbán spielt in Bezug auf Moskau ein doppeltes Spiel. Er hat sein Land bewusst politisch voll von Russland und China abhängig gemacht. Er bewundert Putin und Xi, sieht sich selbst als starken Mann eines anderen Europas, eines nationalistischen, autoritären, fremdenfeindlichen und homophoben, in dem die Frau als Gebärmaschine den ihr zugewiesenen Platz hat.
China und Russland rechtfertigen die russische Aggression gegen die Ukraine und die bestehende Ordnung im Übrigen mit dem Argument, sie seien die wahren Demokratien dieser Welt. Ungarn, das hat Orbán mit seiner Popularisierung der „illiberalen Demokratie“ selbst betont, zählt heute eher zu diesen autoritären Staaten als zum politischen Westen, mit dem die EU in Bezug auf ihre Werte und Ziele verbunden ist.
In der Auseinandersetzung zwischen den freiheitlichen Demokratien dieser Welt und den Autokratien des Ostens muss sich in der EU die Spreu vom Weizen trennen. Das ist auch eine wichtige Voraussetzung für die Abwehr des russischen Angriffs, eine Zeitenwende, die nicht nur deklariert, die auch gelebt werden muss. Jetzt hart gegen Budapest vorzugehen, schwächte den westlich-europäischen Zusammenhalt nicht. Ganz im Gegenteil, es stärkte ihn.
Christian Moos ist Generalsekretär der überparteilichen Europa-Union Deutschland e.V., Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und Mitglied der Konferenz zur Zukunft Europas.
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