„Unter allen aber leuchtete der Knabe Alkibiades hervor … Die Bildner drängten sich herzu, um dieses noch unentwickelte, aber gleichsam in leiser Andeutung sich ankündende Muskelspiel, diese knospende Wohlgestalt … zu bewundern …“ 140 Jahre war der Text „Aspasia“ von Robert Hamerling alt, als ihm Guido Fuchs, Publizist aus Hildesheim, einDenkmal setzte, als eines von zahlreichen Beispielen seiner literarischen Erkundung des „schönen Knaben“, die er 2015 unter dem Titel „Tadzios Brüder“ im Verlag Monika Fuchs veröffentlichte (260 Seiten, mit Abbildungen 26,95 Euro, ISBN 978-3-940078-42-1).
Schönheit in Gestalt und Gehabe ist keineswegs allein dem Weiblichen eigen. Auch der Mann kann sich durch Anmut und Ebenmaß seiner Erscheinung aus der Menge abheben, sodass selbst Angehörigen des eigenen Geschlechts der Atem stockt. Der unverhohlen auf das Edel-„Exemplar“ eines „bildschönen“ Mannes gerichtete Blick kann, beim Mann rasch zurückgenommen werden. Um nicht dabei ertappt zu werden, den erregenden Reizen eines Gleichgeschlechtlichen zu erliegen. Aufkommende homoerotische Empfindungen werden da lieber unter Kontrolle gehalten als anderen gegenüber konzediert zu werden. Wir Heutigen sind zu viele Jahrhunderte von den einst fraglos erlaubten Schwärmereien zumal eines Älteren einem Jüngeren gegenüber entfernt als dass wir uns, den alten Griechen gleich, in ein offenes Verhältnis zu einem gut gewachsenen Mann oder Jüngling einließen.
Nicht Männern, auch nicht Jünglingen, sondern Heranwachsenden im „zarten“ Knabenalter öffnen sich die in diesem – wie kann`s anders sein: schönen – Buch gesammelten literarischen „Appetizer“. „Viele Brüder hat Tadzio“ (aus Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“, 1912), „ungezählte in der Literatur überhaupt“, beendet Fuchs seine fein und klug gebaute Einführung in die 12 aufregenden Kapitel von „Begegnung“ bis „Verwandlung“.Glückvoll aufgestöbert, belegt Fuchs seine Textbeispiele „vor allem aus der deutschen Literatur ab dem 18. Jahrhundert“.
Die Tür zu einem Aspekt literarischer Spezies wird hier weit aufgetan und ohne den geringsten Anflug voyeuristischen Vorgehens in den Fokus gerückt. Guido Fuchs ist es gelungen, auf Texte gestoßen zu sein und diese „ausgegraben“ zu haben, um die Galerie der „Tadzios“ – für viele überraschend – stark auszuweiten. Der Bogen spannt sich von Epik über Dramatik bis zu Lyrik, Reiseschilderung, Brief und Tagebuchnotiz. Gewissermaßen als Konkurrenten Tadzios, „Inbegriff und Bild vieler anderer schöner Jungen“ tauchen Namen auf wie Enzio, Adonis, Idolino, Christian, Jesùs oder Schanno – meist Vornamen nur. Wenn überhaupt der oft scheu wahrgenommene „hübsche Bub“, blondgelockt, engelgleich, mädchenhaft rein, von schlankem Wuchs, mit großen Augen … Vor- und Zunamen hat.
Viele der hier wiedergegebenen literarischen Beispiele sind vom Autor, der es zurückhaltend beim „Herausgeber“ belassen will, im doppelten Sinn „erlesen“ anzusehen. Es hat einen eigenen Stachel, seinen verlockenden Hinführungen zu folgen. Nicht chronologisch, sondern „nach bestimmten wiederkehrenden Motiven“ hat er die Textausschnitte angeordnet. Der eine oder andere mag den Leser auffordern, das ganze Buch zu lesen, was sich etwa im Fall von nur mehr wenig bekannten Ausgaben wie etwa Rudolf Gecks „Der Knabe“ (1936) oder Albrecht Goes` „Das Löffelchen“ (1965) durchaus lohnte. Zur Lektüre mögen die in den Band aufgenommenen und ihn trefflich illustrierenden ganzseitigen Bilder einen Anreiz bieten, ob es der Cupido in Venus` Umarmung (Benjamin West, 1787) ist, der zeichnende Jean Helleu, 1913 skizziert vom Vater oder Frank Duvenecks „Whistling Boy“, um 1870. Das pfiffige Kerlchen mit dem verwegenen Hut schaffte es 2013 auf das Cover des Erzählbändchens „Der Gustl. Ein bayrisches Schlitzohr“ aus eben dem Verlag, den Guido Fuchs` Gattin führt.
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