Die Zweige geben Kunde von der Wurzel (Arabisches Sprichwort)

„Wie kam es zu der Aufteilung der Menschen in Mann und Frau? Warum sind sie nicht wie die Schnecken, die sich erst in der Hochzeitsnacht entscheiden, wer die Kinder zeugt und wer sie bekommt? Warum ist die Welt so, wie sie ist?“ Nichts weniger als diese Fragen versucht der Bilderbuchkünstler Helme Heine, dessen Kinderbücher Klassiker sind und auf der ganzen Welt begeisterte Leser finden, zu beantworten. Und da sich um die Antwort schon ganze Heerscharen von Philosophen, Wissenschaftlern und Autoren bemüht haben, wählt der 1941 geborene Berliner ein ganz anderes Metier: Er schreibt und illustriert ein kleines Bilderbuch für Erwachsene.
Da wo andere ins Uferlose auswachsen, wo Seite um Seite gefüllt wird und letztendlich immer mehr Fragen aufgetürmt werden, ohne die eigentliche zu beantworten, da kommt Heine mit seinem DIN A5-Büchlein in großer Schrift, unterbrochen durch seine ihn kennzeichnenden, typischen Illustrationen, und meint des Rätsels Lösung gefunden zu haben?
Mitnichten… Denn als „Deus ex Machina“ will sich das schmal gebundene Werk sicherlich auch nicht verstehen. Aber eines bewirkt es auf jeden Fall: Es entfaltet eine unglaubliche Wirkung, auch wenn diese erst auf den letzten zwei, drei Seiten bzw. bei nochmaliger Lektüre wirkt. „Er, Sie & Es“ regt gerade durch seine (scheinbare) Simplizität und Leichtigkeit zum Nachdenken an.
So geht es munter los in der guten alten Zeit mit dem am Anfang allen Seins stehenden „männlichem, unverheiratetem Wesen“, das jede Weltreligion anders nennt und bei uns den Namen Gott trägt. Heine lässt ihn das Licht anknipsen („Wer arbeitet schon gern im Dunkeln?“) und auf einem winzigen Felsbrocken am Rande der Milchstraße ein kleines Gewächshaus bauen. In dieses setzt er seinen ersten Mann, aus dessen Rippe die ideale Gespielin folgt und so weiter und so fort…. (Apropos Rippe: Vielleicht ist das der Grund für die zuweilen so sperrige Andersartigkeit des weiblichen Geschlechts). Über den Verbleib der bösen Schlange erfährt man gleichfalls etwas. Wie auch auf dem Cover abgebildet, hat sie sich bei Eva im Kopf festgesetzt „und lieh ihr ihre Doppelzüngigkeit. Bei Adam machte sie es sich im Bauch bequem. Da liegt sie nun seit Anbeginn und rührt sich nicht mehr vom Fleck.“
Helme Heine erzählt die Geschichte der Menschheit im Allgemeinen und die von Mann, Frau, und Kind, also der Familie, in kurzen, knappen Worten und rasanter Geschwindigkeit. Seine humorvollen Sätze sind oft direkte Treffer ins Schwarze, offenbaren allerdings unter ihrer Oberfläche viele tiefe Wahrheiten und sind gespickt voller Allusionen. Ein zweites und drittes Lesen ist bei diesem Buch unabdingbar. Erst danach entdeckt man unter dem saloppen Ton die doch eigentlich tieftraurige Geschichte der Menschheit. Eine positive Botschaft hat der Autor am Ende allerdings doch noch. Denn schlussendlich werden sich die doch so unvereinbar scheinenden Wiederparts von Er, Sie und Es doch noch ziemlich ähnlich. „Sie nähern sich dem paradiesischen Urzustand, dem göttlichen Menschenbild. Der Verstand lässt dem Herzen den Vortritt. Er und Sie beginnen zu begreifen, dass sie aus Sternenstaub entstanden sind und dass der Tod nicht das Ende des Prozesses ist.“
„Die Welt wird still. Die Schritte werden vorsichtig, tastend. Die Eisblumen blühen an den Fenstern, der Schnee bedeckt die Narben der Welt, macht sie schön.
Die Uhr tickt. Die Zeit läuft.
Wohin?, fragt das Es.“
Danke für dieses literarische Kleinod!

Helme Heine
Er, Sie & Es
Kein & Aber Verlag, (März 2013)
64 Seiten, Gebunden
ISBN-10:
ISBN-13: 978-
Preis: 12,90 EUR

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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