Die ersten konkreten Maßnahmen des neuen amerikanischen Präsidenten in Sachen Einwanderung lassen die Diskussion über Grenzsicherung und Eindämmung der Migrationsflüsse auch in Europa neu entflammen. Anstehende Wahltermine in wichtigen Ländern der EU wie Holland, Frankreich, Deutschland, möglicherweise auch Italien lassen gerade in puncto Aufnahme und Integration fliehender Menschen hohe Wellen schlagen und machen neue Initiativen umso dringlicher.
Von brisanter Aktualität ist daher die Fotoschau, die der italienische Regisseur und Fotograf Marco Pejrolo in diesen Tagen im Münchner Gasteig präsentiert. In 50 ausdrucksvollen Portraits von Männern, Frauen und Kindern unterschiedlicher Herkunft, die in den letzten Monaten Zuflucht in Deutschland gesucht haben, konfrontiert er sich direkt mit deren Schicksal – einem oft äußerst dramatischen Schicksal – und drängt mit seiner Kamera in die tieferen Schichten ihrer Seele. Die Gesichter werden zum Spiegel von Emotionen, die das Fotoapparat wie ein Seismograf registriert hat und geben sie weiter an den Betrachter, der sie in sich aufnimmt und eingeladen wird, die daraus hervorgehenden Regungen auf ein neben dem Bild hängendes Notizheft aufzuschreiben. Eine Interaktion, die einen Prozess der Identifikation zwischen Betrachteten und Betrachter einleiten soll, dessen Ziel ist, eine persönliche – nicht nur theoretische oder virtuelle – Annäherung an die „Hilfesuchenden“ – wie er sie Pejrolo nennt – herbeizuführen. Schon einige Tage nach Eröffnung füllen Kommentare die fliegenden Blätter: sie reichen von der einfachen Sympathiekundgebung bis zu den Wünschen für eine bessere Zukunft. Die Besucher schreiben anonym in verschiedenen Sprachen. Zur Nachdenklichkeit ermahnt ein Satz auf Italienisch: „Die Würde bekommt ein Gesicht“.
Die Idee einer Fotoschau dieser Art ist bei Marco Pejrolo im Laufe der Zeit langsam gereift. Die Schau ist die Fortsetzung anderer Ausstellung, der ersten in Ecuador, wo er Einheimische fotografierte und die Bilder im dortigen Italienischen Kulturinstitut zeigte. Unter dem Titel „La Democrazia“ hat er bereits vor 12 Jahren einen ersten Dokufilm mit Interviews mit Flüchtlingen in Nordhausen gedreht. Das Thema lässt ihn seitdem nicht mehr los, er scheint sich darauf verschworen zu haben.
Als die große Einwanderungswelle im Sommer 2015 zu rollen beginnt, fühlt er sich sofort als Fotograf gefordert. Nach langwieriger Suche und Überwindung zahlreicher bürokratischen Hürden gelingt es ihm im Februar 2016 Zugang zu einer Unterkunft in Unterhaching zu erhalten. Die Mitnahme einer Kamera wird ihm zunächst verwehrt. Er knüpft Kontakte mit Einzelnen, meistens Männern, die noch in dem Camp wohnen, während Familien mit Kindern bereits in Häusern irgendwo in ganz Deutschland verlegt worden sind. Im Laufe langer Gesprächen gewinnt Pejrolo deren Vertrauen und realisiert erste Portraits in von ihm eingerichteten Studios in der Nähe der Aufnahmezentren zunächst in Unterhaching, später in Aying und schließlich auch in München.
Die Begegnungen verwickeln ihn emotional sehr stark. Sie stehen am Anfang einer langen Reise, die – „sollte er sie richtig beschreiben“ – „mehr als Tausend Seiten“ benötigen würde. Tausend Seiten, um auf Einzelschicksale von durch Krieg,, Misere, Ablehnung, Hass geschüttelten Menschen einzugehen, denen er sich für eine Weile angenommen hat.
Empathie leitet seine Kamera, ein Gefühl, das er unbedingt weitergeben möchte. Aus den Aufnahmen vibriert in der Tat ein Pathos, das viele Facetten in sich birgt: Traurigkeit, Stolz, Nostalgie aber durchaus auch Hoffnung. Gelassenheit strahlt eines der wenigen Mädchen, das er fotografieren durfte und ganz vorne in der Schau neben einem jungen Farbigen mit Brillantenohrring die Blicke auf sich lenkt. Das niedliche kleine Mädchen hält den Kopf geneigt auf beiden gefalteten Händen und erweckt dabei den Anschein, endlich angekommen zu sein. Angekommen in eine neue Umgebung, in der sie – man wünscht es sich – in Frieden aufwachsen kann, bevor es eines Tages in die Heimat zurückkehren darf. Denn zurückzukehren ist der Wunsch, den die Meisten in sich tragen. Jemand denkt dennoch an Bleiben, wie der Junge, der ein Trikot mit dem Schriftzug D – D für Deutschland – trägt und fröhlich vor sich lacht. Ein junger Mann mit umgedrehtem Capy lächelt ironisch in die Linse und lädt vielleicht seine Vis-á-Vis dazu ein, auf einen frechen Spruch zu reagieren. Ein Sympathieträger aus dem Großraum Afrika, dessen Bild die Ausstellung auf Plakaten und Bannern begleitet und den Vorbeieilenden die Angst vor dem Ungewohnten wegnimmt. Was Marco Pejrolo mit seinem anspruchsvollen Projekt bezweckt, ist einen Beitrag zu leisten, damit die Menschen angstfrei miteinander in Dialog treten. Brücken bauen statt Mauern errichten, die man – wie die Geschichte uns lehrt – gewaltsam niederreißen kann.
Seine Fotos sollten an einem stark frequentierten Ort zur Schau gestellt werden. Die Landeshauptstadt München ist ihm entgegen gekommen und unterstützt das Projekt. Die tief bewegenden Bilder sind von einer so herausragenden Qualität, dass München darüber stolz gehen kann.
Seit zwei Jahren lebt Marco Pejrolo zwischen Turin und München, wo er sich einen Namen als Regisseur mit klassisch-modernen Repertoire gemacht hat. Seine über dreißigjährige Erfahrung als Schauspieler und Theaterregisseur fließt auch in seine Fotos ein, die – wie in diesem Fall – den menschlichen Antlitz in den Mittelpunkt stellen. Die Fotografie als Spiegel des Gesichts, das Gesicht als Spiegel der Seele.
Seine Portraitierten sind Figuren auf einer ideellen Bühne inmitten einer Inszenierung – seiner eigenen -, die das Auge des Besuchers einfängt und nicht mehr loslässt.
Bis zum 13. Februar täglich zwischen 9 und 23 Uhr im Foyer Glashalle von Gasteig zu besichtigen.
www.spiegel.photos www.gasteig.de
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