„Die Weltgeschichte ist auch die Summe dessen, was vermeidbar gewesen wäre.“ – Handelskriege und Kriegsvermeidung

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„Die Weltgeschichte ist auch die Summe dessen, was vermeidbar gewesen wäre.“ Dieser nachdenkenswerte Satz wird in Deutschland neben Bertrand Russel meistens Konrad Adenauer zugeschrieben, dem ersten Kanzler der jungen Bundesrepublik. Was Deutschland sich und Europa hätte ersparen können, wenn die Hitlerdiktatur vermeidbar gewesen wäre, das alles war nach der totalen Niederlage und Zerstörung der wichtigsten Städte natürlich eine müßige Frage. Deutschland hatte mit dem Feuer gespielt und auch erhebliche Teile der Bevölkerung, die nicht unbedingt mit den Nationalsozialisten sympathisierten, hatten sich von den anfänglichen Blitzkriegserfolgen berauschen lassen. Diese Masseneuphorie ist heute kaum nachvollziehbar, sie ist aber auch in milderer Dosierung ein höchst gefährlicher kollektiver Geisteszustand, heute durch unkontrollierbar Desinformation noch gefährlicher.

Von der kleinsten Rebellengruppe bis zu den größten Armeen unserer Tage spielt die notwendigerweise indoktrinierte Psychologie des einzelnen Soldaten wie der Führungsebenen eine entscheidende Rolle für Kampfkraft und Einsatzbereitschaft. Und falls Bertrand Russel die Vermeidbarkeiten der Weltgeschichte nicht mit Konrad Adenauer definiert hat, trifft er mit einem anderen Zitat den wunden Punkt der militärischen Motivierungs-Notwendigkeit zentral: „Patrioten sprechen immer von der Notwendigkeit, für das Vaterland zu sterben, nicht aber von der Notwendigkeit, für das Vaterland zu töten.“ Während nach Aussetzung der Wehrpflicht nur noch wenige junge Deutsche freiwillig beide Notwendigkeiten ins Auge fassen, darf man bei einer Reihe großer Armeen davon ausgehen, dass die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen dieser Länder den Dienst entweder ehrenvoll oder aber materiell attraktiv erscheinen lassen. Die moderne Entwicklung, daß immer öfter gut bezahlte Söldnerdienste an zahlreichen Schauplätzen eingreifen, deutet darauf hin, daß Bertrand Russels moralische Differenzierung zwischen Sterben und Töten dabei weniger eine Rolle spielt als Profit- und Verdienstmöglichkeiten.

„Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Diese oft zitierte Definition des preußischen Generals Carl von Clausewitz lenkt allzu leicht von den wichtigen Einschränkungen seines 1832 erschienen Buches „Vom Kriege“ ab. Es geht Clausewitz nämlich sehr wohl um die Verhältnismäßigkeit zwischen Einsatz, Opfern, Schäden und Gewinn, nämlich die eigentlich wichtigste Frage, ob ein verlustreicher Krieg zur Durchsetzung politischer Ziele gerechtfertigt werden kann. Seit Urzeiten haben Kriegsvorbereitungen und Drohszenarien ausgereicht, um politische oder wirtschaftliche Ziele gegenüber schwächeren Staaten durchzusetzen. Die möglicherweise „elegantere“ Erpressungsmethode kann dabei ein „Handelskrieg“ sein, eine Bezeichnung, die in den zwei oder drei letzten Jahren ständig kommuniziert wird. Wenn einem Handelskrieg allerdings durch Rüstungswettläufe auf beiden Seiten Nachdruck verliehen wird, wie das derzeit zwischen den USA und China der Fall ist, sollten die Alarmglocken eigentlich lauter klingen. Muß man davon ausgehen, daß wirtschaftliche Nadelstiche immer stärker werden müssen, um noch wirksam zu sein, oder daß eine Sanktionsspirale am Ende doch militärische Gewalt auslöst? Es ist erschreckend genug, daß die Frage einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen den beiden Supermächten immer wieder gestellt und diskutiert wird. Dabei geht es häufig genug um technische Details, welche Raketen wie weit fliegen und wie genau sie treffen können, wie viele U-Boote und Flugzeugträger notwendig sind, und viele andere. Aus dem Kalten Krieg werden Überlegungen aufgewärmt, welche Überlebenschancen welche Teile der Bevölkerung haben und ob allein die 1,4 Milliarden Chinesen den Ausschlag bestimmen würden, weil militärisch nur ein Bruchteil von ihnen umgebracht werden kann. Da verselbständigen sich zusehends die technisch-militärischen Aspekte gegenüber der Priorität der politischen Ziele und der notwendigen Gewinn- und Verlustrechnung des Generals von Clausewitz.

Vom Handelskrieg zum militärischen Inferno im Fernen Osten:

Als ein bis heute warnendes Beispiel, wie leicht die politische Lage außer Kontrolle geraten kann, sei hier an die amerikanisch-japanischen Beziehungen Ende der 1930er Jahre erinnert. Als die Japaner nach einem inszenierten Attentat 1931 in China einmarschierten und den Vasallenstaat Mandschukuo errichteten, war Kolonialbesitz in Europa, aber auch für die USA, noch eine Selbstverständlichkeit. Aber die japanische Expansion bedrohte eben diese Selbstverständlichkeiten, in Burma und Malaya für die Briten, in Indochina für die Franzosen, in Indonesien für die Niederländer und in den Philippinen für die USA. Zur Erinnerung: US-Präsident Roosevelt bewilligte 1934 zwar die Unabhängigkeit der Philippinen, allerdings mit einer Übergangsperiode von zehn Jahren. China, unterstützt von den USA, das dem Regime von Chiang Kai-Schek den Rücken stärkt, ruft wegen der Mandschurei-Annexion den Völkerbund an, der sie ohne weitere praktische Folgen verurteilt, was 1933 zum Austritt Japans führt. Die USA, weiterhin in den Philippinen engagiert, stehen diplomatisch für das Selbstbestimmungsrecht Chinas ein und erklären in der Hoover-Stimson Doktrin, dass Mandschukuo nicht anerkannt werden darf.

In Japan entwickelt sich indessen ein ins Maßlose übersteigerter Nationalismus, Armee und Marine fühlen sich so gut wie unbesiegbar. Das Erziehungssystem bereitet die männliche Jugend auf die erstrebenswerteste Lebenserfüllung in der Armee vor, als größte Ehre gilt der Heldentod für den Kaiser. Fast parallel dazu entwickelt sich nach Hitlers Machtübernahme 1933 die Militarisierung in Deutschland mit ganz ähnlichen Opfertodmythen. Japan war schon länger an deutscher Technik interessiert, besonders der militärischen. Eine engere Zusammenarbeit entstand aber erst mit dem Dreimächtepakt vom September 1940, von den Vertragspartnern auch als Achse Berlin-Rom-Tokio bezeichnet.
Dem nach den britischen Opiumkriegen im 19.Jahrhundert und die folgenden Ungleichen Verträge gedemütigten und durch innenpolitisches Chaos geschwächten China gelingt es immerhin und über den Völkerbund hinaus, eine Koalition gegen Japan zusammenzubringen. 1939 kündigen die USA den Handelsvertrag mit Japan von 1911 auf, 1940 stellen die USA, Großbritannien, Australien, die Niederlande und andere die Lieferung von strategischen Rohmaterialien wie Öl, Eisenerz und Stahl an Japan ein. Japanische Guthaben in den USA werden eingefroren. Der spätere amerikanische Außenminister Dean Acheson, entscheidend an dieser Politik beteiligt, nennt diese Maßnahmen, die Japan tatsächlich in die Enge treiben, „full-blooded financial warfare against Japan“. Die Kriegsrhetorik umfasst nun eindeutig den internationalen Handel, wenn auch in der guten Absicht, die japanische Expansion und weitere Kriege zu vermeiden. Tatsächlich geht die politische Rechnung allerdings nicht auf. Kaiser Hirohito will zunächst keinen Krieg, muss aber in der innenpolitischen Krise im Herbst 1941 und nach dem Zusammenbruch diplomatischer Rettungsversuche den General Hideki Tojo zum Premierminister ernennen, einen dezidierten militärischen Hardliner. Die USA bestehen unerbittlich auf Rückzug, der für Japan, das inzwischen auch tief nach Südostasien vorgedrungen ist, nicht in Frage kommt. Japan empfindet die Forderungen der USA als Ultimatum, Kaiser Hirohito ist mit einem Präventivschlag einverstanden, und am Morgen des 7. Dezember 1941 versenkt die japanische Marine-Luftwaffe die pazifische Flotte der USA in Pearl Harbour.

Die Wirksamkeit von Handelssanktionen wird bis heute unterschiedlich beurteilt, unterlaufen werden sie offenbar regelmäßig. Der Washingtoner Think Tank Cato Institute hält übrigens Wirtschaftssanktionen für das beliebteste und gleichzeitig unwirksamste außenpolitische Instrument der USA und fordert eine radikale Reform. Japan wurde im Weltkrieg durch das Ölembargo zwar geschwächt, konnte aber aus indonesischen Lagerstätten und synthetischem Öl etwa 80% der Vorkriegsproduktion aufrechterhalten, was den Krieg nicht spürbar verkürzt hat. Und ungeplante militärische Zwischenfälle sind natürlich jederzeit möglich, wenn die Spannungen und gegenseitigen Verdächtigungen ein ausreichend gefährliches Niveau erreicht haben. Geschichte wiederholt sich nicht? Thukydides meinte im Gegenteil, sie sei eine ewige Wiederholung. Aber vielleicht hält sich China eher an seinen klassischen Kriegstheoretiker Sun Tsu: „Der, der weiß, wann er kämpfen sollte und wann nicht, wird siegreich sein. „

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