Es musste ja so weit kommen mit dir. Du bist verwundet. Du ächzt und stöhnst. Du blutest. Kirill Petrenko hat dich weit über die Schmerzgrenze hinaus geführt. Du wusstest, warst vorgewarnt. Seit der Münchner GMD – in ein paar Monaten ist er nicht mehr am Nationaltheater, sondern in Berlin – sich mit Richard Wagner beschäftigte, nein: in seine Drogenmusik hineinsteigerte – mit dem „Ring“, dem „Tannhäuser“, den „Meistersingern“ an seinem Haus und mit seinem zu höchstgradigen Leistungen gebrachten grandiosen Bayerischen Staatsorchester, ist es nur die letzte Konsequenz, dass er dich mit dem „Parsifal“ versehrte. Du kommst aus der 2. Vorstellung der diesjährigen Opernfestspiel-Neuproduktion. Du hast die Premiere auf BR Klassik hörend verfolgt und warst gepackt, so wie noch nie zuvor von einem „Parsifal“. Du runzeltest die Stirn, als du vom Ausstatter erfuhrst, dass er dir – wieder – verwehrt, was denn der Gral eigentlich ist.
Und nun bist du nicht nur verwundet, sondern noch einmal mehr verwirrt. Sahst, was das elfköpfige Produktions-Team (Inszenierung: Pierre Audi) für diese Novität ersann und knapp vor der Premiere für eine endgültige Realisierung veränderte, abzulesen allein schon an den ganz anderen (irgendwie mehr einleuchtenden) Kostümen (Florence von Gerkan), die die Fotos im Begleitbuch zeigen. Es strotzt nur so vor Großmaler-Skizzen. Allesamt kopfschüttelnd betrachtet, weil nicht die Bohne typisierend für die ganz unterschiedlichen Charaktere. Diesen Skizzen entspricht das kaum erträgliche Bühnenbild mit endlich auch auf den Kopf gestellten Horror-Bildern, das Georg Baselitz (80), der berühmte, das Religiöse im „Parsifal“ achtlos beiseite schiebend, verantwortet: finsterster Grusel-Tann, in sich zusammensinkende, grässliche Tentakel-Fichten, die, wie im 2. Aufzug Klingsors als solche nicht erkennbare Burg, paralysieren.
Wären da nicht Sängerpersönlichkeiten von überragender Valenz, du hättest besser weggeguckt. Aber 5 Stunden lang? Gut, dass du durchhieltst, trotz, nein: wegen deiner immer tiefer docj ritzenden musikalischen Verletzungen durch Kirill Petrenkos impressionistisch-hochdifferenzierend eingreifende, noch nie so plastisch gehörte Farben in die schwarze Wüstenei bringende Orchesterleitung. Gut deshalb, weil ganz zum Schluss des 3. Aufzugs sich szenisch doch noch ein Wunder ereignet, das dich optisch u n d musikalisch aufrüttelt: die Sterbeszene des Amfortas, zu der sich die wuchtigen Mannen seiner Gralsburg aus einer breiten und tiefen Versenkung bis zu Titurels Leichenaufschüttung rund um den Souffleurkasten kriechend begeben. Nicht vergessen, aber verdrängt: ihre nackt und warum zwiegeschlechtlich entgegengenommene Kommunion, ähnlich den bildhässlichen so genannten Blumenmädchen!
Der superben sängerischen Besetzung wegen – inklusive des getragen, choralhaft und vollrund tönenden Staatsopernchors – lohnt allein das Durchhalten in diesem regie-mageren neuen Münchner „Parsifal“: Nina Stemme als sich in Höhen wie Tiefen verzehrende Kundry, Jonas Kaufmann als bedächtig-nobler Tor, René Pape als ergreifend liedhafter Gurnemanz, Wolfgang Koch als total überdrehte Dickwanst-Klingsor-Karikatur, nicht zuletzt Edel-Bariton Christian Gerhaher als schwer leidender, jede Nuance seines diesmal hell gesungenen Textes anders herausarbeitender Amfortas. Bei Kirill Petrenko fühlte sich keiner von ihnen, auch nicht Bàlint Szabò als Titurel, überformt. Das kommt als Wunder zur Verwundung hinzu.