Die Verfolgung und Ermordungen der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945

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Die Verfolgung und Ermordungen der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Deutsches Reich und Protektorat Oktober 1941-März 1943, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2019, ISBN: 978-3-11-036496-5, 59,95 EURO (D)

Die Edition „Die Verfolgung und Ermordungen der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945“ ist auf insgesamt 16 Bände angelegt, die bis 2020 erscheinen werden. In ihnen wird eine thematisch umfassende, wissenschaftlich fundierte Auswahl von Quellen publiziert. Dieser sechste Band dokumentiert die Verfolgung der Juden im Deutschen Reich und dem Protektorat Böhmen und Mähren vom Beginn der systematischen Deportationen im Oktober 1941 bis zum März 1943.

Mitte Oktober 1941 begann die systematische Deportation der Juden aus dem Zentrum des deutschen Machtbereichs. Tausende wurden in Zügen aus Berlin, Wien, Prag, Paris, Brüssel und anderen Städten in das Ghetto Litzmannstadt, nach Minsk, Kaunas oder Riga, und später direkt in die Vernichtungslager gebracht und dort ermordet. Auch aus dem vermeintlichen Vorzeigeghetto Theresienstadt im Protektorat Böhmen und Mähren, dem eine wichtige Rolle bei der Verschleierung der Vernichtungspolitik zukam, gingen Deportationszüge nach Auschwitz. 

Die 330 Dokumente des Bandes schildern die „Aktivitäten und Reaktionen von Menschen mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen, Überzeugungen und Absichten, an verschiedenen Orten, mit jeweils begrenzten Horizonten und Lebenserfahrungen“. (S.7) So wird die Lage der Juden und den um sich greifenden Schrecken dokumentiert, als die ersten abgeholt wurden und nachdem Lebenszeichen von den deportierten Freunden und Verwandten ausblieben. Geheime Sitzungsprotokolle ebenso wie öffentliche Reden führender NS-Politiker zeichnen die zentralen, in Berlin getroffenen Entscheidungen nach, die den Weg zur Ermordung der europäischen Juden markieren. Zeitungsartikel, Diplomatenberichte und Tagebücher skizzieren die Reaktionen in den nicht besetzten Ländern auf den Beginn der Deportationen und auf die sich in der zweiten Jahreshälfte 1942 verdichtenden Nachrichten von der systematischen Ermordung der Juden. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Situation der Juden im Protektorat Böhmen und Mähren und dort vor allem im Ghetto Theresienstadt, dem als vermeintlichen Alters- und Vorzeigghetto eine wichtige Rolle bei der Verschleierung der Vernichtungspolitik zukam. Dokumente zur so genannten Fabrik-Aktion, der Deportation der jüdischen Rüstungsarbeiter aus Berlin und anderen deutschen Städten. Der Band handelt außerdem von den einigen tausend untergetauchten Juden und denen, die als „Mischlinge“ oder als Partner einer „Mischehe“ von den Deportationen vorerst ausgenommen waren.

Das Buch beginnt mit editorischen Vorbemerkungen. Danach folgt eine mehr als 70seitige „Einleitung“, wo historische Hintergrundwissen zu der behandelten Zeitspanne vom Oktober 1941 bis zum März 1943 gegeben wird. Dabei werden der Krieg gegen die Sowjetunion, die Diskussionen über die „Lösung der Judenfrage“ im Herbst 1941 sowie die Morde an Juden im deutschen Machtbereich behandelt. Außerdem geht es um die Lage der Juden im Deutschen Reich, wobei Sammellager, Erfassungen und Deportationen vermittelt werden. Die Wannseekonferenz und ihre Ergebnisse, die Situation im Protektorat Böhmen und Mähren, das Ghetto Theresienstadt, die Eskalation der Vernichtungspolitik 1942, die Deportationen im Frühjahr 1943 und die Reaktionen darauf kommen ebenfalls zur Sprache. 

Danach folgt das Dokumentenverzeichnis: Im ersten Teil geht es um das Deutsche Reich, im zweiten um das Protektorat Böhmen und Mähren. Diese Einteilung wird auch bei den folgenden abgedruckten Dokumenten beibehalten. Die Dokumente werden in durchnummerierter Reihenfolge abgedruckt. 

Unter anderem werden hier Teile der Rede von Goebbels vom 16.11.1941 abgedruckt, in der er den Juden die Schuld an der Ausweitung des Krieges gibt und ihre Vernichtung rechtfertigt. Oder die Notiz des US-Konsuls in Genf, Paul C. Squire vom 28.9.1942, wo er dargelegt, was er über die Ermordung der europäischen Juden und die Verwendung ihrer Leichen erfahren hat. Ein Gedicht über Theresienstadt der 14jähirgen Hanuk Hachenburg vom 26.2.1943 ist ebenfalls enthalten.

Die halbfett von den Bearbeitern der Bände formulierte Überschrift gibt Auskunft über das Entstehungsdatum des folgenden Schriftstückes, dessen Kernbotschaft, Verfasser und Adressaten. Dann folgen die Dokumente, die in der Regel im vollen Wortlaut abgedruckt werden. Lediglich in Ausnahmefällen, wenn diese sehr umfangreich sind, erfolgt der Abdruck nur teilweise. Per Fußnoten erfolgt eine Edition der darin benutzten Namen, Ereignisse oder Orte.

Im Anhang findet man noch ein Glossar, ein Abkürzungsverzeichnis, ein Verzeichnis der im Dokumententeil genannten Archive, ein systematischer Dokumentenindex, wo sich die angegeben Zahlen auf die Nummern der Dokumente beziehen, ein Register der Institutionen, Firmen und Zeitschriften, ein Ortsregister und ein Personenregister. 

Die Arbeit mit Primärquellen verschafft einen ganz anderen, besseren Zugang als ein zusammenfassendes Lehrbuch. Dies zeigt sich an diesem Band. Die Dokumente zum Deutschen Reich nehmen zwei Drittel des Platzes ein, die zum Protektorat Böhmen und Mähren ungefähr ein Drittel. Die Dokumente sind bewusst nicht systematisch geordnet und haben die Absicht, immer wieder einen Perspektivwechsel herbeizuführen. Dies führt zu einer Achterbahn der Gefühle beim Lesen der Dokumente. Mord, Verfolgung, daneben ein offizielles Schreiben aus der Sicht der Täter, daneben ein Dokument aus der Distanz der nicht eroberten Gebiete. Eine gelungene Methode, auch wenn manche Perspektivenwechsel drastisch sind.

Theoretisches Hintergrundwissen wird zwar ausreichend gegeben, es hätte aber in ein eigenes Kapitel hineingehört und nicht in der Einleitung.  Durch die umfangreichen Register wird eine schnelle Suche gewährleistet. Überhaupt ist der umfangreiche Anhang hervorzuheben. Eine Zeitleiste zum schnellen Nachschlagen fehlt allerdings.

Über Michael Lausberg 572 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.