Die Thesen von Alan Posener:

Von Johannes Paul II. hieß es, er wolle zwei Revolutionen rückgängig machen: die russische und die französische. Joseph Ratzinger war der Chefideologe dieses Kreuzzugs. Als Papst Benedikt XVI. will er ihn zu Ende führen.
Die Anhänger des Papstes reden in diesem Zusammenhang von der »benedettinischen Wende«. Alan Posener analysiert die Elemente dieser geistig-moralischen Umkehr. In deren Zentrum stehen ein Rollback der Aufklärung und eine Kritik der Demokratie. Darum geht der Kreuzzug Benedikts XVI. nicht nur Katholiken an, sondern jeden Bürger und jede Bürgerin eines säkularen Staates. Diesen Kreuzzug zu kritisieren bedeutet vor allem, sich der geistigen Grundlagen unserer Demokratie zu versichern.
Für Benedikt XVI. ist die Geschichte Europas seit der Reformation eine Geschichte des moralischen und geistigen Verfalls, die Aufklärung ein Sündenfall. Er deutet den Begriff der Vernunft um. Die Vernunft, die es jedem erlauben soll, aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszutreten, wird so zu einem Instrument, das die Menschen in Abhängigkeit von der Kirche halten soll.
Den Pluralismus der Demokratie kritisiert Benedikt XVI. als »Diktatur des Werterelativismus«. Damit wird die Leistung der Aufklärung negiert, die den weltanschaulich neutralen Staat hervorgebracht und die Religion zur Privatsache erklärt hat. Indem der Papst behauptet, der »Werterela-tivismus« führe zum ungehemmten Egoismus und zur Auflösung von Familie, Moral und öffentlicher Ordnung, delegitimiert er die Demokratie.
Damit einher geht seine Kampagne gegen die neuzeitliche Naturwissenschaft. Benedikt XVI. rechtfertigt das Urteil in Sachen Galileo Galilei und kämpft gegen den Darwinismus.
Die zahlreichen sexuellen Skandale um Priester und Seminaristen lassen Benedikt XVI. ungerührt. Stattdessen geht er weiterhin gegen Homosexualität und die Emanzipation der Frau als »Kultur des Todes« vor.
Gleichzeitig revidiert der Papst die Geschichte des Holocaust. Den Massenmord an den Juden sieht er nicht als Höhepunkt einer gegen die Aufklärung gerichteten Rassenpolitik, sondern im Gegenteil als auf die Spitze getriebene Aufklärung. Damit verfolgt er neben der Umdeutung der Aufklärung das Ziel, den Anteil des christlichen Antijudaismus am Antisemitismus herunterzuspielen und das moralische und politische Versagen der Kirche vergessen zu machen. In diesem Zusammenhang ist auch die Verschärfung des Tons gegenüber den Juden zu sehen, wie sie in der neuen Karfreitagsfürbitte der Lateinischen Messe ebenso zum Ausdruck kommt wie in der Kapitulation der Kirche vor den antisemitischen Pius-Brüdern.
Der Kreuzzug Benedikts XVI. gegen den »Werterelativismus« und die Moderne erinnert auf unheimliche Weise an entsprechende Bestrebungen im Islam. Er selbst hat wiederholt darauf hingewiesen, dass er den islamischen Widerstand gegen den materialistischen Westen nachvollziehen könne. Mit dem Islam teilt er das Bestreben, die Religion vor Kritik abzuschirmen.

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