Die Täuschungsmanöver der Salafisten – „Die wahre Religion“ als zynisches Lehrstück

Notbremse, Foto: Stefan Groß

„Die wahre Religion“ und die Koran-Verteilungsaktion „Lies!“

 

Der deutsch-Iraker Ibrahim Abou-Nagie gründete im Jahre 2005 in Köln das Missionierungsnetzwerk „Die wahre Religion“. Obwohl er keinerlei theologische Ausbildung vorzuweisen hatte, betätigte er sich als islamischer Laienprediger. Er arbeitete jahrelang mit einem anderen Prediger zusammen – Pierre Vogel. Beide entwickelten sich immer mehr zu Hasspredigern, die immer mehr Gewalt legitimierten oder verherrlichten. Pierre Vogel, Sven Lau und Ibrahim Abou-Nagie wurden bald zu den drei führenden Stars der deutschen Salafistenszene. Ihr Hauptbetätigungsfeld war das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Im Oktober 2011 begann Abou-Nagie mit der erfolgreichen Koran-Verteilungskampagne „Lies!“. Ziel dieser Aktion war, möglichst viele Koranexemplare an Nichtmuslime zu verteilen. Die Aktivisten der Salafistenszene expandierten sich bundesweit und warben für den Islam. In den Fußgängerzonen zahlreicher deutscher Städte fanden regelmäßig solche Werbeaktionen statt. Schwerpunkte waren die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen, Berlin und Hamburg. Insgesamt sollen 3,5 Millionen Koran-Exemplare bei den „Lies!“-Aktionen verteilt worden sein. Schon frühzeitig geriet der Verein „Die wahre Religion“ ins Visier des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamtes. Bald entstand der Verdacht, dass bei den Werbeaktionen nicht nur für den Islam geworben wird, sondern dass auch junge Deutsche als radikale Salafisten für die Ausreise zum IS nach Syrien oder in den Irak rekrutiert werden. Dieser Verdacht erhärtete sich immer mehr zur bitteren Realität. 140 deutsche Dschihad-Ausreisende wurden über die „Lies!“-Aktionen angeworben. Als offensichtlich die Beweislage für Polizeiaktionen und Verbot des Vereins ausreichend erschien, schlugen die Sicherheitsbehörden zu.

 

Großrazzia und Verbot der radikal salafistischen Vereinigung „Die wahre Religion“

 

Am 15. November 2016 erfolgte eine Großrazzia der Polizei in zahlreichen Bundesländern, in der etwa 200 Wohnungen und Büros der radikal-salafistischen Vereinigung „Die wahre Religion“ durchsucht wurden. Dieses islamistische Netzwerk wurde im Jahr 2005 durch den selbsternannten Hassprediger Ibrahim Abou-Nagie gegründet. Jetzt wurde diese Gruppierung „Die wahre Religion“ vom Bundesinnenminister Thomas de Maiziére verboten, weil sie als streng salafistisch gilt, der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nahestehen soll und in Verdacht steht, zahlreiche Deutsche für den IS zur Ausreise in den Irak oder nach Syrien rekrutiert zu haben. Viele Jahre schon wurden Ibrahim Abou-Nagie und Mitglieder des Netzwerkes „Die wahre Religion“ vom Verfassungsschutz beobachtet. Bereits im Jahr 2011 wurde er erstmals von der Kölner Staatsanwaltschaft angeklagt, zu Straftaten und zur Störung des öffentlichen Friedens aufgerufen zu haben. In einem weiteren Verfahren wurde er wegen mutmaßlicher Anstiftung zum Mord angeklagt. Beide Verfahren wurden eingestellt. Mit zur Schau gestellter Harmlosigkeit und mit der Koran-Verteilungsaktion „Lies!“ wurden viele Behörden geschickt getäuscht. Zusammenhänge mit Terror und Gewalt wurden lange abgestritten. Es war ein geschicktes Abwiegeln und Täuschen nach dem Motto: wir sind nur harmlose Muslime und verteilen den Koran. Dass diese vordergründige Harmlosigkeit ein Täuschungsmanöver war, hätte wohl früher auffallen können, zumal ja bereits 2011 eine Anklage wegen Anstiftung zum Mord stattfand. Immerhin hat das Netzwerk „Die wahre Religion“ in der Zeit ihres Bestehens etwa 2000 islamistische Propaganda-Videos ins Internet gestellt und Abou-Nagie hat wiederholt unverhohlen zur Gewalt gegen Ungläubige und Homosexuelle aufgerufen, hat den Märtyrertod gepriesen und den Dschihad verehrt. Dies alles war bekannt – und der Verfassungsschutz sowie die anderen Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden haben „beobachtet“. Gehandelt haben sie nicht. Erst jetzt, nach elf Jahren! Die Haupttäter Ibrahim Abou-Nagie ist mittlerweile entwischt und ist vermutlich in Malaysia. Er wird jetzt sein Unheil an anderen Tatorten fortsetzen.

 

Nun ist man im Nachhinein immer klüger und die Brisanz gewaltbereiter Salafisten ist sicherlich durch die Terroranschläge von Paris, Brüssel und später Deutschland erst mehr ins Bewusstsein gerückt. Vom Verfassungsschutz könnte man jedoch ein entschlosseneres Handeln erwarten.

 

Der Salafistenprediger Ibrahim Abou-Nagie

 

Abou-Nagie wurde 1964 im Flüchtlingslager Nuseirat bei Gaza-Stadt geboren und kam als 18-Jähriger nach Deutschland, um hier Elektrotechnik zu studieren. Er lebt also schon mehr als 30 Jahre in Deutschland und hat schon mehr als 20 Jahre die deutsche Staatsbürgerschaft. Bis 2007 betrieb er eine eigene Firma und hinterzog offensichtlich Steuern. Als er eine Steuernachzahlung von 70000 Euro nicht begleichen konnte, geriet er in die Insolvenz und wurde Hartz-IV-Empfänger. Zwischendurch verdiente er aber offensichtlich viel Geld und lebte in Luxus, bezog aber weiterhin Hartz-IV. Über sein Konto liefen innerhalb von zwei Jahren fast 300 000 Euro, er leaste einen schwarzen Mercedes der C-Klasse und lebte relativ gut. Erst im Jahr 2016 wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er in den Jahren 2010 bis 2012 unberechtigt Sozialleistungen in Höhe von 54 000 Euro bezog. Es ist doch bemerkenswert, wie lange die Behörden brauchen, um effektiv zu handeln. Denn Ibrahim Abou-Nagie war ja bekannt als Gründer eines Salafisten-Netzwerkes, er hatte engen Kontakt mit den anderen salafistischen Hasspredigern Pierre Vogel und Sven Lau und 2007 hat er Steuern hinterzogen. Dass die Anklagen der Staatsanwaltschaft Köln im Jahre 2011 mit erheblichen Straftatbeständen eingestellt wurden ist mehr als bedauerlich. Dass aber nebenbei der Hassprediger das Sozialamt um 54 000 Euro unberechtigte Sozialleistungen betrügen kann, ist schon schwer nachvollziehbar!

 

 

Wölfe im Schafspelz

 

Dass die zur Schau gestellte Harmlosigkeit anfangs nicht als Täuschungsmanöver durchschaut werden konnte, ist lediglich für die Anfangszeit nachvollziehbar. Die Salafisten verteilten den Koran und verherrlichten islamische Botschaften. Spätestens bei den Mordaufrufen gegen Ungläubige oder Homosexuelle hätten doch die Alarmglocken klingeln können. Auch die etwa 2 000 islamistischen Propagandavideos im Internet waren ja dem Verfassungsschutz ebenso bekannt wie die Hinweise auf die Rekrutierung ausreisewilliger Deutscher als Gotteskrieger oder IS-Kämpfer. Das allzu lange „Beobachten“ und „tatenlose Zuschauen“ ermöglichte es den „Wölfen im Schafspelz“, ihr zerstörerisches Werk ungestört auszuüben.

 

Flugtickets in den Tod für Jugendliche

 

Nach den Angaben des Verfassungsschutzes ist die Zahl der radikal-islamistischen Salafisten in den letzten fünf Jahren von 3 800 auf etwa 9 200 gestiegen. Etwa 1 200 davon werden islamistisch-terroristische Aktionen zugetraut. Knapp 900 Deutsche sind nach Syrien oder in den Irak ausgereist, um sich dem IS anzuschließen. Davon seien etwa 140 junge Deutsche über die Koran-Verteilungsaktion „Lies!“ rekrutiert worden. Bekannt geworden ist der Fall des 16-jährigen Enes Ü., der ebenfalls über die „Lies!“-Kampagne rekrutiert wurde, über die Türkei nach Syrien ausreiste und dort bald ums Leben kam. Hier konnte nachgewiesen werden, dass ein ehemaliger Mitarbeiter von Abou-Nagie dem Teenager das Flugticket in die Türkei kaufte.

 

Ein bitteres Lehrstück

 

Bereits in einer Analyse im September 2014 kam der deutsche Verfassungsschutz zu dem Ergebnis, dass ein großer Teil der jungen Deutschen, die zu dem IS nach Syrien oder in den Irak ausreisten, zuvor Kontakt zur „Lies!“-Aktion hatten. Dieser Rekrutierungsweg für Terroristen war also durchaus schon lange vermutet worden und schließlich durch entsprechende Analysen belegt. Auch der Gründer und Haupttäter Ibrahim Abou-Nagie ist zahlreichen deutschen Behörden negativ aufgefallen – den Steuerbehörden (Steuerhinterziehung), dem Sozialamt (Hartz-IV-Betrug), der Staatsanwaltschaft (mehrere Anklagen seit 2011) und natürlich dem Verfassungsschutz, der mit seinen wachen Augen alles jahrelang „beobachtet“. Doch wie ist es mit dem entschlossenen Handeln, der Prävention, dem Verhindern von Straftaten? Die Heuchelei und die Täuschungsmanöver des salafistischen Netzwerkes „Die wahre Religion“ geben uns Deutschen eine bittere Lektion!

 

 

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. H. Csef

Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Zentrum für Innere Medizin

Medizinische Klinik und Poliklinik II

Oberdürrbacher Straße 6

97080 Würzburg

E-Mail-Adresse: Csef_H@ukw.de

 

Über Herbert Csef 153 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.

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