Die Soziobiologie – neuer Sozialdarwinismus eines fatalen naturwissenschaftlichen Irrwegs oder (überlebens)notwendige Theorie der weiteren Evolution des Menschen?

Die Soziobiologie versucht jegliche Formen des Sozialverhaltens bei den sozial lebenden Wesen einschließlich des Menschen auf evolutionstheoretischer Basis plausibel zu erklären. Das wird als Grundlage der heutigen Soziobiologie mit einem gen-zentrierten Ansatz einer Gesamtfitness-Theorie und dem Schlagwort des „egoistischen Gens“ vollzogen. Unter diesem Ansatz wird letztlich das gesamte menschliche Sein gesehen und gedeutet, wobei Geist und Kultur nur als eine „in Schlepptau“ genommene Begleiterscheinung der weiterhin allein wirkmächtigen (egoistischen) Gene verstanden werden. Darin wird die Soziobiologie besonders von geisteswissenschaftlicher Seite aus harsch kritisiert. Ausgehend von einer Meinungsverschiedenheit zwischen Charles Darwin und Alfred Russel Wallace hinsichtlich der Entstehung des menschlichen Geistes in der Evolution kann durch die später ermöglichte Auflösung dieses Problems durch Konrad Lorenz gezeigt werden, dass der heutigen Soziobiologie genau dieses historische Problem zugrundeliegt. Mit dem Ansatz und der Lösung von Lorenz erweist sich die große Kritik an der Soziobiologie auch von naturwissenschaftlicher Seite aus als vollkommen berechtigt. Zudem hat sich zwischenzeitlich der Namensgeber der Soziobiologie, E.O. Wilson, von der Gesamtfitness-Theorie und der Hamilton-Ungleichung klar distanziert, indem er diese Grundlage der Soziobiologie für einen Irrweg und Methodenfehler hält. Geist und Kultur des Menschen können von diesen Erkenntnissen her nicht unter den »alten« evolutiven Gesetzmäßigkeiten der Gene und der genetischen Vererbung gedeutet werden, wie das leider auch schon Darwin in Ablehnung der neuen Ideen von Wallace versuchte. Statt einer „genetischen Fitness“ und eines „gen-zentrierten“ Ansatzes ist gemäß der Erkenntnis von Lorenz vielmehr eine »geistige Fitness« und ein »geist-zentrierter Ansatz« gefragt. Dieser Irrweg der Soziobiologie ist in der heutigen Zeit, in der die Menschheit als biologische Art an die Grenzen ihres Lebensraumes stößt, nicht mehr nur eine theoretische Angelegenheit.

Die Meinungsverschiedenheit zwischen Darwin und Wallace und die Mängel ihrer Erklärungsversuche hinsichtlich der Entstehung des menschlichen Geistes in der Evolution
Darwin selbst stellt in einer Fußnote seines Buches „Die Abstammung des Menschen“ mit einem Zitat von J. Lubbock heraus, „daß Mr. Wallace 'mit charakteristischer Selbstlosigkeit dieselbe (nämlich die Idee der natürlichen Zuchtwahl) ohne Rückhalt Herrn Darwin zuschreibt, trotzdem es bekannt ist, daß er diese Idee ganz selbständig erfaßt und sie, wenn auch nicht ebenso ausgearbeitet, zu derselben Zeit veröffentlicht hat'“ (Darwin 2002, 300). Die zu dieser Fußnote gehörende Textstelle in Darwins Buch enthält allerdings eine Kritik an Wallace, denn Darwin sagt dort: „Ich kann daher nicht verstehen, wie Mr. Wallace behaupten kann67, daß 'natürliche Zuchtwahl den Wilden nur mit einem Gehirn hätte versehen können, das dem eines Affen wenig überlegen wäre.'“ (Darwin 2002, 56). Zu dieser Auffassung von Wallace sagt Darwin in dieser Fußnote noch weiter, dass diese jeden überraschen müsse, der einen früheren Aufsatzes von Wallace aus dem Jahre 1864 gelesen habe.
Diese sich zunächst nebensächlich und harmlos anhörende Kritik findet eine nähere Erklärung in einem Brief vom 24.03.1869 von Wallace an Darwin, in dem Wallace einen Zeitschriftenartikel ankündigt, in dem er es zum ersten Mal wage, einige Begrenzungen der Macht der natürlichen Selektion zu setzen („I venture for the first time on some limitations to the power of natural selection.“). Wallace erkennt einen gravierenden Mangel in der Erklärung des menschlichen Geistes durch die natürliche Selektion, wobei er den Weg einschlägt, diesen Mangel durch die Heranziehung übernatürlicher Ursachen lösen zu wollen. In seiner Antwort vom 27.03.1869 sagt Darwin dazu (noch in Unkenntnis des Artikels), dass er hoffe, Wallace habe nicht ihr gemeinsames Kind (die natürliche Selektion) damit vollständig umgebracht („I hope you have not murdered too completely your own & my child.“). Nach Kenntnis des Artikels äußert Darwin in einem Brief vom 14.04.1869 erstaunt, dass er nicht glauben würde, dass diese Gedanken von Wallace stammen, wenn dieser es ihm nicht selbst geschrieben hätte. Darwin distanziert sich in dieser Frage der Entstehung des menschlichen Geistes in der Evolution eindeutig und „schmerzlich“ von Wallace: „If you had not told me I shd have thought that they had been added by some one else. As you expected I differ grievously from you, & I am very sorry for it. I can see no necessity for calling in an additional & proximate cause in regard to Man.“ Im nächsten Satz sagt Darwin, dass diese Angelegenheit für den brieflichen Austausch nicht geeignet ist. Er dankt Wallace für seine Meinung und erwähnt, dass er selbst nun viel über den Menschen denkt und schreibt. Zwei Jahre später finden diese Gedanken ihr Ergebnis in Darwins Buch über die Abstammung des Menschen mit der oben zitierten Kritik an Wallace.
Wallace baut seine Erklärung des menschlichen Seins durch einen übernatürlichen Eingriff in der Folge weiter aus und wird zum Spiritualist. Er vertritt dann hinsichtlich der späteren Lösung dieses Problems durch Lorenz nicht nur die interessante Überzeugung, dass das bisherige Verständnis der natürlichen Selektion nicht zum mathematischen, künstlerischen oder musikalischen Genius, sowie zu metaphysischen Gedanken, Geist und Humor führen könne, sondern darüber hinaus behauptet er in seinem Buch „Darwinism“, das 1889 erschien, dass etwas im unsichtbaren Universum des Geistesmindestens drei Mal während der Evolution eingegriffen haben muss, und zwar im Fall der Schöpfung von Leben aus anorganischer Materie, der Einführung von Bewusstsein bei höheren Tieren und eben bei der Bildung höherer mentaler Fähigkeiten beim Menschen. Konsequenterweise führt das bei Wallace auch zu einer teleologischen und anthropozentrischen Überzeugung, nämlich dass der Grund für das Sein des Universums die Entwicklung des menschlichen Geistes sei.
Darwin teilt diese neue Ideen von Wallace in seinem Buch „Die Abstammung des Menschen“, wie es die oben genannte kritische Aussage zu Wallace zeigt, auch ansonsten später in keiner Weise, sondern verwendet in seinem Buch im Gegenteil größte Mühe darauf, zu zeigen, dass sich der Geist und die Fähigkeiten des Menschen langsam und rein natürlich aus dem Tier-Sein entwickelt haben und dass es schon bei den Tieren erste Anfangsformen der dadurch nicht so neuen Fähigkeiten des Menschen gegeben habe. Darwin vertritt sogar die Auffassung, dass „bei der Bestimmung der Stellung des Menschen innerhalb des natürlichen oder genealogischen Systems die außerordentliche Entwickelung seines Gehirns nicht schwerer wiegen [sollte] als eine große Anzahl von Ähnlichkeiten in anderen, weniger wichtigen oder ganz unbedeutenden Punkten“ (Darwin 2002, 193). Vielleicht ist diese bemühte Abgrenzung von den neuen Ideen von Wallace sogar der Grund dafür, dass Darwin sich verstärkt auf die Annahme der Vererbung erworbener Eigenschaften von Lamarck stützt, denn dann sind die neuen Eigenschaften des Menschen auf natürliche Weise darin so fixiert wie alle anderen Eigenschaften auch und die Versuchung ist geringer, wie Wallace übernatürliche Erklärungen für die herausragenden geistigen Fähigkeiten des Menschen heranzuziehen.
Darwin ignoriert auf diese Weise die Erkenntnis von Wallace, dass der Geist beim Menschen einen zu großen Sprung gemacht haben soll, um das mit dem bisherigen Verständnis der natürlichen Selektion erklären zu können. Er erklärt auf diese Weise zwar die geistigen und kulturellen Eigenschaften des Menschen im Gegensatz zu der neuen Idee von Wallace weiterhin strikt über genau die natürliche Zuchtwahl und Vererbung, mit der auch alles andere in der Evolution entstanden ist, stößt damit aber schnell an die Grenzen dieser Erklärung. Das stellt er selbst fest, als er sich mit der Kritik auseinandersetzt, warum nicht „die alten Griechen, die intellekt höher standen als irgend eine andere Rasse26, noch weiter fortgeschritten und immer zahlreicher geworden wären und schließlich ganz Europa eingenommen haben würden, wenn die Kraft der natürlichen Zuchtwahl tatsächlich und nicht illusorisch wäre“ (Darwin 2002, 181). Er kann es sich nur so erklären, dass es irgendwie an dem Mangel an Eintracht, der geringen Ausdehnung ihres Landes, der dort herrschenden Sklaverei oder der extremen Sinnlichkeit gelegen haben muss, bis sie „entnervt und bis in innerste Mark verderbt waren“ (Darwin 2002, 182). Jenseits dieser mangelhaften Erklärungen steht für ihn nur fest (da sich beide Völker ja nicht durch die Fortpflanzung beeinflussten): „Die westlichen Völker Europas, die ihre früheren wilden Vorfahren so ungeheuer überragen und auf dem Gipfel der Zivilisation stehen, verdanken wenig oder nichts von ihrer Superiorität als unmittelbares Erbe den alten Griechen, wenn sie auch den Schriftwerken dieses hervorragenden Volkes viel verdanken“ (Darwin 2002, 182).
„Ein noch dunkleres Rätsel ist das Erwachen der europäischen Völker aus dem Dunkel des Mittelalters“ (Darwin 2002, 182), denn die zu dieser Zeit alles beherrschende Kirche verlangte von den damals ja noch „Wilden“, und zwar ausgerechnet von den „weicheren, der beschaulichen Betrachtung und der Bildung des Geistes ergebenen Naturen“ (Darwin 2002, 182) den Zölibat, so dass dadurch gemäß der Theorie von Darwin jede folgende Generation geschädigt werden musste (mit dem heutigen Begriff hätte die Fitness der Gene dadurch abgenommen). Diejenigen der Wilden, die wenigstens etwas über Geist und Kultur verfügten, wurden so im Verständnis Darwins von der Vererbung noch ausselektiert, so dass bei den Wilden noch weniger Geist und Kultur vererbt wurde als zuvor. Als wäre das nicht genug, wurden zudem von der Kirche und der Inquisition mit äußerster Sorgfalt alle die sonstigen freiesten und kühnsten Geister als wertvollste Menschen, die als Zweifler und Forschende allein den kulturellen Fortschritt herbeiführen konnten, verfolgt und durch Feuertod oder Einkerkerung unschädlich gemacht (vgl. Darwin 2002, 182). „Und trotzdem ist Europa in unvergleichlicher Weise emporgestiegen“ (Darwin 2002, 182). Wie konnte das sein, da ja die genannten Umstände gemäß dem Verständnis von Darwin über natürliche Selektion und Vererbung hinsichtlich Geist und Kultur eher einen weiteren Rückfall der Germanen usw. in noch größerer Wild- und Rohheit zur Folge haben müssten und nicht einen unvergleichlichen Aufstieg von Geist und Kultur? Hatten also doch übernatürliche Mächte hier die Hand im Spiel?

Die Auflösung der evolutiven Deutung des menschlichen Geistes durch Konrad Lorenz
Im Sinne dieser Auflösung der Meinungsverschiedenheit und des Problems zwischen Darwin und Wallace hinsichtlich der Deutung des menschlichen Geistes ist Darwin dieser Lösung schon sehr nahe, wenn er im Zusammenhang mit den alten Griechen leider nur beiläufig erwähnt, dass die aufgestiegenen westlichen Völker Europas „auch den Schriftwerken dieses hervorragenden Volkes viel verdanken“. Als mindestens ebenso so hilfreich erweist sich jedoch der Einwand von Wallace, dass der große Abstand zwischen den höchsten Tieren und den Menschen, ebenso wie manche andere Entwicklungssprünge in der Evolution, nicht allein mit dem einfachen Verständnis der natürlichen Selektion erklärt werden können. Doch die Annahme von Wallace, dass dafür übernatürliche Ursachen verantwortlich seien, ist falsch.
Die evolutive Entwicklung ist nicht gänzlich gleichförmig abgelaufen, sondern sie besitzt Lorenz nach die Struktur eines geschichteten Systems und darin ganz bestimmte, aber rein natürliche Gesetzmäßigkeiten. Lorenz stützt sich hier auf den Philosophen Nicolai Hartmann, dem nach es „gewisse Grundphänomene unüberbrückbarer Andersheit im Stufengange der Realgebilde“ gibt, wobei „eine phänomengerecht angelegte Kategorielehre diese Einschnitte ebenso sehr berücksichtigen [muss] wie die Seinszusammenhänge, die über sie hinweggreifen“ (Lorenz 1987, 57). Diese Grundphänomene sind die vier großen Schichten des evolutiven Seins: das Anorganische (Materie), das Organische (Pflanzen), das Seelisch-Emotionale mitsamt des Raum-Bewusstseins (Tiere) und das Geistige (Menschen). Weiter zitiert Lorenz dazu Hartmann: „So erhebt sich die organische Natur über der anorganischen. Sie schwebt nicht frei für sich, sondern setzt die Verhältnisse und Gesetzlichkeiten des Materiellen voraus; sie ruht auf ihnen auf, wenn schon diese keineswegs ausreichen, das Lebendige auszumachen. Ebenso bedingt ist seelisches Sein und Bewußtsein durch den tragenden Organismus, an und mit dem allein es in der Welt auftritt. Und nicht anders bleiben die großen geschichtlichen Erscheinungen des Geisteslebens an das Seelenleben der Individuen gebunden, die seine jeweiligen Träger sind. Von Schicht zu Schicht, über jeden Einschnitt hinweg, finden wir dasselbe Verhältnis des Aufruhens, der Bedingtheit >von unten< her, und doch zugleich der Selbständigkeit des Aufruhenden in seiner Eigengeformtheit und Eigengesetzlichkeit“ (Lorenz S. 57, 58).
Das Besondere dieser Eigengesetzlichkeit einer neuen Schicht ist, dass „damit schlagartig völlig neue Systemeigenschaften [entstehen], die vorher nicht, und zwar auch nicht in Andeutungen, vorhanden gewesen waren“ (Lorenz 1987, 49). Lorenz veranschaulicht das als Zusammenschalten einer Spule mit einem Kondensator, wodurch elektrische Schwingungen entstehen, die weder in einer Spule noch einem Kondensator auch nur ansatzweise zu finden sind. Gleiches gilt dann für die Entstehung von Leben aus Materie oder (räumliches) Bewusstsein aus dem pflanzlichen Sein. Dieses plötzliche, schlag- oder blitzartige Entstehen völlig neuer Eigenschaften, das darin zunächst unwillkürlich als übernatürlicher Eingriff erscheint, umschreibt Lorenz mit dem Begriff „Fulguration“ (lat. fulgur = Blitz).
Die „Bedingtheit von unten her“ bedeutet, dass sich einerseits auch das Sein des Menschen wie alles zuvor in der Evolution rein natürlich mit der Selektion entwickelt hat. Doch dann wird bei dem Tier, aus dem sich schließlich der Mensch entwickelt, etwas mehr und mehr ausgebaut, und zwar die auch schon bei den Tieren vorhandene immer komplexere neuronale Verarbeitung der Sinneswahrnehmungen, was darin schon Darwin sehr treffend folgendermaßen beschreibt. Er sieht das Gehirn des Menschen als „wunderbare Maschine, die allen Arten von Dingen und Eigenschaften Zeichen beilegt und Gedankenreihen wachruft, die niemals durch bloße Sinneseindrücke entstehen könnten, oder, wenn dies der Fall wäre, doch nicht weiter verfolgt werden könnten“ (Darwin 2002, 268), wobei daraus „die höheren intellektuellen Fähigkeiten, wie das Schließen, Abstrahieren, das Selbstbewußtsein usw., entstanden“ (Darwin 2002, 268).
Der Mensch abstrahiert jedoch nicht nur seine Sinneswahrnehmungen, was als einfache neuronale Weiterverarbeitung der Sinneswahrnehmungen auch schon Tiere vollbringen, sondern er kann diese Abstraktionen als „Zeichen“ dann auch vollkommen unabhängig von den Sinneswahrnehmungen systematisch mit einer den physischen Vorgängen analogen Gesetzmäßigkeit oder »Logik« verwenden, also darin Dinge oder Situationen zunächst nur abstrakt im Geiste durchspielen oder planen, neue Zusammenhänge herstellen usw. (wobei wir diese rein natürlichen Vorgänge der neuronalen Abstraktionen genauso als Geist empfinden, wie wir andere physiologische Vorgänge etwa als Farbe, Geräusche oder Gerüche empfinden). Nur mit dieser neuen geistigen Fähigkeit des Menschen konnte das Schaffen und der Gebrauch von Waffen, Werkzeugen, Booten, Kleidung, des Anbaus von Pflanzen, der Haltung von Tieren usw. verwirklicht und bis zum heutigen Stand immer weiter ausgebaut werden.
Darwin erkennt zwar hier wie zitiert diese eigentliche Fähigkeit zur systematischen Abstraktion beim Menschen, aber er erkennt darin leider nicht die völlig neue Form des Seins und der Entwicklung und verleiht ihr nicht die Wertigkeit wie es Lorenz und auch Wallace tun, wenn der letztere etwa zu der erstaunlichen neuen Fähigkeit des Menschen feststellt, dass „'dort ein Instrument entwickelt [wurde], das den Bedürfnissen seines Besitzers vorauseilt'“ (Eiseley 1959, 101), an instrument beyond the needs of its possessor“, wie es in dem Essay „The Limits of Natural Selection as Applied to Man“ aus dem Jahre 1870 von Wallace heißt. Leider nimmt Wallace aber wie gesagt angesichts dieser alles überragenden neuen Fähigkeiten einen übernatürlichen Eingriff an. Wahrscheinlich verlegt sich Darwin dadurch noch mehr auf Erklärungen der Gegenrichtung unter Betonung und sozusagen »Verschluss« der bis dahin erkannten natürlichen Gesetzmäßigkeiten und schließt sich sogar der Meinung von Huxley an, dem nach „es durchaus nicht berechtigt [ist], den Menschen in eine besondere Ordnung zu stellen“ (Darwin 2002, 194).
Lorenz ordnet dagegen später dieser Geburt des Geistes in dem Tier, aus dem sich dadurch der Mensch entwickelt, ähnlich wie Wallace, nur auf rein natürliche Weise, im konträren Gegensatz zu Darwin sogar dieselbe Bedeutung zu wie der Entstehung des Organischen oder Lebendigen aus dem Anorganischen, also wie dem Evolutionsprozess selbst, sozusagen als eine »Evolutionstheorie 2.0«. Lorenz sagt so über diese beiden Ereignisse, bzw. wie er es nennt, „Fulgurationen“ als blitzartiges Entstehen völlig neuer Eigenschaften: „Die Parallelen – fast möchte man sagen: die Analogien -, die zwischen diesen beiden größten Fulgurationen bestehen, die sich in der Geschichte unseres Planeten je ereignet haben, regen zu tiefstem Nachdenken an“ (Lorenz 1987, 216). Lorenz erkennt im geistigen Sein des Menschen nichts geringeres als eine verbesserte Neuerfindung dessen, was Evolution ist, trägt und bedingt, nur jetzt plötzlich auf eine andere Weise, wenn er sagt: „Während all der gewaltigen Epochen der Erdgeschichte, während deren aus einem tief unter den Bakterien stehenden Vor-Lebewesen unsere vormenschlichen Ahnen entstanden, waren es die Kettenmoleküle der Genome, denen die Leistung anvertraut war, Wissen zu bewahren und es, mit diesem Pfunde wuchernd, zu vermehren. Und nun tritt gegen Ende des Tertiärs urplötzlich ein völlig anders geartetes organisches System auf den Plan, das sich unterfängt, dasselbe zu leisten, nur schneller und besser. […] Es ist daher keine Übertreibung zu sagen, dass das geistige Leben des Menschen eine neue Art von Leben sei“ (Lorenz 1987, 217).
Die von Lorenz genannten, zum tiefen Nachdenken anregenden Parallelen oder Analogien bestehen darin, dass analog zum alten System auch in dem neuen, geistigen System »Mutationen« stattfinden, nur ist das hier nichts anderes als das Denken, d.h. auf dieser geistigen Ebene werden schon vor einer Handlung auf der körperlichen Ebene verschiedene Lösungsmöglichkeiten eines Problems in den von Darwin so treffend beschriebenen „Zeichen“, Abstraktionen oder Begriffen – die in letzter Hinsicht wie bei den Mutationen rein zufällig entstehen – durchgespielt, ausprobiert oder eben durchdacht. Es geschieht also hier auf der geistigen Ebene vom grundlegenden Prinzip, Wesen oder Ziel des Evolutionswirkens her genau dasselbe, was im alten System mit den Lebewesen selbst getan wird, bis die beste, angepassteste und vernünftigste Lösung des Verhaltens schließlich »selektiert« wird, sowohl vom Individuum als dann auch von der Gesellschaft. Erst nach der »Selektion« findet im neuen geistigen System diese Lösung ihre Anwendung im Handeln des Individuums, wird gleichzeitig im Gehirn gespeichert und kann über die Sprache sekundenschnell an andere Individuen weitergegeben und bei diesen angewendet und gespeichert werden.
Dabei erweisen sich diese Ideen, wie etwa als religiöse oder politische Idee bzw. allgemein als die von Hartmann genannten „großen geschichtlichen Erscheinungen des Geisteslebens“, letztlich genauso langlebig und stabil wenn nicht sogar stabiler als die Informationen auf der Gen-Ebene, denn auch die neuronalen Informationen werden tradiert. Beide Prozesse sind in dieser Weise „einander in geheimnisvoller Weise ähnlich“, wie es Lorenz oben zitiert treffend sagt und mit der Erkenntnis von Wallace hat sich hier tatsächlich etwas entwickelt, was die Erfordernisse des ursprünglich animalischen Wesens sozusagen auf ähnliche Weise übersteigt, wie das Leben die Erfordernisse des materiellen Seins. In diesem Sinne hat der Mensch bis heute dieses geistige Potential noch lange nicht ausgeschöpft, insbesondere dadurch nicht, indem er seinen Lebenssinn weiterhin in eher animalischen Verhaltensweisen und Werten sieht.
Dieses neue Vermögen bringt so nicht nur die Fähigkeit zur immer diffizileren Herstellung von Werkzeugen, Waffen usw. hervor, sondern der Mensch kann darüber auch sein sonstiges Verhalten ändern und anpassen (was eine bestimmte Lockerung der angeborenen, instinkthaften Verhaltenssteuerung als »Freiheit« voraussetzt). Die Anpassung eines Verhaltens, zu dem die genetische Selektion viele Jahre unter großem Leid und Tod der dabei selektierten Wesen benötigen würde, ist mit der neuen Fähigkeit im Idealfall innerhalb von Sekunden auf geistige Weise und darin gleichzeitig durch die abstrakte, geistige Lösungsfindung im wahrsten Sinne des Wortes sehr human zu bewerkstelligen. Das ist, als das von Lorenz genannte „schneller und besser“, ein wahrer Quantensprung hinsichtlich der Entwicklung, Änderung und Anpassung von Verhaltensweisen, das darin völlig neue Arten des Verhaltens wie etwa im Werkzeuggebrauch ermöglicht. Ohne die von Lorenz gefundene natürliche Erklärung müsste das ansonsten tatsächlich wie ein übernatürlicher Eingriff erscheinen.
Diese geistigen Fähigkeiten verbinden die Mensch über die Sprache auch untereinander bzw. in diesen geistigen Fähigkeiten kann sich der Mensch mit anderen Individuen abstimmen und unter einer gemeinsamen Idee, wie in der Religion oder etwa heute auch der Politik usw., zu einer geistigen Einheit »zusammenschalten«. Es geschieht so das, was die Evolution analog dazu in Form der Zellen, Individuen und Gruppen von Individuen als Rudel, Stämme usw. auf genetische und physische Weise hervorgebracht hat, nun mit einer sich selbst erhaltenen Systematik und Dynamik auf der geistigen Ebene. So wie ein Individuum auf der körperlichen Ebene des Seins existiert, auch wenn seine Zellen dauernd erneuert und ausgetauscht werden, so existiert eine Religion, eine politische Partei, eine Gesellschaft als bestimmte Form des Zusammenlebens als Demokratie usw., auch wenn die sie tragenden Individuen mit der Zeit ausgetauscht werden. Im Sinne des Leben definierenden Autopoiese-Begriffes (den in der Soziologie Niklas Luhmann vertritt) als sich selbst erhaltene Organisation des Lebendigen ist das nach den biologischen Zellen als 1. Ordnung, den Metazellen als 2. Ordnung und nun auf der geistigen Ebene die 3., letzte und »höchste« Ordnung des autopoietischen Systems.
Die Eigengesetzlichkeit dieses letzten autopoietischen Systems zeigt sich konkret etwa darin, dass es bei den Mönchen in einer Religion oder den in einem Krieg sterbenden Soldaten (aber auch außerhalb dieser Extremfälle, wenn Menschen ihr Sein und ihren Lebenssinn irgendwie in den Dienst eines geistig-kulturellen Seins oder einer Idee stellen) nicht mehr um das bloße Sein und Überleben der Gruppe, des Individuums oder gar der Gene auf der körperlichen Ebene geht, sondern um das neue geistige Phänomen der Idee und Organisation einer Religion, Staatsform, eines Vereins usw. Darauf liegt in diesen Fällen dann auch teilweise bis vollständig die Identität des zu Geist und Kultur fähigen Individuums und das Wirken der dazu gehörenden weiteren und aktuellen evolutiven Entwicklung. Leider kann der Mensch allgemein bis heute jedoch nicht den natürlichen Zusammenhang zwischen der großen Besonderheit und Eigengesetzlichkeit seines geistigen Seins mit der vorangegangenen Evolution herstellen. Entweder sieht er hier wie Wallace übernatürliche Kräfte am Werk oder er ignoriert wie schon Darwin bzw. die heutige Soziobiologie die Eigenart des geistigen Seins und versteht es allein unter den Gesetzmäßigkeiten des genetischen Seins.
Die wirkenden Gesetzmäßigkeiten auf der neuen geistig-kulturellen Ebene widersprechen oftmals direkt denen der genetischen Ebene, besonders wenn wie im Fall der zölibatär lebenden Mönche einer viele verschiedene Völker umfassenden Religion oder den sich opfernden Soldaten in einem Krieg zwischen großen, viele Völker umfassenden verschiedenen Gesellschaftssystemen die Gen-Sequenzen dieser Individuen dabei einfach aussterben oder ausselektiert werden, ohne irgendeinen von der Soziobiologie postulierten genetischen Verwandtennutzen. Ohne Berücksichtigung des neuen Nutzens und der neuen Lebensform auf der geistig-kulturellen Ebene würde dieses Verhalten als sinnloser genetischer Selbstmord und gänzlicher Widerspruch zu dem alten Gesetz der genetischen Fitness erscheinen. Mensch-Sein bedeutet so vor allem Leben und Sein in dieser neuen, jüngsten und geistig-kulturellen autopoietischen Ordnung und Seinsform, auch wenn das weiterhin von den darunter liegenden Ordnungen oder Schichten abhängig ist und viele Menschen in diesem aktuellen großen evolutiven Umbruch weiterhin ihre Identität noch allein oder vorwiegend mit ihrer körperlichen Erscheinung und dem entsprechenden materiellen Werten verbinden.

Der krasse Kategorienfehler der heutigen Soziobiologie
Die Soziobiologie benutzt die ältere Ethologie (die klassische vergleichende Verhaltensforschung) als Grundlage, versucht jedoch stärker als diese über die Beschreibung des Verhaltens hinauszugehen und die Mechanismen gesetzmäßig und u.a. auch mathematisch nachzuvollziehen und so zu fassen, die beim sozialen Verhalten wirken. Während in der klassischen Verhaltensforschung, wie sie etwa Konrad Lorenz betrieben hat, die Selektion nicht nur am Individuum, sondern auch an der Gruppe, der Population oder der Art wirkt, sieht die Soziobiologie das Wirken der Selektion ausschließlich am Individuum (vgl. Voland 2013, 8). „In individualselektionistischer Sicht sind Gruppen und Arten letztlich Epiphänomene biologisch evolvierter individueller Lebens- und Reproduktionsinteressen und nicht etwas genuine Angriffsfläche und Modulliermasse der natürlichen Selektion. […] Gruppendienliche Strategien [werden] »gen-egoistisch« aufgefasst“ (Voland 2013, 9).
Geist und Kultur werden in der Soziobiologie nur als Imitation gedeutet, als ein „»imitiere die Erfolgreichen!«“ (Voland 2013, 216), also die genetisch erfolgreichen, so dass „Kul­turgeschichte begann, als das survival of the fittest ein Imitation of the fittest ins Schlepptau nahm“ (Voland 2013, 216). „Diese Überlegungen stellen den Versuch dar, Kul­turtheorien konsequent an die »Theorie des egois­tischen Gens« anzubinden“ (Voland 2013, 217), Menschen sind in diesem Verständnis nur „vergängliche »Überlebensmaschinen«“ der genetischen Programme (vgl. Voland 2013, 2). „Fazit: Wenn Menschen sozial konkurrieren, konkurrieren sie zugleich um genetische Fitness“ (Voland 2013, 63). Nicht die geistige Fitness ist hier für den Menschen als Fortgang der Entwicklung relevant, sondern weiterhin wie bei den Tieren die genetische Fitness.
Bezeichnenderweise kann die Soziobiologie jedoch nicht einmal eindeutig benennen, was sie dabei eigentlich unter genetischer Fitness versteht. Voland schreibt dazu: „Angesichts der Tatsache, dass »Fitness«, genauer »differenzielle Fitness«, die zentrale Erklärungsformel der Evolutionstheorie ist und angesichts der Tatsache, dass sich dieser Umstand in dem berühmt-berüchtigten Slogan vom survival of the fittest geradezu schlagwortartig verdichtet hat, was theoretische Klarheit suggeriert, darf man schon überrascht sein, wenn Experten kleinlaut zugeste­hen müssen, dass der empirisch-quantitative Um­gang mit dem Konzept ausgesprochen sperrig ist. Nach wie vor ist unklar und deshalb höchst um­stritten, wie Fitness eigentlich zu messen sei (z. B. Hunt und Hodgson 2010)“ (Voland 2013, 7).
Bei der Hinterfragung dieser zentralen Erklärungsformel der Soziobiologie erweist sich auch eine andere Annahme als doch nicht so eindeutig und gesichert, wie zunächst dargestellt. Die Soziobiologie hat axiomatisch festgelegt, dass die Evolution nur am Individuum wirkt und nicht wie von der Verhaltensforschung angenommen, auch an der Art oder der Gruppe. Zu dieser ihrer Festlegung heißt es dann jedoch: „Die Gründe für diese Unsicherheit sind vielfäl­tig und hängen nicht zuletzt damit zusammen, dass mal Merkmalen, mal Individuen und mal Allelen eine Fitness zugeschrieben wird“ (Voland 2013, 7).
Bei diesen Unsicherheiten verfällt man auf folgende pragmatische und auf den ersten Blick scheinbar sehr einleuchtende und leicht erkennbare Lösung: „Vor allem aber ist der wissenschaftstheoretische Status von Fitness nicht eindeutig geklärt. Handelt es sich dabei um eine messbare Eigenschaft (was wir weiter oben verworfen haben), ein Wahrscheinlichkeitsmaß für zukünftigen Lebens- und Reproduktionserfolg oder um eine Relation? Als pragmatische Reaktion auf diese unbefriedigende Sachlage verzichten vie­le Soziobiologen darauf, Fitness messen zu wollen. Stattdessen bemühen sie sich um empirische Kenn­größen, von denen angenommen werden kann, dass sie gute Schätzer für Fitness abgeben. Häufig geht es um den Lebensreproduktionserfolg von In­dividuen, also um die Frage, wie viele überlebende Nachkommen jemand hinterlassen hat“ (Voland 2013, 7).
Das Maß dafür, wie erfolgreich oder eben fit der Mensch ist, wird also einfach an der Anzahl seiner Nachkommen festgemacht, je mehr Kinder ein Mensch hat, umso erfolgreicher ist er im soziobiologischen Verständnis, wobei Geist nur als Imitation des genetisch Fitten und Erfogreichen verstanden wird. Wie schnell diese Annahme in eine Sackgasse führt, erkennt dann Voland selbst an einem konkreten Beispiel. Dazu stellt er zunächst fest: „Der in al­len daraufhin untersuchten historischen und tra­ditionellen Gesellschaften regelmäßig gefundene überdurchschnittliche Reproduktionserfolg sozial erfolgreicher Männer gründet ganz wesentlich auf dem, was man ihren Paarungserfolg nennen kann, und dies wiederum ist Ausfluss weiblicher Partnerwahl-Präferenzen (vergl. Abschn. 3.1)“ (Voland 2013, 61). Zweifellos ist diese Feststellung hinsichtlich der historischen und tra­ditionellen Gesellschaften richtig, ja er ist kennzeichnend schon für das animalische Sein, bei dem sich gemäß den dort herrschenden Bedingungen nur die körperlich Stärksten fortpflanzen. Diese als Gesetzmäßigkeit der früheren genetischen Evolution anzusehende Regel der Reproduktion des sozial Stärksten wird in der Soziobiologie entsprechend ihrem gen-zentrierten Ansatz wie selbstverständlich auf den Menschen übertragen.
Allerdings macht die Verhütung hier der Soziobiologie einen Strich durch die Rechnung. Voland sagt dazu: „Perfekte Verhütung verhin­dert möglicherweise, dass heutzutage erfolgreiche Männer tatsächlich mehr Kinder zeugen, obwohl sie – wie ihre geschichtlichen Vorgänger – häufi­ger sexuellen Kontakt zu mehr Partnerinnen haben (Abb. 2.17). Die evolvierten Mechanismen der Verhaltenssteuerung sind also nach wie vor ver­haltensbestimmend, lediglich ihre Fitnessvorteile, wegen derer sie evolviert sind, haben sich mögli­cherweise verflüchtigt“ (Voland 2013, 61), so dass dieses Verhalten „unter den Bedingungen der modernen Indus­triegesellschaft […] anders als in den historischen Milieus möglicherweise keine Fitnessunterschie­de mehr nach sich zieht“ (Voland 2013, 61). Voland findet aber eine Untersuchung, die die Theorie der Soziobiologie doch noch bestätigt, nämlich die männlichen, ausdrücklich nicht die weiblichen, Beschäftigten der Universität Wien, deren Kinderzahl mit dem Einkommen steigt (vgl. Voland 2013, 61), so dass hierin das soziobiologische Gesetz, dem nach sozial erfolgreiche Individuen auch beim Menschen genetischer fitter sind und dadurch mehr Kinder zeugen, scheinbar erhalten bleibt. Dass das nur eine Ausnahme sein könnte, da der allgemeine Trend dahin geht, dass gerade sozial erfolgreiche Individuen in der modernen Gesellschaft in der Regel weniger Kinder haben als die sogenannte Unterschicht, wodurch sich nicht nur möglicherweise die Theorie der genetischen Fitness verflüchtigt, darauf geht Vollmer nicht näher ein. Das ist schade, denn dieser empirische Widerspruch würde zu der Erkenntnis führen, dass der Ansatz der Soziobiologie hinsichtlich des Menschen falsch ist.
Die grundlegende Erkenntnis von Konrad Lorenz, dass Geist beim Menschen eine völlig neue Art des Lebens und der Evolution ist, und dass von daher die Genetik und die Anzahl der Kinder beim Menschen und seiner weiteren evolutiven Entwicklung gar keine Rolle mehr spielen, dass statt genetischer Fitness vielmehr die geistige Fitness gefragt ist, das kann in der Soziobiologie entsprechend ihrem Ansatz keine Beachtung finden. Das exklusiv und grundlegend Besondere des menschlichen Seins in der Evolution hat die Soziobiolgie im Gegensatz zu Lorenz nicht erkannt. Sie hält damit genau wie Darwin im Fall des Menschen an alten Erkenntnissen und Gesetzmäßigkeiten fest, die zwar für die genetische Evolution der Tiere gelten, aber nicht mehr für das eigentlich menschliche Sein in seiner weiteren geistigen Entwicklung. Hierbei ist noch zu bedenken, dass die Reichsten und Mächtigsten, denen in der Soziobiologie mit ihrem Ansatz eine hohe genetische Fitness zuschreibt, zwar den alten Maßstäben und Vorstellungen von Stärke und Erfolg entsprechen, aber es sind darin nicht unbedingt auch die Intelligentesten und Vernünftigsten. Es dürfte in der Regel vielmehr so sein, dass es oft die Rücksichtslosesten und Machtgierigsten sind.
Bei diesem Versuch die alten evolutiven Gesetze und Werte der Gen-Ebene auch in den modernen Gesellschaften weiterhin als gültig darzustellen, fällt auf den ersten Blick nicht so sehr auf, dass dabei der folgende von der Soziobiologie angewandte Zusammenhang auch umgekehrt gilt: Hohes Einkommen oder hoher sozialer Stand gleich genetische Fitness. Das heißt nichts anderes, als dass hohes Einkommen oder hoher sozialer Stand als genetisch verursacht und begründet angesehen werden und nicht als geistig-kulturell. Das ist dann nichts anderes als ein biologistischer Determinismus oder anders ausgedrückt, es ist ein klarer Sozialdarwinismus, auf dem letztlich etwa auch der Rassismus gründet. Auch wenn solche Zusammenhänge bestritten werden, allein die »Brille« oder die verwendeten Maßstäbe und Gesetzmäßigkeiten, unter denen das menschliche Sein hierbei gesehen und bewertet wird, führen immer wieder in diese Richtung und zu diesen fatalen Resultaten.
In diesem Sinne ist daher auch die folgende Aussage von Voland kritisch zu sehen: „Elterliches Vermögen, Kinder sozial vorteilhaft und mit guten eigenen Reproduktionschancen versehen sozial zu platzieren, ist gerade auch unter den mo­dernen Lebensbedingungen von ganz wesentlicher Bedeutung für die genetische Fitness“ (Voland 2013, 60). Mit dem gen-zentrierten Ansatz der Soziobiologie kann das nur bedeuten, dass die fitten oder guten Gene der hohen sozialen Schicht, sich zeigend durch hohes Einkommen, großen Reichtum und (eine mehr oder weniger zutreffend damit verbundene) hohe Intelligenz, durch geeignete Maßnahmen in ihrer hohen genetischen Fitness gegenüber den schlechteren Genen der Unterschicht zu bewahren sind, eben wie zu früheren Zeiten (der Stände und des Adels) durch eine möglichst große und reine genetische Reproduktion der guten und fitten Gene als sozial vorteilhafte Platzierung. Hohes Einkommen, großer Reichtum, hoher sozialer Stand und große Reproduktion sind die alleinigen Maßstäbe, an denen die Soziobiologie die genetische Fitness misst, sich orientiert und die weitere Entwicklung des Menschen festmacht.
Es gilt so die Vorstellung, dass der Erfolg letztlich durch die Gene naturgegeben und in diesem Sinne auch absolut ist, d.h. daran sollte möglichst nichts geändert werden, ja daran kann in diesem gen-zentrierten Verständnis geistig-kulturell direkt nichts geändert werden, schon weil das Geistige nur als Imitation des eigentlich Relevanten angesehen wird. Dieses Verständnis entspricht zwar der Wunschvorstellung vieler Menschen, die so ihren sozialen Vorteil möglichst überzeugend und absolut begründen und absichern wollen, doch wie Untersuchungen etwa zur weitergehenden Schulwahl von Kindern zeigen, entsprechen diese Wunschvorstellungen der betreffenden Eltern und auch der Lehrer (!) nicht den tatsächlichen Gegebenheiten, also hier dem schulischen Leistungsvermögen der Kinder.
Von der Soziobiologie her abgeleitet würde hier gelten: Die Kinder der höheren sozialen Schicht sind die genetisch fitteren und da an dieser genetischen Festlegung individuell und geistig-kulturell nichts verändert werden kann oder soll, sollte diese genetische Fitness dadurch erhalten und gepflegt werden, indem die genetisch fitteren Kinder die ihrer genetischen Fitness entsprechende bessere Ausbildung erhalten und die genetisch nicht so fitten Kinder eine ihrer genetisch bedingten Herkunft und ihrer späteren Rolle in der Gesellschaft entsprechende einfachere Bildung. Der eigentlich zur geistig-kulturellen Weiterentwicklung nötige und sinnvolle Wettstreit auf der geistig-kulturellen Ebene wird so aufgrund von Wertungen ausgehebelt, die darin ganz dem gen-zentrierten Ansatz nach noch der animalischen Rangordnung und dem animalischen Recht des Stärkeren entsprechen. Mit ihrem gen-zentrierten Ansatz versucht die Soziobiologie diese rückständigen gesellschaftlichen Zustände zu erhalten, zu rechtfertigen und wissenschaftlich zu untermauern.

Wo liegt hier der eigentliche Missstand und Fehler? Dem nähert man sich anhand folgender Aussage von Voland: „Vor diesem Hintergrund wird das eigentliche Problem der sogenannten »nature/nurture-Debatte« sichtbar: die unter manchen Biologen und Kul­turwissenschaftlern gleichermaßen weit verbreitete Auffassung, wonach »Sozialisation« oder »Kultur« Alternativen zur evolutiven Erklärung mensch­lichen Verhaltens sein sollen, beruht schlichtweg auf einem Kategorienfehler“ (Voland 2013, 215). „Die Auffassung von der gen-zentrierten Wirkweise der biologischen Evolution steht in krassem Widerspruch zu Vorstellung, wie sie zuvor in der Verhaltensforschung vorgeherrscht haben“ (Voland 2013, 8). Liegt der Kategorienfehler wirklich in der Verhaltensforschung oder nicht eher in der Soziobiologie?
Der Widerspruch zu dem Verständnis der vergleichenden Verhaltensforschung und hier besonders zu Konrad Lorenz ist tatsächlich krass und immens. Im Rahmen seiner Theorie der geschichteten Systeme kritisiertLorenz illegale Grenzüberschreitungen darin (vgl. Lorenz 1987, 60), die „böse in die Irre führen“ (Lorenz 1987, 61). Weiter sagt er dazu: „Wir verstehen genau, warum es unmöglich ist, die Eigenschaften des höher integrierten Systems aus denen des niedrigeren zu deduzieren (s. S. 55) [etwa Leben aus anorganischer Materie], und ebenso, warum es blanker Unsinn ist bei den einzelnen Untersystemen einer Ganzheit oder bei einfacheren Vorfahren höherer Lebewesen nach Eigenschaften und Leistungen zu fahnden ‑ geschweige denn solche zu postulieren ‑, die erst mit dem schöpferischen Akt höherer Integration in Existenz getreten sind“ (Lorenz 2013, 61).
Als Beispiel einer solchen Grenzüberschreitung führt Lorenz das einst von dem Chemiker Weidel einem Eisenatom zugeschriebene subjektive Erleben an (vgl. Lorenz 1987, 60), aber dieser Fall liegt auch vor, wenn einem Gen ein egoistisches Verhalten zugeschrieben wird. In diesem gen-zentrierten Verständnis ist der Mensch mit seinem Geist und seiner Kultur, wie es die Soziobiologie ja auch konkret aussagt, nur ein ins „Schlepptau“ genommenes Epiphänomen, eine Begleiterscheinung oder ein Erfüllungsgehilfe der genetischen Programme. Es wäre dasgleiche, als würden wir davon ausgehen, dass nicht ein Dichter seinen Text erschafft, sondern dass die egoistischen oder intelligenten Buchstaben des Textes die eigentlich Handelnden sind, wobei der Mensch als Dichter nur ein Epiphänomen der Buchstaben ist, um diese zu verbreiten. Das menschliche Interagieren spielt sich jedoch auf der Ebene des Geistes ab und auf diese Ebene gehören dann auch die entsprechenden Eigenschaften und Beschreibungen dieses Verhaltens. Die Gene spielen dabei eine ähnlich untergeordnete Rolle wie allgemein das Körperliche oder Materielle, d.h. die Übertragung von Elementen, Beschreibungen oder Eigenschaften der geistigen Ebene oder Schicht auf die darunterliegende ist der eigentliche Kategorienfehler, den jedoch die Soziobiologie auch mit ihrem auf den Menschen angewandten gen-zentrierten Ansatz begeht. Gerade das geschichtete System verdeutlicht diesen Kategorienfehler als unzulässige Überschreitung dieser Schichten mit ihren eigenständigen Gesetzmäßigkeiten.
Die Grundlage und der Anfang dieses Kategorienfehlers liegt dabei in der sogenannten Verwandtenselektion, die auf William D. Hamilton zurückgeht. Zwischen den Verwandten gibt es ein altruistisches Verhalten, das zwischen Familienmitgliedern oder Verwandten dabei ausgeprägter als in der restlichen Gemeinschaft wirkt und am stärksten ist es in der Mutter-Kind-Beziehung vorhanden. Die Selektion hat also in den menschlichen Gemeinschaften ein Verhalten hervorgebracht, das näherungsweise mit dem genetischen Verwandtschaftsgrad korreliert und sich so im bestimmten Umfang auch mathematisch erfassen lässt.
Dieser spezielle Umstand in der Struktur und dem Verhalten in einer Gemeinschaft wird dann jedoch von der Soziobiologie nicht als eine nur unter bestimmten Bedingungen gültige, relative Regel- oder Gesetzmäßigkeit verstanden, sondern zu einem absoluten Gesetz und gar zur „zentralen Erklärungsformel“ der Evolution erhoben, so als könnte man damit das gesamte Evolutionsgeschehen in einer einzigen mathematischen Formel fassen. Demnach gibt es keinen wirklichen Altruismus, sondern ein altruistisch erscheinendes Verhalten, wie das der Mutterliebe oder das von Individuen, die ihren Verwandten bei der Aufzucht der Jungen helfen, ist gemäß den Vorstellungen der Soziobiologie stets ein gen-egoistisches Verhalten, da dadurch ja die verwandten Gene reproduziert werden. Der mathematischen Hamilton-Ungleichung nach breitet sich ein solches Verhalten nur dann aus, wenn die Bedingungen dieser Formel erfüllt sind (vgl. Voland 2013, 4-5). Daraus folgt: „Die durch die eigene Fortpflanzung erreichte Fitness nennt man direkte Fitness (oder »Darwin-Fitness«), die durch Verwandtenunterstützung erreichte indirekte Fitness. Die Summe aus beiden ist die Gesamtfitness“ (Voland 2013, 6). Ausgehend von dieser Formel wird dann versucht, das gesamte Sozialverhalten und Sein des Menschen damit zu erklären.
In der vergleichenden Verhaltensforschung ist die Selektion dagegen nicht einem absoluten mathematischen Gesetz oder Zweck unterworfen, genausowenig wie sie zielgerichtet ist. In dem Verständnis der Verhaltensforschung hat die Evolution zwar die Regel- und scheinbar absolute Gesetzmäßigkeit des mit der genetischen Verwandtschaft korrelierten Verhaltens des Altruismus hervorgebracht, aber nur aufgrund speziell herrschender Lebensbedingungen und nur soweit, wie diese Bedingungen herrschen. Unter geänderten Bedingungen, wie sie dann auf der geistig-kulturellen Ebene des Menschen gegeben sind, gilt dieser Zusammenhang nicht mehr, d.h. der Altruismus etwa der Freundschaft, Kollegialität, Kameradschaft usw. hat nichts mehr mit der Hamilton-Formel oder einer differenziellen genetischen Fitness als scheinbar „zentrale Erklärungsformel der Evolutionstheorie“ zu tun.
Bemerkenswert und bezeichnend ist, dass kein Geringerer als der Namensgeber der Soziobiolgie, Edward O. Wilson, zwischenzeitlich gänzlich von der Gesamtfitness-Theorie als der auf der Hamilton-Formel gründenden Verwandtenselektion abgerückt ist. Wilson hält diesen von Voland weiterhin als „zentrale Erklärungsformel der Evolutionstheorie“ (Voland 2013, 7) angesehenen Ansatz für einen Irrtum und groben Methodenfehler in der Forschung. Wilson schreibt dazu: „Schlimmer noch: Der Glaube an die vermeintliche Schlüsselrolle der Verwandtschaft bei der sozialen Evolution hat uns dazu geführt, dass die normale Reihenfolge biologischer Forschung umgekehrt wurde. In der Evolutionstheorie wie in den meisten Naturwissenschaften ist es erwiesenermaßen die beste Methode, ein Problem zu definieren, das sich aus der empirischen For­schung ergibt, und dann die geeignete Theorie zu seiner Lösung auszuarbeiten. Bei der Gesamtfitness-Theorie ist fast die gesamte Forschung umgekehrt verlaufen: Erst wurde hypothetisch die zentrale Rolle der Verwandtschaft und der Verwandtenselektion festgelegt, dann wurde nach Beweisen gesucht, die diese Hypo­these belegen sollten“ (Wilson 2013, 213).
Weiter sagt er in vernichtender Weise dazu: „Das alte Paradigma der sozialen Evolution, das nach vier Jahrzehnten fast schon Heiligenstatus genießt, ist damit ge­scheitert. Seine Argumentation von der Verwandtenselektion als Prozess über Hamiltons Ungleichung als Bedingung für Kooperation bis zur Gesamtfitness als darwinschem Status der Koloniemitglieder funktioniert nicht. Wenn es bei Tieren überhaupt zur Verwandtenselektion kommt, dann nur bei einer schwachen Form der Selektion, die ausschließlich unter leicht verletzbaren Sonderbedingungen auftritt. Als Gegenstand einer allgemeinen Theorie ist die Gesamtfitness ein trügerisches mathematisches Konstrukt; unter keinen Umstän­den lässt es sich so fassen, dass es wirkliche biologische Bedeutung erhält. Auch für den Nachvollzug der Evolutionsdynamik genetisch bedingter sozialer Systeme ist es unbrauchbar“ (Wilson 2013, 221-222).

Die durch die Eigenständigkeit des geistigen Lebens bedingte zweigeteilte Natur des Menschen und die dadurch geprägte Entwicklung
In der Erkenntnis von Konrad Lorenz mit seinem »geist-zentrierten« Ansatz heißt die völlig „neue Art von Leben“ ganz nach der Schichtung des Seins ein Verhältnis des Aufruhens, der Bedingtheit >von unten< her, und doch zugleich „der Selbständigkeit des Aufruhenden in seiner Eigengeformtheit und Eigengesetzlichkeit“. Das Wirken dieser Eigengesetzlichkeit des geistigen Lebens lässt sich u.a. schon in einer Erkenntnis von Darwin wiederfinden, die ihn in seinem »alten Denken« der genetischen Gesetzmäßigkeiten sehr verwundert, auf der in diesem alten Denken letztlich der Sozialdarwinismus gründet und die von Vielen bis heute als problematisch gesehen wird. Darwin bemerkte:„Unter den Wilden werden die an Körper und Geist Schwachen bald eliminiert; die Überlebenden sind gewöhnlich von kräftigster Gesundheit. Wir zivilisierten Menschen dagegen tun alles mögliche, um diese Ausscheidung zu verhindern. Wir erbauen Heime für Idioten, Krüppel und Kranke. Wir erlassen Armengesetze, und unsere Ärzte bieten alle Geschicklichkeit auf, um das Leben der Kranken so lange als möglich zu erhalten. Wir können wohl annehmen, daß durch die Impfung Tausende geschützt werden, die sonst wegen ihrer schwachen Widerstandskraft den Blattern zum Opfer fallen würden. Infolgedessen können auch die schwachen Individuen der zivilisierten Völker ihre Art fortpflanzen. Niemand, der etwas von der Zucht von Haustieren kennt, wird daran zweifeln, daß dies äußerst nachteilig für die Rasse ist. Es ist überraschend, wie bald Mangel an Sorgfalt, oder auch übel angebrachte Sorgfalt, zur Degeneration einer domestizierten Rasse führt; ausgenommen im Falle des Menschen selbst wird auch niemand so töricht sein, seinen schlechtesten Tieren die Fortpflanzung zu gestatten“ (Darwin 2002, 171-172).
Darwin erkennt in diesem Zitat die hinderlichen bzw. der alten genetischen Gesetzmäßigkeit widersprechenden Eigenschaften der neuen gesellschaftlichen Bedingungen, die durch die geistig-kulturelle Entwicklung geschaffenen wurden. Aber er erkennt leider nicht wie Lorenz das Neue beim Menschen in seiner Wirksamkeit, Systematik und den neuen Gesetzmäßigkeiten, oder er will es nicht erkennen, aus Angst davor, es in dieser großen, den genetischen Gesetzen und der Vererbung widersprechenden Wirkmächtigkeit nicht auf natürliche Weise erklären zu können. So hält er weiter und verstärkt an dem fest, das wir mit dem heutigen Begriff »genetische Fitness« benennen.
Eine dieser neuen Gesetzmäßigkeiten besteht in der Konsequenz des vorangegangenen Darwin-Zitats darin, dass die geistige Evolution nicht nur die Lebensweise beim Menschen völlig neu bestimmt hat (Sesshaftigkeit, größere Gemeinschaften, Handwerk und Technik, weniger gewalttätige Problemlösungen), sondern dabei auch den alten Evolutionsmechanismus außer Kraft gesetzt hat. Es gibt zwar noch Mutationen auf der Gen-Ebene, aber, wie es das Darwin-Zitat klar beschreibt, keine Selektion mehr. Auch die letzte große Steigerung der genetischen Fitness, die durch die Viehwirtschaft bedingte Laktosetoleranz bei Erwachsenen, konnte sich letztlich nur dadurch verbreiten, dass diejenigen, die diese Genmutation nicht aufwiesen, zur Weitergabe ihrer Gene geringere Chancen besaßen. Diese durch Leid oder Tod bedingten geringeren Chancen gibt es heute jedoch so gut wie nicht mehr, d.h. jede Genmutation, egal ob passend oder unpassend, besitzt in den modernen Gesellschaften dieselben Chancen dazu, sich genetisch zu verbreiten. Mit anderen Worten, in den modernen Gesellschaften hätte sich die Genmutation der Laktosetoleranz nicht verbreiten können, da ja auch diejenigen Menschen, die diese Genmutation nicht besitzen, sich heute gleichermaßen fortpflanzen können und diese Genmutation damit keinerlei Einfluss auf die Fortpflanzung besitzt. Grundsätzlich gilt das in den modernen Gesellschaften wegen der fehlenden Selektion für alle Genmutationen, so dass damit der »alte Motor« der evolutiven Entwicklung beim Menschen außer Kraft gesetzt ist, was sich jedoch, wegen der Langsamkeit der genetischen Weiterentwicklung, in unserer Wahrnehmung nicht groß bemerkbar macht. Außerdem kann es nur insoweit als Mangel oder „Torheit“ verstanden werden, wie nicht die an diese Stelle getretene neue Art der geistigen evolutiven Entwicklung gesehen wird.
Wie sehr Darwin mit seinem »alten« Verständnis der Evolution und Entwicklung beim Menschen daneben gelegen hat, wird nicht nur an seiner Verwunderung in dem zuletzt angeführten Zitat deutlich, sondern auch an dem schon genannten Beispiel der Kultivierung der westlichen Völker Europas, das Darwin als „dunkles Rätsel“ sieht. Darwin versucht diesen Fortschritt als Wirken des menschlichen Geistes und als weitere Entwicklung von Kultur allein mit den von ihm erkannten Gesetzmäßigkeiten der evolutiven Entstehung der Arten und damit über die Vererbung zu erklären. Eine moderne Erkenntnis zur Genetik liefert dabei zunächst die Grundlage zur Aufklärung des Rätsels und Irrtums von Darwin. Der Bioinformatiker Steffen Schmidt vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie bringt diese moderne Erkenntnis der Genetik auf den Punkt, wenn er sagt: „Die Variabilität, die wir innerhalb des menschlichen Genpools haben, ist bei Europäern, Afrikanern und Australiern gleich. Es sind nur geringe Unterschiede, die über unsere Hautfarbe entscheiden. Die Variabilität kann innerhalb einer Bevölkerungsgruppe größer sein als zwischen verschiedenen. Ein Beispiel: Nimmt man zwei Individuen aus Japan und vergleicht sie mit einem Australier, kann es sein, dass der Japaner dem Australier ähnlicher ist als dem anderen Japaner.“
Das erklärt sich aus dem relativ jungen gemeinsamen Ursprung aller heute auf der Erde lebenden Menschen (ca. 130.000 Jahre), und einer Besiedlungsgeschichte der einzelnen Erdteile beginnend vor 15.000 – 50.000 Jahre, die sich auf eine sehr kleine Gruppe von Auswanderern aus Afrika zurückführen lässt. Alle heute lebenden etwa 7 Milliarden Menschen lassen sich also auf eine kleine Gruppe von wenigen hundert Individuen zurückführen. Genetisch hat es seither nur geringe Veränderungen gegeben wie die der Hautfarbe, der Laktoseverträglichkeit usw. Es hat dagegen keine größeren Veränderungen gegeben wie etwa die der durchschnittlichen Intelligenz eines Volkes, so dass wir heute irgendein menschliches Volk als weniger intelligent oder gar als Zwischenwesen zu den Affen einstufen könnten. Die genetische Grundlage oder Fitness zu dem, was der durchschnittlichen Intelligenz des Menschen zugrundeliegt, hat sich in den letzten 130.000 Jahren nicht geändert.
Mit dieser neuen Erkenntnis lässt sich das von Darwin angeführte „dunkle Rätsel des Erwachens der europäischen Völker aus dem Dunkel des Mittelalters“ leicht und vollständig auflösen. Die vererbte oder genetische Grundlage der geistig und kulturell hochstehenden alten Griechen gegenüber den noch wilden und barbarischen germanischen Völkern spielte bei dieser Kultivierung überhaupt keine Rolle, weil die genetische Grundlage beider Völker (abgesehen von geringfügigen, äußerlich sich zeigenden Unterschieden) dabei als gleich und unverändert anzusehen ist! Das, was bei dieser Kultivierung die entscheidende Rolle spielte, hat Darwin nur beiläufig erwähnt, nämlich dass die aufgestiegenen westlichen Völker Europas „auch den Schriftwerken dieses hervorragenden Volkes viel verdanken“. Nur darin »zündete« der neue »Motor« der geistig-kulturellen Entwicklung mit seinen Eigengesetzlichkeiten bei den „wilden Völkern“ Europas sozusagen eine neue, von den alten Griechen schon erreichte Stufe, und zwar nicht über die Vererbung (oder eine „genetischen Fitness“), wie von Darwin (bzw. der heutigen Soziobiologie) angenommen und vergeblich zu begründen versucht, sondern allein über die geistig-kulturelle Ebene mit der dort möglichen Schnelligkeit und Wirkmächtigkeit. Im Grunde ist es damit vergleichbar, als würde ein Kleinkind der Wilden bei den alten Griechen großgezogen. Die Schnelligkeit und Wirkmächtigkeit dieses Prozesses, der dann besonders in der technischen Entwicklung schnell über den Stand der alten Griechen hinausging, konnte selbst die Kirche im Mittelalter nicht verhindern, die einerseits mit ihren Klöstern erst für die Verbreitung des alten Wissens sorgte und dann mit der Inquisition verzweifelt das »Feuer« des Geistes einzudämmen versuchte, das plötzlich an vielen Stellen über den dogmatischen Rahmen ihrer Lehre hinausschlug.

In der weiteren Entwicklung haben die neuen geistigen Fähigkeiten des Menschen seit der Neuzeit zu einer beispiellosen insbesondere technischen Entwicklung geführt, die nicht nur die Reise zum Mond ermöglicht, sondern etwa auch die Entschlüsselung und die Manipulation des genetischen Codes, des Bauplans aller Lebewesen einschließlich des Menschen. Den Menschen früherer Zeiten würde das heutige Leben in den modernen Industriestaaten mit der medizinischen Versorgung, der gesicherten Ernährung, den ganzen technischen Annehmlichkeiten usw. als Paradies erscheinen.
Diese entscheidende kulturelle Entwicklung des Menschen hat auch im sozialen Verhalten ihren Niederschlag gefunden, den ganz ohne Evolutionstheorie schon Schiller treffend und prägnant erfasst hat, wenn er über den Menschen schreibt: „Von dem blinden Zwange des Zufalls und der Noth hat er sich unter die sanftere Herrschaft der Verträge geflüchtet und die Freiheit des Raubthiers hingegeben, um die edlere Freiheit des Menschen zu retten“ (Schiller 2006, 15). Weiter heißt es bei Schiller in seinen auch evolutionstheoretisch interessanten Erkenntnissen: „Alle diese Fertigkeiten, Kunsttriebe, Erfahrungen, alle diese Schöpfungen der Vernunft sind im Raume von wenigen Jahrtausenden in dem Menschen angepflanzt und entwickelt worden; alle diese Wunder der Kunst, diese Riesenwerke des Fleißes sind aus ihm herausgerufen worden. Was weckte jene zum Leben, was lockte diese heraus? Welche Zustände durchwanderte der Mensch, bis er von jenem Aeußersten zu diesem Aeußersten, vom ungeselligen Höhlenbewohner – zum geistreichen Denker, zum gebildeten Weltmann hinauf stieg?“ (Schiller 2006, 17).
Diese Frage von Schiller ist auch jetzt noch in der Hinsicht von besonderem Interesse, da dieser Prozess ja entgegen unserem subjektiven Empfinden noch lange nicht abgeschlossen ist. Schon Schiller hat das erkannt, wenn er sagt: „Wahr ist es, auch in unser Zeitalter haben sich noch manche barbarischen Überreste aus den vorigen eingedrungen“ (Schiller 2006, 16). Das hat sich ca. einhundert Jahre nach Schiller in den Katastrophen unseres letzten Jahrhunderts mit einem Rückfall in die größte Barbarei eines Höhlenbewohners auf dramatische Weise bestätigt.
Im Sinne der geistig-kulturellen Weiterentwicklung ist angesichts dessen danach zu fragen, wie das vor noch hundert Jahren allgegenwärtige barbarische Verhalten gegenüber andersartigen Völkern, auch in den Ansichten vieler Intellektueller, sich heute, zumindest in weiten Teilen der Gesellschaft, zu einem zivilisierten Verhalten gewandelt hat, und ob auch heute noch „manche barbarischen Überreste aus dem vorigen Zeitalter“ existieren. Hoimar von Ditfurth drückt diese Art der Entwicklung und die Rückfälle dabei vor dem Hintergrund der Evolutionstheorie mit den Worten aus, dass wir uns noch in einem „Tier-Mensch-Übergangsfeld“ (v. Ditfurth 1976, 263) befinden und das wahre Mensch-Sein noch lange nicht erreicht haben. Wie lässt sich das auch als aktuelle und weitere Entwicklung des Menschen von dem Ansatz der geschichteten Systeme her erklären, oder anders ausgedrückt, was ist die Natur des Menschen?

Die schon bei den Tieren vorhandene, immer weiter steigende neuronale Verarbeitung der Sinneswahrnehmungen hat irgendwann, wie Konrad Lorenz es erkennt „blitzartig“, das von Wallace genannte „Instrument“ der neuen Systemeigenschaften oder der neuen geistigen Schicht ergeben, also das einer eigenständig auf das Verhalten wirkenden Evolution auf dieser geistig-kulturellen Ebene, das nach Wallace „den Bedürfnissen seines Besitzers vorauseilt“. Doch das heißt nicht, dass damit wie in der Vorstellung eines göttlichen Schöpfungsaktes der Mensch von einem Augenblick zum anderen ein neues Wesen erhielt. Ganz im Gegenteil war am Anfang zunächst die animalische Verhaltenssteuerung weiterhin allein relevant und bestimmend für das menschliche Verhalten. Damit die neue Fähigkeit überhaupt wirksam werden konnte, musste die alte, instintkbestimmte Verhaltenssteuerung aufgebrochen oder gelockert werden, was der Mensch darin bis heute als Freiheit aber auch als Unsicherheit und Bedrohung empfindet. Erst in diesen Lücken konnte sich die neue geistige Fähigkeit langsam entwickeln und an Einfluss auf das Verhalten des Menschen gewinnen. Dieses neue geistige System mit seiner eigenen Gesetzmäßigkeit entwickelte sich seitdem mit einem langsamen, aber konstant steigenden Einfluss im Sein und Verhalten des Menschen, vor allem in den zur weiteren Entwicklung nötigen Auseinandersetzungen. Darwin erkennt das hinsichtlich der Sittlichkeit, wenn sie „tatsächlich seit den frühesten Zeiträumen der Menschengeschichte eine aufsteigende Linie verfolgt habe“ (Darwin 2002, 159).
Diese stetig steigende Linie der weiteren geistig-kulturellen Entwicklung ist nicht im Sinne einer Teleologie aufzufassen, sondern es ist einfach die Konsequenz aus dem erfolgreichen und effektiven Verhalten, das sich aus den von Lorenz erkannten neuen, geistigen Systemeigenschaften oder mit dem von Wallace genannten „Instrument“, das dem Menschen plötzlich zur Verfügung stand, ergab. Dieses „Instrument“ ermöglichte zuerst völlig neue Erfindungen, die damit zu einer anderen Lebensweise führten, aufgrund dessen wiederum instinkthafte Verhaltensweisen unangepasst wurden, die dann jedoch nur mit diesem neuen „Instrument“, also geistig-kulturell, angepasst werden konnten usw. Dieses „Instrument“ eilte zwar den Bedürfnissen des Menschen voraus, doch die unteren Schichten im menschlichen Sein mussten dabei sozusagen »mitgeschleppt« werden (umgekehrt zum Verständnis der Soziobiologie, bei der die genetische Entwicklung die geistige Entwicklung „in Schlepptau nimmt“). Dabei wurde eine ganz neue Form der Evolution auf der geistigen Ebene in Gang gesetzt, die sich zusammen und in Auseinandersetzung mit dem vorhandenen animalischen Erbe aus sich selbst heraus immer weiter entwickelte. Das bestimmt entscheidend die Natur des Menschen in seinem Verhalten.
In diesem geist-zentrierten Verständnis des menschlichen Seins und der menschlichen Entwicklung spielt die genetische Weiterentwicklung beim Menschen überhaupt keine Rolle mehr, ganz im Gegensatz zum soziobiologischen Verständnis mit seinem Begriff der „genetischen Fitness“, bei dem eine eigenständige geistige Entwicklung keine relevante Rolle spielt. Was allerdings auch im geist-zentrierten Ansatz weiterhin mitspielt, sind die schon vorhandenen, durch das alte System geschaffenen und genetisch verankerten Verhaltensweisen, wie die Sexualität, die Fremdenfeindlichkeit oder das uralte Streben nach großer Macht und großem Ansehen, um einen möglichst hohen Rang innerhalb des Rudels oder der Gemeinschaft einzunehmen, usw. Diese Instinkte sind genetisch verankert und können, wenn sie zu einem unangepassten Verhalten werden, mit dem neuen geistigen System nicht eliminiert, sondern geistig-kulturell nur überdeckt werden, so dass stets die Gefahr eines von Darwin genannten „Rückschlags“ oder auch eines Irrwegs im Festhalten an einem zwischenzeitlich unangepassten Instinkt besteht.
Die Schicht der Instinkte und Emotionalität im menschlichen Sein ist als animalisches Erbe mit der dazu gehörenden Gesetzmäßigkeit, etwa der Lernunfähigkeit der Instinkte, darin weiterhin präsent und trotz einer völlig anderen Funktionsweise, genetisch-emotional statt neuronal-geistig, sehr eng mit der darüber liegenden geistigen Schicht zu einem einheitlichen Verhalten hin verwoben. Weder kann die moderne Naturwissenschaft von den physiologischen Vorgängen her die Anteile beider Schichten im Verhalten eines Menschen in den genau Abgrenzungen auseinanderhalten, noch kann das der Mensch subjektiv in seinem Bewusstsein (gröbere Zuweisungen sind dagegen schon möglich). Zwar sind auch die materiell-körperliche Ebene und die vegetative Ebene weiterhin im Menschen präsent, doch hinsichtlich seines Verhaltens und der nur darin weitergehenden evolutiven Entwicklung spielen nur die beiden letzten Schichten mit ihren teilweise verschiedenen Gesetzmäßigkeiten die entscheidende Rolle. Der Mensch besitzt darin in seinem Verhalten eine gespaltene Natur. Maßgebend für die weitere Entwicklung des Verhaltens in dieser Zweigeteiltheit ist jedoch ausschließlich die Weiterentwicklung und Anpassung auf der geistig-kulturellen Ebene und nicht mehr eine genetische Weiterentwicklung oder Anpassung als „genetische Fitness“. Eine genetische Weiterentwicklung findet beim Menschen nicht mehr statt.

In diesem stetigen geistig-kulturellen Aufstieg wurden schließlich immer mehr die Lebensbedingungen des Menschen geändert, was heute im Leben der modernen Menschen, der mit Hilfe der Technik die Welt selbst bis hin zu seinen eigenen Genen immer mehr verändert, einen neuen Höhepunkt erreicht. In einem entsprechenden Ausmaß wurden und werden dabei alte Instinktverhaltensweisen zu unangepassten Verhaltenweisen. Die daher nötigen Anpassungen des Verhaltens geschahen zu früheren Zeiten zunächst zwar schon auf geistig-kulturelle Weise, aber noch gänzlich indirekt und unbewusst durch die Religionen mit Hilfe ihrer durch die neuen geistigen Fähigkeiten ermöglichten übernatürlichen Vorstellungen allmächtiger »Rudelführer« mit ihren moralischen Vorschriften, dann auch direkter und bewusster durch andere geistig-kulturelle Einrichtungen wie Philosophie, Justiz, Politik, Naturwissenschaft usw.
Bis heute geschieht dieser Prozess der Verhaltensanpassung jedoch noch nicht vollständig direkt und bewusst, da dazu das (Selbst)Verständnis der rein natürlichen Herkunft des Menschen und zusammenhängend damit das Bewusstsein über sein animalisches Erbe und seine zweigeteilte Natur fehlen. Die weitere evolutive Entwicklung mit all ihren Anpassungen und Umbrüchen versteht der Mensch daher allein von seiner subjektiven, anthropozentrischen Sicht her. Das Erreichte war für ihn immer schon da und das Weitergehende versteht er als sein eigenes Wollen aufgrund für ihn feststehender überlieferter Werte. Bis heute geschehen so die entscheidenden Änderungen und Weiterentwicklungen, und zwar wenn die überlieferten und darin instinktgebundenen Werte nicht mehr passen, auf diese Weise nicht aus der Vernunft heraus auf geistige Weise, sondern in der Regel erst aus physischen Notwendigkeiten oder gar Katastrophen heraus.
Die beiden Katastrophen des letzten Jahrhunderts, die nur deswegen möglich waren, weil dabei bestimmte altvertraute Instinkte im Menschen angesprochen wurden, wie die der Überhöhung des eigenen Volkes bei gleichzeitiger Diskriminierung und gewaltsamen Unterjochung anderer Völker, sind Paradebeispiele für diese weitergehende evolutive Entwicklung des Geistigen beim Menschen, jedoch eben leider Paradebeispiele nicht in ihrer humanen, direkten und bewussten Form der Anpassung, sondern ihrer eher animalischen Weise der Anpassung und Weiterentwicklung. Der Mensch ist sich, im Gegensatz noch vor 100-200 Jahren, zwar heute zumindest in weiten und den entscheidenden Teilen der Gesellschaft darüber bewusst, dass der Rassismus aufgrund der dadurch geschehen Katastrophen etwas »Böses« ist. Er hat aber bis heute nicht die tiefer liegenden evolutiven Gesetzmäßigkeiten erkannt, die es ermöglicht hätten, dieses Verhalten schon im Vorfeld als unangepasst zu erkennen und auf geistig-kulturelle Weise human anzupassen und vor allem auch nachhaltig und umfassend zu überwinden.
Aus einer evolutiven Perspektive und objektiv gesehen ist der Entwicklungsprozess des Menschen als stetig aufsteigende Linie dadurch gekennzeichnet, dass sich die spezielle evolutive Entwicklung beim Menschen mit all den dazu gehörigen Auseinandersetzungen mehr und mehr auf die geistig-kulturelle Ebene verlagert, trotz der vielen Rückschläge und Sackgassen, die einer nicht zielgerichteten evolutiven Entwicklung zu eigen sind. Die Errungenschaft der Demokratie ist hierbei der einsichtigste Beleg für diese Entwicklung, denn die Demokratie definiert sich in dieser evolutiven Perspektive dadurch, dass die Auseinandersetzungsform der »alten«, genetisch-animalischen Entwicklung, die Gewalt, strikt ausgeschlossen wird. Die neuen Formen und Organisationen des geistig-kulturellen Seins und die evolutiv wirksamen Auseinandersetzungen darum finden so als weitere relevante evolutive Entwicklung beim Menschen idealerweise nur noch auf der geistig-kulturellen Ebene mit den dort geltenden Gesetzmäßigkeiten und Werten statt, also auf demokratische Weise mit der Eigenschaft des Menschen, die sein menschliches Sein exklusiv erst bedingt und vom animalischen Sein und Erbe in seiner gespaltenen Natur abhebt. Auch die Menschenrechte lassen sich von dieser neuen Evolution des geistigen Seins her deuten. Von diesem Ideal als umfassende Verwirklichung seines eigentlichen Seins in seiner zweigeteilten Natur ist der Mensch, was die gewalttätigen Auseinandersetzungen in der heutigen Welt beweisen, aber noch sehr weit entfernt. Er ist sich nicht einmal darüber bewusst.
Heute wäre es im Sinne einer weiteren erfolgreichen Evolution des Menschen mit den großen Potentialen des neuen „Instruments“ auf der geistigen Ebene, d.h. einer zunehmenden geistigen Fitness und der weiter aufsteigenden Linie von Geist und Kultur (in unseren menschlichen Begriffen ausgedrückt) wünschenswert, vernünftig und im wahrsten Sinne des Wortes humaner, die aktuellen und weiteren im fortdauernden evolutiven Prozess des Menschen unangepasst werdenden Verhaltensweisen mit den geistigen und vernünftigen Fähigkeiten schon im Vorfeld als solche zu erkennen und so das menschliche Verhalten vorausschauend, direkt, elegant und bewusst auf geistig-kulturelle und darin humane Weise anzupassen, statt erst über eine durch unangepasst gewordene Verhaltensweisen verursachte Katastrophe auf der physischen Ebene indirekt und unbewusst im Nachhinein wie bisher.
Das Problem dabei ist, dass diese Prozesse, ähnlich wie etwa die Kontinentalverschiebungen, außerhalb unseres subjektiven Wahrnehmens und Erkennens liegen. Wir sehen diese Ereignisse und Entwicklungen aus der anthropozentrischen Perspektive eines in einer gegebenen Welt real seienden und aufgrund scheinbar unveränderlicher, emotional geprägter Werte selbst und willentlich handelnden Subjekts und nicht aus der objektiveren Perspektive als Weitergang der evolutionären Entwicklung, die auch dieses Subjekt und sein Erkenntnisvermögen letztlich vollkommen hervorgebracht hat und weiterhin verändert. So war es zur Zeit Darwins etwa selbst für die damalige Wissenschaft eine nicht hinterfragte Selbstverständlichkeit, dass die außereuropäischen Völker minderwertig sind, Darwin selbst geht ja davon aus. Dennoch ist gerade die Evolutionstheorie, wenn sie gemäß Lorenz als geschichtetes System verstanden wird, ein sehr gutes Werkzeug oder eine recht objektive »Brille« dazu, mit diesem Hilfsmittel das wahrzunehmen, was schon Schiller in seinem abstrakten Denken nur mit seiner Geschichts»brille« richtig erkannt hat.

Ein zukünftiger empirischer Prüfstein für den von Voland genannten krassen Theorienwiderspruch zwischen Soziobiologie und Vergleichender Verhaltensforschung
Die evolutive Entwicklung beim Menschen ist nicht vor langer Zeit abgeschlossen worden, wie es uns aus unserer subjektiven Sicht erscheint, sondern sie geht im Gegenteil gerade mit nie dagewesener Dynamik und Dramatik weiter. Das lässt sich mit Diagrammen auf einfache Weise veranschaulichen. Das Diagramm für die Ausgangslage und die in der Evolution bis zum neuzeitlichen Menschen gültige Entwicklung findet sich zunächst bei Voland, wobei dieses Diagramm mit folgender Erläuterung von ihm versehen ist: „Jede Population hat das Potenzial zu exponentieller Vermehrung. Natürliche Grenzen des Wachstums sorgen dafür, dass dennoch die Populationsgrößen über die Zeit mehr oder weniger konstant bleiben“ (Voland 2013, 3). In diesem Diagramm stellt die durchgezogene Linie das im Grunde jeder Art zur Verfügung stehende Potential des exponentiellen Wachstums dar, wobei durch die natürlichen Grenzen dieses Wachstum jedoch stets mehr oder weniger schnell in das tatsächliche der gestrichelt dargestellten Kurve übergeht, bei der die Population mit gewissen Schwankungen konstant bleibt.


Das Besondere und Dramatische der zu diesem Diagramm abweichenden heutigen Entwicklung des Menschen und damit zugleich den Prüfstein der weiteren Entwicklung liefert der Historiker Ian Morris. Er untersucht die Entwicklung der menschlichen Gesellschaften seit der letzten Eiszeit und baut dabei zunächst auf der schon zitierten Erkenntnis der modernen Genetikforschung auf, nämlich dass zwar genau wie bei den Tieren offenkundig nicht alle Menschen (genetisch) gleich sind, dass aber große Menschengruppen im Gegensatz zu den Individuen alle ziemlich gleich sind (vgl. Morris 2011, S. 35). In der Konsequenz dessen widerspricht er mit seinem Buch „Wer regiert die Welt?“ strikt denjenigen, „die meinen, die westlichen Führungsrolle sei schon in ferner Vergangenheit festgeschrieben worden“ (Morris 2011, 25). Morris wendet sich damit sozusagen gegen die letzten Reste des vor ca. hundert Jahren auch in der Wissenschaft noch allgegenwärtigen Rassismus. Nach Morris beruht die bis heute andauernde Überlegenheit des Westens ausschließlich auf bestimmten Umweltbedingungen, wie etwa den Vorteilen eines Binnenmeeres wie dem Mittelmeer als einfacher und guter Transportweg, einer zur Verfügung stehenden großen Anzahl von domestizierbaren Tieren und Pflanzen usw. Wie er schreibt reagieren allerdings viele seiner Kollegen auf diesen Ansatz „wie der Stier auf ein rotes Tuch“ (Morris 2011, 38).
In seiner Beschreibung und Bewertung der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften seit der letzten Eiszeit bis heute stößt Morris mit seinem neuen Ansatz auf eine für die weitere evolutive Betrachtung des menschlichen Seins relevante Erkenntnis. Er schreibt, dass „wir dazu verdammt [sind], in interessanten Zeiten zu leben“ (Morris 2011, S. 560) und weiter: „Im 21. Jahrhundert verspricht – oder droht – die gesellschaftliche Entwicklung so hoch zu steigen, dass sie auch den Einfluss der natürlichen und sozialen Bedingungen verändern wird. Wir nähern uns der größten Diskontinuität der Geschichte“ (Morris 2011, S. 567). Als Fazit seiner Untersuchungen stellt Morris fest: „Neue Formen der Entwicklung und der Zerstörung drohen nicht nur die geographische, sondern auch die biologische und die soziologische Landschaft grundlegend zu verändern. Die große Frage unserer Zeit stellt sich nicht danach, ob der Westen seine Vormachtstellung auch weiterhin wird halten können, sondern danach, ob die Menschheit insgesamt den Durchbruch zu einer vollkommen anderen Seinsweise schafft, bevor uns die Katastrophe ereilt – und uns für immer erledigt“ (Morris 2011, 45). Der Evolutionsprozess der menschliche Entwicklung mit dem diese Entwicklung begründenden neuen „Instrument“ des Geistes ist in dieser Hinsicht nicht vor langer Zeit abgeschlossen worden, wie es uns subjektiv erscheint, die Auseinandersetzungen darum bzw. der Höhepunkt dieser Entwicklung steht vielmehr noch bevor.
Das kann bildlich durch das folgende Diagramm der Entwicklung der Weltbevölkerung während der letzten 3000 Jahre veranschaulicht werden. Bis zur Neuzeit entspricht die Vermehrung des Menschen noch dem, was bisher gemäß dem Diagramm von Voland in der Evolution galt. Doch mit der Neuzeit änderte sich das radikal, der Anstieg der Population seit der Neuzeit ist extrem und eine wahre Explosion (Quelle des Diagramms: Wikipedia unter „Bevölkerungsentwicklung“ vom 30.08.2013).


Auch das folgende von Morris erstellte Diagramm der Energieausbeute pro Kopf seit der letzten Eiszeit veranschaulicht in gleicher Weise die Explosivität der heutigen Entwicklung (Morris 2011, 597).


Sind die natürlichen Grenzen, die ein exponentielles Anwachsen der Population bislang stets verhinderten, beim Menschen mit seiner Technik verschwunden? Zumindest ist der zur Verfügung stehende Lebensraum der Menschheit auf der Erde strikt begrenzt, und an diese natürliche Grenze stößt die Menschheit heute in mehrfacher Hinsicht, d.h. nicht nur bevölkerungsmäßig, sondern etwa auch hinsichtlich der Energieressourcen. Die geistigen Fähigkeiten des Menschen ermöglichten es, viele natürliche Grenzen eines exponentiellen Anstiegs der Population außer Kraft zu setzen und damit erst jetzt an die als absolut anzusehende Grenze des Lebensraumes zu stoßen, denn diese natürliche Grenze kann nicht überwunden werden. Was passiert nun an dieser Grenze und wie erscheint dieses Problem im Weitergang der menschlichen Entwicklung in den »Brillen« der beiden widersprüchlichen evolutiven Theorien des menschlichen Seins, also der Soziobiologie mit ihrem gen-zentrierten Ansatz und der vergleichenden Verhaltensforschung mit ihrem nach Lorenz geist-zentrierten Ansatz?
Wie weiter oben schon erwähnt sieht die Soziobiologie das Wirken der Selektion und allgemein der Weiterentwicklung zunächst einmal nur an den Genen des Individuums und ausdrücklich nicht an der Gruppe oder der Art, wie es dagegen die klassische Verhaltensforschung vollzieht (vgl. Voland 2013, 8). Schon von daher hat die Soziobiologie dieses Problem gar nicht im Blickfeld.
Darüber hinaus geht die Soziobiologie davon aus, dass sozialer Stand, hohes Einkommen oder großer Reichtum Merkmale der genetischen Fitness sind, die gegenüber den konkurrierenden schlechteren Genen laufend in ihrer Fitness zu erhalten sind. Das ist im Grunde der einzige Maßstab der Soziobiologie bei der Beurteilung der menschlichen Weiterentwicklung. Mit dieser »alten« Sichtweise, die für die Evolution der Gene, aber nicht die von Geist und Kultur als eigenständige Entwicklung gültig ist, stellt die Soziobiologie ein Verhalten als ideal und richtig dar, das zwar zu früheren Zeiten angepasst und gut war, das in der heutigen Situation des Menschen jedoch das Problem der Überbevölkerung bzw. des begrenzten Lebensraumes mit den begrenzten Ressourcen auf fatale Weise verschärft.
Das exzessive Jagen und Sammeln nach materiellen Werten zieht bis heute hohe soziale Anerkennung und große Macht nach sich, ja es ist das aktuelle Paradigma des gesellschaftlichen Zusammenlebens und Wachsens. Das war zwar zu früheren Zeiten und damaligen Lebensbedingungen ein angepasstes und »gutes« Verhalten, doch unter den heutigen Lebensbedingungen und technischen Möglichkeiten unter Berücksichtigung des begrenzten und zugleich überbevölkerten Lebensraumes ist es nicht mehr angepasst, ebensowenig wie heute der Rassismus ein angepasstes Verhalten ist. Diese Erkenntnis ergibt sich jedoch nicht mit der »Brille« oder aus dem gen-zentrierten Ansatz der Soziobiologie. Die Soziobiologie, für die Geist und Kultur nur eine bloße Imitation des Verhaltens genetisch fitter und erfolgreicher Individuen ist, stellt so auch unter den heutigen Bedingungen die alten Werte des zu maximierenden materiellen Erfolgs als weiterhin gültiges Ideal dar, um die hohe genetische Fitness ganz nach den »alten« Gesetzmäßigkeiten, Werten und Verhaltensweisen sicherzustellen bzw. weiter zu erhöhen und untermauert das mit wissenschaftlichen Ansprüchen. Zweifellos befindet sie sich damit in voller Übereinstimmung mit dem Zeitgeist und der vom Menschen gewollten und für gut befundenen momentanen Entwicklung.
Dieses Verhalten führt jedoch aus einer anderen Perspektive gesehen in einer zunehmend enger werden Welt mit den zur Verfügung stehenden modernen technischen Möglichkeiten der Reichtums- und Machtmaximierung bei gleichzeitig abnehmenden Ressourcen zu einem gnadenlosen Konkurrenzkampf um Macht und Einfluss, wobei etwa auch die schon erreichten sozialen Fortschritte im Zusammenleben der Menschen nicht weiter ausgebaut werden (etwa als demokratische Strukturen auch auf der globalen Ebene), sondern eher dem wirtschaftlichen Konkurrenzkampf wieder geopfert werden. Der Wachstumsmaßstab, dem heute alles andere untergeordnet wird, ist der des materiellen Wachstums. Zerstörungen des immer knapper werdenden Lebensraumes, Klimawandel, Migration und davon gerade in wirtschaftlichen Notzeiten hervorgerufener Fremdenhass usw. sind weitere Folgen dieses altvertrauten Verhaltens unter den gegebenen heutigen Bedingungen.
In diesem Zusammenhang wird eine Aussage von Voland interessant, in der er den Anthropologen Marvin Harris mit den Worten zitiert und ergänzt:„»Kriegerische Auseinan­dersetzungen sind in diesen Gesellschaften [gemeint sind Wildbeuter- und Pflanzergesellschaften] so gut wie immer Ausdruck des Bemühens, einen gefähr­deten Lebensstandard mit Hilfe des Zugangs zu neu­en Ressourcen, ertragreicheren Lebensräumen oder Handelsrouten zu sichern oder zu verbessern. Krieg lässt sich daher am besten als eine tödliche Form des Konkurrierens autonomer Gruppen um knappe Res­sourcen verstehen« (Harris 1989, S. 218). Dies muss freilich durch die Bemerkung ergänzt werden, dass die Liste der umkämpften Güter keineswegs nur Territorien, Viehherden, Nahrungsvorräte oder andere materielle Ressourcen umfasst, sondern ge­gebenenfalls auch weibliche Fruchtbarkeit oder so­zialen Status beinhalten kann, wenn deren Knapp­heit den Reproduktionserfolg gefährdet“ (Voland 2013, 89). Mit seinem in eckigen Klammern gesetzten Einschub in das Zitat von Harris und der zusätzlichen Ergänzung des Zitats soll diese Aussage im Sinne von Voland nur für die früheren Wildbeuter- und Pflanzergesellschaften gelten, doch die Parallelen zu modernen Kriegen sind frappierend.
Die Soziobiologie sieht in den Problemen des durch die Grenzen des Lebensraumes bedingten und in Zukunft darin an Dramatiknoch zunehmenden Konkurrenzkampfes, bei dem es in einer überbevölkerten Welt mit schwindenden Ressourcen nach den alten Werten um so wichtiger erscheint, die materiellen Vorteile und den sozialen Rang zu maximieren, jedoch kein grundsätzliches Problem. Mit ihrem Festhalten an dem alten sozialdarwinistischen Verständnis müssen sich diesem Verständnis gemäß nun eben auch unter diesen besonderen und neuen Bedingungen die fitteren Gene durch das entsprechende erfolgreichere Verhalten wie eh und je durchsetzen und beweisen. Neue Konsequenzen und Gefahren dieser Entwicklung, wie etwa die der Kriege mit den nun zur Verfügung stehenden Waffen, werden, wie bei dem letzten Zitat mit dem Einschub von Vollmer, einfach ausgeblendet. Für den heutigen Menschen und für die Soziobiologie ist das Verhalten der Konkurrenz und der Auseinandersetzung auf der genetischen und materiellen Ebene trotz der neuen Bedingungen und Lebensumstände weiterhin angepasst und »gut«. Erst aufgrund einer größeren Katastrophe könnte es in diesem Verständnis und Bewusstsein zu einem »bösen« Verhalten werden, so wie es beim Rassismus der Fall war.
Bei den neuen drohenden Katastrophen ist allerdings im Gegensatz zu den vergangenen zu berücksichtigen, dass das Leid der Menschen in den bisherigen Katastrophen begrenzt war, d.h. die ca. 60 Millionen Toten der beiden Weltkriege waren schnell ersetzt und die zerstörten Gebäude und die Infrastruktur innerhalb weniger Jahre wieder aufgebaut. Nun geht es jedoch nicht nur mit den neuen atomaren, chemischen und biologischen Waffen, sondern auch auf vielfältige andere Weise, etwa dem Klimawandel oder allgemein durch die Umweltbelastung und -zerstörung, um das Ökosystem und die Lebensgrundlage selbst, und das lässt sich im Falle einer Schädigung oder Zerstörung nicht innerhalb weniger Jahre wieder reparieren und ausgleichen, sondern bleibt im Extremfall mehr oder weniger dauerhaft zerstört.
Davon abgesehen entspricht diese Art zu lernen und sich weiter zu entwickeln nicht dem wahren Wesen und Potential des Menschen. Es entspricht darin vielmehr der evolutiven Entwicklung auf der genetischen und animalischen Ebene über Versuch und Irrtum. Von daher ist es kein Zufall, dass mit dem Festhalten an den Gesetzmäßigkeiten und Werten dieser Ebene sich auch die weitere Entwicklung gemäß dieser Ebene abspielt.

Mit dem Verständnis oder der »Brille« des geist-zentrierten Ansatzes, das oder die das geistige Sein des Menschen und seine weitere Entwicklung im Gegensatz zu einem gen-zentrierten Ansatz als das Maßgebende sieht, vor allem als geistige Auseinandersetzung und weitere geistig-kulturelle Entwicklung, ergibt sich mit dieser alternativen »Brille« dagegen ein völlig anderes Bild der gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklung des Menschen. Mit diesem Verständnis lässt sich das mit der heutigen Technik exzessiv ermöglichte Jagen und Sammeln nach materiellen Werten als Lebenssinn und Wachstumsideal als ein neues unangepasstes Verhalten und als Sackgasse der Entwicklung eindeutig und klar erkennen. Dieses Verhalten ist zwar vorübergehend für einen kleinen Teil der Menschen möglich und wirkt darin berauschend, aber dieses exzessive materielle Wachstum wird nicht langfristig möglich sein und schon gar nicht für alle Menschen auf der Welt. Ganz im Gegenteil treibt es die soziale Spaltung voran, da ein guter Teil des Wachstums zu Lasten anderer Menschen geht (daneben noch zu Lasten der Umwelt und künftiger Generationen). Aufgrund der neuen Kommunikationstechnologien sind heute alle Menschen über die Möglichkeiten des materiellen Wachstums bestens informiert, doch in vielen Teilen der Welt gleichzeitig gänzlich davon ausgeschlossen. Ja diese Menschen müssen sogar weiterhin um das bloße physische Überleben kämpfen, wobei teilweise schon ihre knappen Nahrungsmittel zum Spekulationsobjekt werden, um in den Überflussgesellschaften den materiellen Gewinn auch auf diese Weise noch etwas mehr zu steigern. Das ist in dieser Konstellation ein idealer Nährboden für entsprechende Reaktionen dort, wie etwa Fundamentalismus und Terrorismus, der dann wiederum von den Überflussgesellschaften mit Gewalt statt mit geeigneteren Maßnahmen bekämpft wird.
Mit dem Verständnis der stetigen geistigen Weiterentwicklung des Menschen ist unter den dramatischen Bedingungen einer technisch-materiellen Entwicklung, die mit explosiver Wucht an die Grenzen des Lebensraumes Erde stößt, der folgende Schritt im Sinne der weiteren geistigen Entwicklung naheliegend, konsequent und vor allem direkt problemlösend: Der Mensch sollte seinen Lebenssinn, seine Selbstverwirklichung und sein Wachstumsideal nicht mehr in einer möglichst exzessiven Anhäufung materieller Werte sehen, sondern in einem Jagen und Sammeln nach dem, was ihn als Mensch in seiner zweigeteilten Natur erst ausmacht und bedingt, nämlich sein geistig-kulturelles Sein. Mächtige alte Instinkte stehen dem entgegen, doch es ist zweifellos möglich, dass der Mensch seine Intelligenz, sein Abstraktions- und Antizipierungsvermögen gegen diese Instinkte so weit nutzen kann, um zu erkennen, was auf dem Spiel steht und worin auch aufgrund der vergangenen Entwicklung sein eigentliches Wesen und seine Zukunft nur liegen kann. Ansonsten könnte es sein, dass er im wahrsten Sinne des Wortes zu dumm dazu ist, was selbst viele niedere Lebensformen bis jetzt geschafft haben, nämlich als Art zu überleben. Dann nutzt es auch nichts mehr, wenn einzelne Individuen ihr materielles Überleben scheinbar millionenfach abgesichert haben, ganz im Gegenteil ist genau das dann der Grund für das Scheitern als Art.
In der schon zitierten Aussage von Darwin wundert sich dieser darüber, dass „wir Heime für Idioten, Krüppel und Kranke erbauen“ und „Armengesetze [erlassen], und unsere Ärzte alle Geschicklichkeit auf[bieten], um das Leben der Kranken so lange als möglich zu erhalten.“ Das schädigt Darwins Verständnis gemäß die Rasse bzw. es schädigte genauer gesagt zu früheren Zeiten das Überleben der Rasse. Heute schädigen nicht die körperlich Schwachen das Überleben, sondern die Rücksichtslosen und Gierigen, die in exzessiver Weise wie im Rausch materielle Werte ansammeln und dabei jedes vernünftige Maß übersteigen. Mit der »Brille« des geist-zentrierten Ansatzes wird hier deutlich das Animalische im Menschen sichtbar. Mit der alten Logik einer gen-zentrierten Sichtweise müsste nun, um das durch dieses Verhalten gefährdete Überleben aller Menschen sicherzustellen, diese Individuen selektiert und entsprechenden eugenischen Maßnahmen zugeführt werden. Doch das ist eben die Logik der alten, gen-zentrierten Sichtweise, die auf das Sein des Menschen und seine Weiterentwicklung nicht mehr zutrifft. Mit dem geist-zentrierten Ansatz muss der Mensch diesem Ansatz entsprechend auf geistige Weise angepasst werden, d.h. er muss belehrt und auf sein Fehlverhalten aufmerksam gemacht werden bzw. es muss eine geistige Auseinandersetzung um dieses Verhalten und die weitere Entwicklung des Menschen stattfinden. Das „Instrument“ dazu steht schon seit langem zur Verfügung.
In Hinblick auf die beiden sich krass widersprechenden Theorien, einerseits die Soziobiologie, die weiterhin allein auf genetische Fitness und die damit natürlich verbundenen alten Gesetzmäßigkeiten und Werte setzt, und andererseits die vergleichenden Verhaltensforschung, die mit dem Ansatz von Konrad Lorenz dagegen die völlig neue Art des geistigen Lebens beim Menschen im Blick hat, kann in dem Widerstreit beider Theorien vor dem Hintergrund des explosiven materiellen Wachstums in dem begrenzten Lebensraum der Erde der weitere Verlauf der Entwicklung des Menschen als ein klassisches naturwissenschaftliches und empirisch erfahrbares Experiment verstanden werden, bei dem wir Menschen gleichzeitig die Beobachter und das Versuchsobjekt darstellen. Es kann darin auch als ein auf den Kriterien der natürlichen evolutiven Entwicklung gründender Intelligenztest verstanden werden. Ist die Intelligenz und das Abstraktions- und Antizipierungsvermögen des Menschen groß genug dazu, im Hinblick auf das eigentliche Sein seiner zweigeteilten Natur sein Verhalten und sein Sein im wahrsten Sinne des Wortes »selbst-bewusst« zu reflektieren und entsprechend der gegebenen Herausforderungen und Umstände zum ersten Mal auf geistige Weise vorausschauend und human anzupassen? Wir leben tatsächlich in interessanten Zeiten und sind gemäß der in den Diagrammen abzulesenden Entwicklung gleichzeitig Hauptakteure und Beobachter eines einmaligen Naturschauspiels, sozusagen in Echtzeit und mit HDTV.
Selbst der Extremfall einer Selbstauslöschung des Menschen, die heute zweifellos im Bereich des Möglichen liegt, könnte aus einer anderen, nicht-anthropozentrischen Perspektive als Offenbarung einer letztendlichen Wahrheit verstanden werden, die darin jedoch schon ganz am Anfang der Evolution bei der Bildung der ersten Urzelle zu finden ist. Denn die Bildung der ersten Urzelle war darin gar nicht die substantielle Trennung von der Umwelt, als die es »uns« als letztes Produkt der darauf gründenden Evolution erscheint (wobei viele Menschen bis heute vergeblich versuchen, diese Trennung mit ihrem geistigen Vorstellungsvermögen als eine übernatürliche »Rettung« aufrechtzuerhalten und so absolut sichern zu wollen). Schon die Urzelle war und ist nur eine besondere Struktur, die sich dann bis zum Menschen mit seinem Erkenntnisvermögen in dieser Struktur immer weiter entwickelt hat. Was dem jenseits dieser Struktur (wahrscheinlich als Einheit) zugrundeliegt, können »wir« in unseren dualen Seins- und Erkenntnisstrukturen nicht erkennen und uns nicht einmal vorstellen. In dieser nicht-anthropozentrischen Perspektive ist auch der Tod somit gar kein »Konstruktionsfehler«, sondern vielmehr der unbestechliche Zeuge und der Vollzug einer letztendlichen Wahrheit. Insofern wäre selbst ein Scheitern als Selbstauslöschung der Menschheit letztlich kein wirkliches Scheitern, sondern auch hier der Vollzug einer letztendlichen Wahrheit, angesichts dessen der Geist des Menschen seine höchste, sich selbst übersteigende Entwicklung auf diese Weise finden könnte.
In jedem Fall ist beim Menschen der Geist das Entscheidende und nicht das Materielle, Körperliche oder Genetische. Mit diesem seltsamen „Instrument“ des Geistes, das jedem Menschen trotz mehr oder weniger großer Barrieren seines animalischen Erbes in seiner gespaltenen Natur zur Verfügung steht, gibt es noch viel zu entdecken, zu verwirklichen und zu entwickeln bis hin zur Übersteigung oder Transzendierung der weltlichen Seins- und Erkenntnisstrukturen zu einer jenseits davon liegenden letztendlichen Wahrheit und Einheit hin, wie es etwa Plotin, Meister Eckhart oder Kant vollzogen haben – oder auch nur als Aufdeckung eines naturwissenschaftlichen und gesellschaftlichen bzw. evolutiven Irrweges durch ein kritisches Denken.

Literatur:
Charles Darwin, Die Abstammung des Menschen, Stuttgart 2002
Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, München 1987
Ian Morris, Wer regiert die Welt? -Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden, Frankfurt/M. 2011
Loren Eiseley, Die ungeheure Reise, München 1959
Eckart Voland, Soziobiologie, Berlin-Heidelberg 2013
E. O. Wilson, Die soziale Eroberung der Erde, München 2013
Friedrich Schiller, „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“, Stuttgart 2006
Hoimar von Ditfurth, Der Geist fiel nicht vom Himmel, Hamburg 1976
M. Harris, Kulturanthropologie, Frankfurt, New York 1989

Über Ehlert Bernd 23 Artikel
Bernd Ehlert ist Mitglied im Humanistischen Verband Deutschlands sowie in der Meister-Eckhart-Gesellschaft. Er tritt für eine Überwindung der Widersprüche zwischen Natur- und Geisteswissenschaften und damit für ein einheitliches Weltbild ein. Ehlert ist auch Autor der Tabvla Rasa, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken.

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